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# taz.de -- Im Nachbardorf von Lützerath: Kackhaufen im Klimakampf
> Die Stimmung in Keyenberg ist geprägt von Misstrauen zwischen
> Alteingesessenen und KlimakämpferInnen. Die hatten in dem Dorf ein Camp
> errichtet.
Bild: Nur 400 Meter ist das Dorf Keyenberg vom Braunkohletagbau entfernt
Es herrscht wieder Ruhe im Land. [1][Lützerath] ist dem Erdboden
gleichgemacht, damit dort Braunkohle abgebaut werden kann. Und auch in
Keyenberg gut zwei Kilometer nördlich, seit dem [2][Deal zwischen Politik
und dem Braunkohlekonzern RWE] von Anfang Oktober eines der fünf Dörfer mit
Bestandsgarantie, ist es sehr ruhig. Nur vereinzelt ist mal ein Fußgänger
zu sehen. Oder es tuckert ein Trecker um die Ecke.
Rund 150 Menschen wohnen hier noch, von einst fast tausend. Alle anderen
sind seit 2016 umgesiedelt, sprich: vertrieben. Die an RWE verkauften
Häuser verrotten seitdem, morsche Holzzäune sind umgekippt, Jalousien meist
zugezogen, Fenster manchmal auch zugemauert. Die Kirche ist entweiht, die
Gräber eingeebnet, genau ein Geschäft ist geblieben: Bäcker Laumanns, der
an vier Tagen vormittags geöffnet hat.
Ruhe? Heute Vormittag ist es immer wieder laut: aufheulende Motorsägen,
Rufe, Klappern, Scheppern. An mehreren Stellen im Ort fällen RWE-Trupps
Bäume in den verlassenen Gärten, rasieren Hecken absurd kurz und häckseln
das Schnittgut an Ort und Stelle zu grün-braunem Schnee. Seit November tun
sie das. „Gehen Sie da mal weg“, tönt plötzlich aggressiv der Fahrer eines
RWE-Geländewagens, „ich will da parken.“ Genau da, wo wir auf dem
Bürgersteig stehen? „Ich muss die Einfahrt zustellen.“ Warum? „Damit die
Aktivisten nicht durchkommen. Die machen die Maschinen kaputt.“ Welche
Aktivisten? „Weiß ich nicht. Wurde mir so gesagt.“
Für David Dresen, 31, aus dem Nachbardorf Kuckum, seit Jahren aktiv beim
Bündnis „Alle Dörfer bleiben“, und die Keyenbergerin Carmen Petrovan, 52,
sind solche Behauptungen Wasser auf die Mühlen. „Hab ich doch gesagt“,
meint Dresen, „da ist der Vorwand ‚Freiräumen, damit sich da niemand
verstecken kann‘. Welche Häuser bleiben sollen, weiß noch niemand. Aber RWE
will wie immer schon mal Fakten schaffen.“
Dresen glaubt zudem, dass Petrovans Straße Auf den Steinen, die am
weitesten an die steile Abrisskante zum Braunkohletagbau ragt,
„möglicherweise noch abgerissen werden soll“, weil der im Eckpunktepapier
beschlossene Abstand zum Tagebau von 400 Metern sonst unterschritten werde.
Ohnehin sei unklar: 400 Meter von Kante bis zum ersten Haus heute oder bis
zum ersten Haus, das weiter erhalten bleiben soll?
Die Erkelenzer Stadtverwaltung sagt auf taz-Anfrage, RWE habe sich an die
Rahmenvereinbarung zu halten: „Es darf da keine Abrissarbeiten geben.“
Dresen zuckt die Schultern: „Irgendwann ist halt Gefahr im Verzug …“ RWE
braucht zudem dringend Abraum. Da ist jeder Kubikmeter willkommen.
„RWE vandaliert im Ort jetzt schon“, sagt Petrovan, „Kahlschlag überall,
riesige Rhododendren werden massakriert, die totale Verwüstung aller
Gärten.“ RWE sei „wie ein Pitbull, die beißen sich überall fest“. Petr…
lebt mit hier ihrer pflegebedürftigen 80-jährigen Mutter. „Die fragt immer:
Was wird hier? Warum der Krach? Was wird aus unserem Keyenberg?“
Was wird? Da hat RWE die Finger drauf. Dem Kohleriesen gehören die meisten
Grundstücke, zwangsverkauft von EinwohnerInnen, die mehrheitlich ab 2016
umgezogen sind. Denn eigentlich sollten die Tagebaubagger auch die fünf
Dörfer wegfressen, die verbliebenen Menschen wären zwangsenteignet worden.
Dann wurde im Oktober 2022 der Kohleausstieg 2030 beschlossen und damit der
Erhalt der Dörfer.
Was in Keyenberg und drumherum konkret entsteht, was aus den verlassenen
Häusern wird, was aus den monströsen Tagebau-Löchern, darüber beginnt
gerade der Streit zwischen Stadt Erkelenz, Landesregierung, RWE und
Klimagruppen. Und auch hinter den Kulissen geht der Braunkohlekrieg weiter,
ein Krieg mit Worten, Misstrauensbekundungen, wüsten Anschuldigungen,
Opfererzählungen.
Es begann im Dezember. Lützerath-SympathisantInnen bauten ein
Ausweichquartier, um sich zu koordinieren, wenn Lützerath geräumt sein
sollte. Keyenberg, das Nachbardorf, bot sich an. Auf dem verlassenen
Sportplatz am Dorfrand entstand „Unser Aller Camp“, eine kleine Zeltstadt
samt Infrastruktur, behördlich genehmigt. Ein paar hundert Leute ließen
sich hier nieder.
Schnell gaben sich einzelne BewohnerInnen Keyenbergs entsetzt: Was wollen
die hier? Okkupieren die auf Dauer unser Dorf? „Dies bewirkt in uns, dass
wir Angst haben und uns eingeschüchtert fühlen“, schrieben sie, „so als ob
wir herausgeekelt werden sollen“, damit „ein Parallelstaat“ entstehen
könne. Die Ukraine-Flüchtlinge im Ort würden sich „kaum noch auf die Stra�…
trauen“. Barbara Ziemann-Oberherr, 62, eben noch vorne dabei im Kampf gegen
RWE, sammelte Unterschriften gegen das Camp, man wolle „endlich zur Ruhe
kommen“.
Die kohlefreundliche Rheinische Post griff solche Erzählungen dankbar auf,
Tenor: Keyenberg wehrt sich gegen diese staatsfeindlichen linksextremen
Aktivisten. Und dann kam auch noch die große Demo am 14. Januar mit 35.000
Menschen, die von Keyenberg nach Lützerath und zurück zogen.
Es war laut, es war voll. Ein paar neue Graffiti wie „FCK RWE“ entstanden.
Vereinzelt gingen ein paar Scheiben der verlassenen Häuser zu Bruch.
Oberwasser für Oberherr: Es habe sich angefühlt „wie in Hitchcocks,Die
Vögel'. Da rennen nachts 100 bis 200 schwarz Vermummte durchs Dorf, rufen
Parolen und werfen Böller. Die haben im Grunde die ganzen Dörfer
zugeschissen, an den Häusern und auf den Feldern massive Schäden
hinterlassen.“
Anlass, bei ihr mal nachzufragen. Sie zeigt gleich ein Youtube-Video, auf
dem junge Leute bei einer Autofahrt nach Lützerath von Revolution sprechen
und „den Staat abschaffen“ wollen. „Das sind nicht wir. Das ist nicht die
Sprache der Bürger hier“, sagt Oberherr empört. Immer wieder hätten andere
Dörfler sie auf solche Statements angesprochen. Besonders verletzend: „Von
den Umgesiedelten werden wir jetzt auch noch mit den Aktivisten in einen
Topf geworfen.“ Dabei hat Oberherr ein ambitioniertes Motto, das auch unter
der Unterschriftenliste stand: „Ich habe Keyenberg zu retten. Und wir alle
einen Planeten.“ Sie selbst auch, Oberherr wünscht sich „komplett
energieautarke Dörfer“ und wirbt mit Greenpeace für Solaranlagen.
Aber Oberherr klagt auch über angeblich durch hungrige Aktivisten geklaute
Brötchen. Eine Frau habe mal gesagt: „Wir fragen nicht, wir nehmen!“ Dann
zeigt Oberherr auf ihrem Smartphone Beweisfotos, was die jungen Leute
gaben: einen formvollendeten Scheißhaufen zum Beispiel, Großaufnahme, auf
einer Wiese. „Bitte sehr!“ Vielleicht war das ein Hund? „Deren Haufen sind
nicht so spitz.“ Oberherr hat drei Hunde.
## Treffen mit dem Innenminister
David Dresen sagt, Barbara Oberherr, lange mit ihm gemeinsam bei „Alle
Dörfer Bleiben“ aktiv, lasse sich „von der CDU vor den Karren spannen“.
Einen solchen Vorwurf nennt Oberherr „Hetzkampagne“. Tatsächlich aber war
Innenminister Herbert Reul Ende Januar bei ihr im Wohnzimmer zu Besuch,
eine Stunde lang. „Der hat bei mir angerufen“, sagt sie, ob man sich nicht
mal unterhalten könne.
Herbert Reul, CDU-Hardliner und seit 2017 NRW-Innenminister, kümmerte sich
jahrelang nicht darum, dass in den leer stehenden Häusern regelmäßig
geplündert wurde, dass alles verkam, wie es den Verbliebenen erging. Kaum
kamen die aufgeputschten Klagen, war er plötzlich „irre beunruhigt“. „Ich
habe Sorge davor, dass sich dort Menschen dauerhaft ansiedeln“ und auch
noch Leute, die „abweichendes Verhalten zeigen“. Reul fabulierte davon,
dass „eine extremistische Szene entsteht, die einen Umsturz oder Ähnliches
plant“.
Michael Zobel, der Aachener Waldpädagoge und Kämpfer wider den
Kohleirrsinn, schrieb Oberherr kürzlich einen Brief. Tenor: Nur der
gemeinsame, jahrelange Kampf mit den vielen jungen Leuten habe letztlich
auch ihr Dorf Keyenberg gerettet. Er sei ob der plötzlichen Propaganda
entsetzt, wütend und traurig. „Ohne die Klimacamps in Erkelenz, ohne Ende
Gelände 2015, ohne all das gäbe es auch Keyenberg nicht mehr. RWE, Politik,
Polizei und andere reiben sich die Hände, dass die Spalterei wieder mal
bestens funktioniert.“ Oberherr sagt, sie kenne Michael Zobel kaum und habe
ihm auch nicht geantwortet.
Anfang Februar verließen die letzten BewohnerInnen „Unser Aller Camp“,
obwohl es noch eine Genehmigung bis Ende des Monats gab. Geblieben ist ein
Stück weiter „Unser Aller Wald“, sechs Baumhäuser in den Wipfeln. Ein
knappes Dutzend BewohnerInnen leben hier noch, gemeinsame Küche, Treffpunkt
auch für Gleichgesinnte von außerhalb. „Wir bleiben vorläufig hier“, sagt
Tuvia, „wir leben weiter unser Leben.“ Er misstraut Politik und den
Kohlebaronen: „Vielleicht heißt es in vier Jahren: Ach, ist ja immer noch
Krieg? Dann graben wir doch weiter …“
## Die Hüter von Keyenberg
„Wir passen auf Keyenberg auf“, sagt bei einem Glas mildem Gewürztee auch
Ask, ein sehr sanft wirkender Däne mit Rasta-Haaren bis auf die Schultern,
„wir wollen hier helfen, Freunde sein mit den Dorfbewohnern und Allianzen
schmieden.“ Asks Vision: „Ein gemeinsames tolles Dorfleben aufbauen.
Vertraut uns.“ Und er verweist auf den großen Hof nebenan in Berverath, den
eine Genossenschaft dem Vorbesitzer abkaufte, bevor RWE die Finger an das
Grundstück bekam. „Da wird die Bewegung wohnen, da wird viel Gemeinsames
passieren, mit allen hoffentlich.“
Gila lächelt dazu etwas säuerlich. „Ich hab schon mit so vielen Menschen
hier geredet und gesagt: Wir sind doch auf eurer Seite. Aber da gibt es so
viele Schranken in den Köpfen.“ Da sei so viel, sie überlegt einen Moment,
„ja: German Angst, Angst vor Veränderung. Aber wir müssen doch zusammen
über die wahren Probleme reden, die ganze Klimabedrohung, nicht über ein
paar Kackhaufen im Garten.“
25 Feb 2023
## LINKS
[1] /Luetzerath/!t5896252
[2] /Braunkohlefoerderung-in-NRW/!5882364
## AUTOREN
Bernd Müllender
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