| # taz.de -- Hydrogeologe über Lützerath-Papier: „Kein Gefälligkeitsgutacht… | |
| > Lützerath müsse weichen, um genügend Kohle zu fördern, so Wissenschaftler | |
| > Michael Denneborg. Sein Gutachten war eine Grundlage für die Vernichtung | |
| > des Ortes. | |
| Bild: Erst kommen die kleinen Bagger, dann folgt der große Kohlebagger: Abriss… | |
| taz: Herr Denneborg, Sie haben also ein Gefälligkeitsgutachten zur | |
| Kohleförderung unter dem Dorf [1][Lützerath] abgeliefert, wie Greenpeace | |
| behauptet, oder? | |
| Michael Denneborg: Das ist natürlich kein Gefälligkeitsgutachten für RWE. | |
| Unser Auftrag war die Überprüfung einer Planung von RWE aus dem Spätsommer, | |
| ich nenne es mal deren „Halbinselgutachten“, auf das sich das | |
| Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen nicht verlassen wollte. An | |
| einzelnen Stellen haben wir auch abweichende Ergebnisse zu RWE. Unsere | |
| Untersuchungsaufgabe war, ob Lützerath erhalten werden kann, wenn man nur | |
| an beiden Seiten des Ortes den Tagebau vorantreibt, mit einer nördlichen | |
| und einer südlichen Bucht. Ergebnis: Dann kämen nur 170 Millionen Tonnen | |
| Kohle statt 280 heraus, dazu nicht die erforderlichen Jahresmengen, um die | |
| benötigten Strommengen zu liefern. Die Abraum- und Lößmengen wären bei | |
| Weitem nicht ausreichend und vor allem: Die Standsicherheit einer solchen | |
| Halbinsel Lützerath wäre auf lange Sicht nicht gegeben. Das sind vier | |
| K.-o.-Kriterien. Eines würde reichen. | |
| Der Abbau muss also sein, wenn man an der klimafeindlichen Kohleverstromung | |
| festhalten will … | |
| … und Energiesicherheit erhalten und (russisches) Erdgas einsparen will, | |
| was ja bisher auch funktioniert hat. Dass Kohleverbrennung in Deutschland | |
| ein Auslaufmodell ist und so schnell wie möglich beendet werden muss, ist | |
| doch jedem klar. Nur „schnell“ ist bei den riesigen Tagebauen relativ und | |
| komplex. | |
| Die Politik wollte eine schnelle Antwort. Alles geschah in nur wenigen | |
| Tagen. Also war es ein Hektikgutachten? | |
| Nein. Unser Gutachterteam beschäftigt sich mit diesen Fragen seit vielen | |
| Jahren. Ein Großteil der digitalen Daten lag auch schon bereit. Wir hätten | |
| auch bei fünffacher Zeit kein anderes Ergebnis geliefert. Wir machen seit | |
| 22 Jahren das Umweltmonitoring für Garzweiler II. Es gibt meines Erachtens | |
| kein anderes Gutachterteam, das sowohl die Energie- und Wasserwirtschaft | |
| als auch die Bergbautechnik in der Kürze der Zeit beurteilen kann. | |
| Ein anderer Vorwurf lautete: Sie hätten Daten mit den beiden anderen | |
| Gutachtern abgeglichen. Ist das nicht unseriös? | |
| Nein. Die logische Kette war ja: Was ist der Energiebedarf (in zwei | |
| Szenarien betrachtet), wie viel Kohle braucht man dafür und unser | |
| Spezialgebiet: Welche wasserwirtschaftlichen Auswirkungen gibt es? Das | |
| ergibt nur Sinn, wenn man die Logik der Bearbeitung miteinander abstimmt. | |
| Die einzelnen Ergebnisse liefert dann jeder für seinen Bereich. | |
| Die Daten sind von RWE – da ist es ja, heißt es, kein Wunder, dass | |
| herauskommt, was RWE lesen möchte. | |
| Richtig ist, dass wir von RWE die Daten zum geologischen Schichtaufbau von | |
| mehreren Hundert Bohrungen bis 300 Meter Tiefe bekommen haben, gewonnen | |
| über mindestens 40 Jahre, validiert vom Geologischen Dienst des Landes NRW. | |
| Ohne diese Daten könnten wir, etwas polemisch gesagt, nur mit Luftbildern | |
| und Geodreieck arbeiten. So entstehen Kurzstudien, auf die sich Claudia | |
| Kemfert und die DIW Coal Exit Group berufen. Nur: Diese Studien haben | |
| allein pauschale Flözmächtigkeiten angenommen, keine Abraum- und Lößbilanz | |
| und sie haben sich nicht mit wasserwirtschaftlichen Fragen beschäftigt. So | |
| kommen sie im Bereich vor Lützerath zu gewinnbaren Kohlemengen von 190 | |
| Millionen Tonnen. Das ist aber nach dem digitalen Tagebaumodell der | |
| Gutachterfirma Fuminco um rund 50 Millionen Tonnen zu hoch angesetzt. | |
| Gerade wurde bekannt, dass 4 Prozent der Fläche hinter Lützerath gar nicht | |
| RWE gehören. Hätte dieses Wissen Ihr Gutachten verändert? | |
| Man kann einen Tagebau nicht um einzelne kleine Flächen herumbauen, das | |
| wäre das Ende. Deshalb braucht RWE 100 Prozent der Flächen. Davon sind wir | |
| auch ausgegangen. Aber die Eigentumsfragen sind ja noch Zukunft und nicht | |
| unser Thema. | |
| Wenn Verkäufe oder Enteignungen nicht klappen, kann RWE das Gebiet in die | |
| Tonne kloppen? | |
| Völlig klar, ein Flächenmosaik ist nicht abbaubar. Schon die | |
| Halbinsellösung für Lützerath funktioniert ja nicht. | |
| Alles nur, um den symbolträchtigen Weiler Lützerath in der aufgeheizten | |
| Stimmung zu erhalten. RWE gräbt scharf mit steiler Kante 50 Meter an das | |
| Dorf heran, das machte die Rettungsmöglichkeit erst recht unmöglich. Warum | |
| hat RWE das denn wissenschaftlich belegt wissen wollen? Für das Image: Wir | |
| haben doch alles versucht? | |
| Die naheliegende Forderung in der Öffentlichkeit war ja: Lützi erhalten! | |
| Die Idee mit zwei Landzungen war aus Laiensicht auch charmant und erst mal | |
| nachvollziehbar. Aber sie ist aus den vier oben genannten Gründen nicht | |
| umsetzbar. | |
| Das hat RWE jetzt schriftlich. Worin liegt das Problem mit dem Abraum? | |
| In den letzten Jahren eines Tagebaus geht es eigentlich nur noch um | |
| standfesten Abraum für stabile Böschungen und den Löß darüber für die | |
| Rekultivierung der landwirtschaftlichen Flächen. Schon im Tagebau Hambach | |
| ist Abraum knapp, ebenso in Garzweiler, das stellt hohe Anforderungen an | |
| eine Restseelandschaft, wenn man in Jahrhunderten denkt. In den Tagebauen | |
| in Ostdeutschland gibt es ja schon erhebliche Probleme mit versauerten | |
| Restseen und abrutschenden Böschungen. | |
| Kann es am Ende passieren, dass die gewonnene Kohle gar nicht mehr | |
| verfeuert wird, sondern umgeschichtet selbst als Abraum genutzt wird? | |
| Nein, Kohle wäre nicht standfest. Braunkohle war immer schon ein gutes | |
| Geschäft, jetzt mit den aktuellen Strompreisen und den abgeschriebenen | |
| Maschinen ist es das erst recht. Trotzdem lässt RWE in Hambach jetzt schon | |
| viele Millionen Tonnen bester Kohle liegen, weil man sonst deutlich mehr | |
| Abraum benötigen würde. Die Abraumbilanz ist viel wichtiger. Beim | |
| Rückabwickeln muss man eine Abböschung schaffen im Verhältnis 1:5, also | |
| etwa 18 Grad – und das Material ist jetzt schon knapp. Eine Kohlebilanz ist | |
| von Marktpreisen und der Politik abhängig, der Abraum von der Physik, von | |
| Sicherheitsgedanken. Deshalb hat man bei der Kohle Freiheiten, die man beim | |
| Abraum nicht hat. | |
| Wenn man einmal mit den gigantischen Tagebauen anfängt, hat man offenbar | |
| keine Chance auf einen Stopp zwischendurch. Die Braunkohleseen müssen sein, | |
| weil man sonst unnutzbare gefährliche Lochwüstenlandschaften hinterlässt. | |
| Wann fährt denn das erste Bötchen? | |
| Wir werden das nicht mehr erleben. Frühestens in 40 Jahren. Und | |
| wasserwirtschaftlich ist es ja wichtig, dass das aus dem Rhein | |
| herangepumpte Wasser durch einen höheren Wasserstand im entstehenden | |
| Restsee Druck auf das Grundwasser in der Böschung ausübt, nicht umgekehrt! | |
| Heute werden 100 Millionen Kubikmeter pro Jahr über die Sümpfung gepumpt, | |
| aufbereitet und in die Feuchtgebiete des Schwalm-Nette-Gebietes | |
| infiltriert, das entspricht dem Jahresbedarf der Stadt Köln. Das müsste | |
| ohne Restsee und angestiegene Grundwasserstände sonst für immer so | |
| weiterlaufen. | |
| Die riesigen Seen müssen also sein? | |
| Nicht überall. Es gibt das sogenannte östliche Restloch bei Jüchen. Das ist | |
| schon teilweise mit Abraum komplett verfüllt. 350 Millionen Kubik fehlen | |
| noch für die gleiche Höhe wie vorher. Jetzt haben wir gesagt, die Menge | |
| kann man halbieren, wenn man alles 30 Meter tiefer legt. Aus | |
| naturschutzfachlicher Sicht wären das extrem wertvolle Flächen für den | |
| Artenschutz: Auf 7 Quadratkilometer könnte ein Mosaik aus | |
| Flachwasserbereichen, feucht-nassen Flächen und trockenen Standorten mit | |
| hoher Biodiversität geschaffen werden durch Lebensraum für Amphibien, | |
| Insekten, Schlangen, Vögel wie Uferschwalben, Bienenfresser, den Uhu, dazu | |
| Beweidung der Flächen durch Schafe oder alte Rinderrassen. Die im | |
| Braunkohlenplan von 1995 festgelegte landwirtschaftliche Nutzung oder als | |
| Gewerbegebiet wäre in dieser Fläche dann allerdings nicht mehr möglich. Es | |
| drängt jedoch die Zeit für eine Entscheidung, aber selbst die Diskussion | |
| über diese einmalige Möglichkeit findet zurzeit nicht statt. | |
| 26 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
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