| # taz.de -- Klimaaktivist über Lützerath: „Der Kampf ist nicht vorbei“ | |
| > Klimaaktivist Marius hält es für einen Verdienst der Bewegung, beim | |
| > Konflikt um Lützerath die Grünen entlarvt zu haben. Und wie geht es nun | |
| > weiter? | |
| Bild: Polizist:innen während der Räumung von Lützerath am 11. Januar | |
| taz: Marius, das Kohledorf Lützerath wurde geräumt – aber der Konflikt | |
| darum hat bis zu [1][35.000 Menschen auf die Straße gebracht], teils auch | |
| wortwörtlich auf die Barrikaden. War das für die Klimabewegung ein Erfolg | |
| oder nicht? | |
| Marius: Zunächst mal: Mit der Zerstörung Lützeraths ist der Kampf nicht | |
| vorbei. Die Kohle kann und muss weiterhin im Boden bleiben. Und wir haben | |
| eine breitere Unterstützung für diesen Kampf als je zuvor. Ich glaube, dass | |
| sich in den letzten Wochen eine große Empörung in weiten Teilen der | |
| Bevölkerung aufgebaut hat. Vielen ist bewusst geworden, wie dreist sie hier | |
| belogen werden von „grünen“ Minister*innen, die im Alleingang Deals | |
| abschließen und von Versorgungssicherheit in der gegenwärtigen Situation | |
| sprechen. Renommierte [2][Wissenschaftler*innen, die sonst eher vorsichtig | |
| sind], haben sich solidarisiert, international hat Deutschland sich | |
| vollkommen blamiert. Das ist ein riesiges Verdienst der Besetzung, die | |
| Politik so vorgeführt zu haben. Zu zeigen, dass echte Demokratie im | |
| Kapitalismus genauso unmöglich ist wie echter Klimaschutz. | |
| Ihr Kollektiv hat im vergangenen Jahr das Buch „Glitzer im Kohlestaub“ | |
| herausgegeben, das die Geschichte der ökologischen Bewegungen analysiert. | |
| Können Sie daraus Schlüsse ziehen: Was funktioniert? | |
| Der Widerstand gegen die Zerstörung des [3][Hambacher Waldes], des „Hambi“, | |
| ist ein Paradebeispiel für das Zusammenspiel verschiedener Aktionsformen. | |
| Demos, direkte Blockaden mit Baumhäusern und Barrikaden, Waldspaziergänge, | |
| Unterstützungsarbeit von Bürgerinitiativen, Sabotage, Petitionen, ein | |
| Klageverfahren. Hier wurden wirklich alle Register gezogen. | |
| Kommen denn die damit verbundenen verschiedenen Aktivist*innen | |
| miteinander klar? | |
| Natürlich gab es Spannungen. Es fanden nicht immer alle Vertreter*innen | |
| der Bürger*innen-Initiative gut, was die Waldbesetzer*innen gemacht | |
| haben, und umgekehrt. Aber manchmal ist es notwendig, solche Widersprüche | |
| und Spannungen auszuhalten und sich nicht gleich voneinander zu | |
| distanzieren, im respektvollen Dialog miteinander zu bleiben. In unserem | |
| Buch beschreibt der Text zum Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ die gemeinsame | |
| Arbeit von Klimaaktivist*innen und Menschen, die für die | |
| Braunkohletagebaue zwangsumgesiedelt werden sollten. Es ist total spannend, | |
| wie Menschen mit einem sehr unterschiedlichen Hintergrund zusammenkommen | |
| und an einer ähnlichen Sache arbeiten. | |
| Das war ja in Lützerath ähnlich. Trotzdem konnte das Dorf nicht gerettet | |
| werden. | |
| Uns ist es nicht gelungen, den politischen Preis für eine Räumung so hoch | |
| zu treiben, dass diese unmöglich wurde. Aber es war schon beeindruckend, | |
| wie viele unterschiedliche Gruppen zusammengekommen sind, um sich zu | |
| widersetzen. Das hat die Klimabewegung insgesamt zusammenrücken lassen. | |
| Nach einer Orientierungsphase und Durststrecke der Klimabewegung leitet das | |
| hoffentlich wieder eine Phase des Aufschwungs ein. | |
| In dem Buch geht es auch um [4][Sabotage etwa von Kohlekraftwerken] als | |
| Aktionsform. Das ist ja in der Bewegung und auch juristisch hoch umstritten | |
| … | |
| … 2016 haben zum Beispiel Menschen im Tagebau Garzweiler ein Kabel | |
| entzündet. Das hat zu einem mehrtägigen Ausfall des Tagebaus von RWE | |
| geführt. Die Leute haben dann einen Brief veröffentlicht, in dem sie | |
| erklären, dass es ihnen wichtig war, keine Menschen zu gefährden. In diesem | |
| Kapitel versuchen die Autor*innen aber vor allem aufzuzeigen, dass | |
| dieser Betrieb des Tagebaus die eigentliche Form von Gewalt ist, weil sie | |
| zu der Zerstörung von Lebensgrundlagen von Menschen in vielen Teilen der | |
| Welt führt. Und dass deshalb mit diesen Sabotageaktionen eine direkte | |
| Intervention in den Ablauf stattgefunden hat. | |
| Aktivist*innen erzählen anonymisiert auch Geschichten des Scheiterns. | |
| Trotzdem bleibt im Buch ein Ton der Ermutigung. Wie geht das? | |
| Es können immer auch Lehren gezogen werden. Zum einen spielt überhaupt die | |
| Erfahrung einer Besetzung eine Rolle. Das Zusammenleben, das sich stark von | |
| der restlichen Gesellschaft unterscheidet, der politische Austausch, die | |
| Erfahrung von Räumung, die Polizeigewalt: All das festigt bei vielen den | |
| Wunsch, aktiv zu bleiben, und dient dem Bewegungsaufbau. Zum anderen hat | |
| sich zum Beispiel der Bau von Baumhäusern im Laufe der Zeit | |
| professionalisiert. | |
| Die Bewegung sammelt also taktische Erfahrung – aber wann und wie kann sie | |
| erfolgreich sein? | |
| Bisher hat es nicht funktioniert, einen grundlegenden Kurswechsel | |
| einzuleiten oder überhaupt die Diskussion darüber bei breiteren Teilen der | |
| Bevölkerung anzustoßen. Aber – und das ist ja eine weitere Grundthese des | |
| Buchs – ohne den Kapitalismus zu überwinden, werden wir die Klimakrise | |
| nicht eindämmen können. Deshalb stellt sich natürlich die Frage: Wie können | |
| wir darüber mit Menschen außerhalb unseres Netzwerks ins Gespräch kommen? | |
| Warum heißt das Buch eigentlich „Glitzer im Kohlestaub“? | |
| Einerseits spielt der Titel auf eine Praxis in Teilen der Klimabewegung an | |
| – nämlich bei der Aktion die Personalien zu verweigern. Dafür wird oft | |
| Glitzer auf die Fingerkuppen geklebt, damit keine Fingerabdrücke genommen | |
| werden können. Gleichzeitig sind die verschiedenen Aktionsformen, die im | |
| Buch geschildert werden, so etwas wie Glitzer im Kohlenstaub: Eine | |
| Möglichkeit, in der aktuellen, von Krisen durchsetzten Situation etwas | |
| Positives zu bewirken und Dinge zu verändern. | |
| 24 Jan 2023 | |
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| [2] https://de.scientists4future.org/offener-brief-ein-moratorium-fuer-die-raeu… | |
| [3] /Fotoband-zum-Hambacher-Forst/!5844895 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lea Fauth | |
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