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# taz.de -- Restdörfer am rheinischen Kohlerevier: Gerettet, aber noch keine Z…
> In den von den Baggern verschonten Orten im rheinischen Braunkohlerevier
> wächst die Verzweiflung. Lützerath ist weg – und plötzlich brennt eine
> Kirche.
Bild: Das Herz des Ortes getroffen: Brennende Kirche in Morschenich
Aachen taz | Lützerath ist längst geschleift. Wo bis [1][Mitte Januar noch
Häuser standen und Menschen wohnten], klafft ein tiefes Loch. Die
Braunkohlebagger haben mittlerweile auch das Gelände der Demonstration vom
14. Januar gefressen – und graben sich nun rund um die Uhr weiter
westwärts.
Derweil wachsen in den vor den Baggern „geretteten“ Nachbardörfern am
Tagebaugebiet Garzweiler Unruhe und Verzweiflung. Die Orte verrotten. Was
dort wird, weiß noch niemand. Aber die Ahnungen sind düster. Viel ist von
Industrie die Rede, von Technologieparks, neuer Infrastruktur. Alles
umrahmt von gigantischen Kunstseen in 50 oder 60 Jahren, mit hergepumptem
Rheinwasser.
Im vergangenen Herbst hatten Politik und der Energiekonzern RWE einen
[2][vorgezogenen Kohleausstieg für die Region] vereinbart. Fünf zur Stadt
Erkelenz gehörende [3][Dörfer] sollen danach erhalten werden.
Aber wie? Ideen von Klimaorganisationen, den BewohnerInnen und dem
Diözesanrat im Bistum Aachen sind unbeachtet verhallt. Der katholische
Verband spricht inzwischen von „simulierter Demokratie“, weil Planungen
intransparent ohne ernsthafte Beteiligung der Zivilgesellschaft ablaufen
würden.
## „Ein Ort der Zukunft“
Auch Morschenich, 20 Kilometer südlich am Tagebau Hambach, bleibt erhalten.
Aber auch hier sind die meisten Menschen weggezogen, die Häuser verfallen.
Die Pfarrkirche St. Lambertus, 2019 entwidmet, stand immer wie ein Mahnmal
mitten Ort. In der Nacht zum vergangenen Montag ist sie lichterloh
niedergebrannt. Der CDU-Bürgermeister, der hier, durchaus engagiert, einen
„Ort der Zukunft“ bauen will mit ökologischen Projekten und
wissenschaftlichen Forschungsstellen, sprach von einem „Treffer mitten ins
Herz“.
Sofort gab es Spekulationen. Hatte sich ein vergessener Hostienvorrat in
der Sakristei selbst entzündet? War es Brandstiftung? Bekiffte Jugendliche?
Hat etwa die Käuferin RWE Power das Symbol zerstört? Laut Polizei sind
wegen der großen Hitze alle Spuren vernichtet. Vermutlich werde man die
Ursache nie finden.
Ähnlich war es vor drei Jahren bei der Westricher Mühle, gebaut 1660, samt
prächtigem altem Vierkanthof. Das Gehöft nahe dem heutigen Ex-Lützerath war
nächtens ebenfalls komplett niedergebrannt. Der Grund, so die
Staatsanwaltschaft Mönchengladbach zur taz, sei unklar, wohl aber sei laut
Polizeiakten „Brandstiftung wahrscheinlich“.
## RWE denkt nicht an Verkauf
Direkt nebenan in Keyenberg haben Klaus E. und Familie ihr Haus 2019
verkauft und sind 15 Kilometer entfernt nach Mönchengladbach gezogen.
Derzeit leben in Keyenberg [4][nicht mal 150 Menschen, vor sieben Jahren
waren es noch über 800]. E. hat immer gesagt, falls der Ort doch bleibe,
wolle man zurückkaufen. Die Vereinbarung mit RWE sieht diese Möglichkeit
ausdrücklich vor, das Ziel: Dörferwiederbelebung. Aber RWE denkt nicht an
Verkauf. E. sagt, er habe auch sonst kaum wen gefunden, der zurückwill in
sein fast völlig entsiedeltes Heimatdorf.
Er steht also allein da. Er habe „eine schwierige Entscheidung“ treffen
müssen, schrieb er diese Woche. „Ausgelöst wurden meine Zweifel durch den
Brand der Kirche in Morschenich. Es kommen Erinnerungen hoch an die
Westricher Mühle. Immer waren Bauwerke im Weg, die in der Öffentlichkeit
standen.“ Und so habe er „größte Bedenken, dass auch unser Haus in Flammen
aufgeht“. Und: „Das unendliche Aufschieben der Dörferwiederbelebung ist ein
wiederholtes Spiel der Politik und RWE. Mein Vertrauen in die Politik ist
seit Langem zerstört.“ Also plant er keinen Rückkauf – und gibt so seine
Heimat ein zweites Mal auf. Seinen Namen will Klaus E. nicht in der Zeitung
gelesen sehen, „Tarnung muss leider sein“.
Die Bagger stehen derweil kurz vor der Landstraße L12, die Keyenberg mit
Holzweiler verbindet. Ab Juni soll die drei Kilometer lange Straße Teil des
großen Lochs werden, enden wird der Tagebau keine hundert Meter dahinter.
Ohne die L12 haben die BewohnerInnen vor allem in Holzweiler Sorge, dass
sie von der Außenwelt abgeschnitten werden: Es drohen Umwege von mehr als
zehn Kilometern. „Wir werden ein toter Ort.“
## 40 Millionen für den Ausbau eines Sportparks
Statt der Straße wurde ein schmaler, maroder Feldweg als Alternative
ausgewiesen, nur einspurig mit Ausweichbuchten. Ein Landwirt sagt: Da passe
nicht mal ein Trecker rein, geschweige denn ein Lkw. Die Menschen hängen
derweil Protestplakate an ihre Häuser und die ortsüblichen gelben Kreuze.
Beides, berichtet ein Anwohner der taz, sei häufig am nächsten Morgen
verschwunden.
Hunderte Millionen Euro will der Bund hier bis 2038 jedes Jahr für den
Strukturwandel bereitstellen. Details sind noch unklar – mit einer
Ausnahme: Nach Aachen, 30 Kilometer vom nächsten Tagebauloch entfernt,
fließen 40 Millionen Euro. Und wofür? Für den Ausbau des Sportparks Soers
mit Multifunktionsarena und einem neuen Stadion für das Pferdespektakel
Chio. Dennoch lobt das grüne NRW-Wirtschaftsministerium die
„Passgenauigkeit zum Strukturprogramm“.
23 Apr 2023
## LINKS
[1] /Polizeigewalt-in-Luetzerath/!5922311
[2] /Politische-Debatte-zur-Luetzerath-Raeumung/!5905116
[3] /Im-Nachbardorf-von-Luetzerath/!5915440
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Keyenberg
## AUTOREN
Bernd Müllender
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