| # taz.de -- IS-Shirt bei „Toptier Takeover“: Die Grenzen des Battle-Rap | |
| > Ein Kameramann bei einem großen Battle-Rap-Turnier trägt ein T-Shirt mit | |
| > Logo des „Islamischen Staats“. Reagiert die Szene angemessen darauf? | |
| Bild: Wütend über die Untätigkeit der Rapbattlezuschauer: Journalist Hubertu… | |
| Berlin taz | „Wir haben ein Problem und zwar ein ernstzunehmendes!“ So | |
| beginnt der Journalist Hubertus Koch [1][in der vergangenen Woche seine | |
| Youtube-Sendung „Einigkeit & Rap & Freiheit“ (ERF),] die zum | |
| öffentlich-rechtlichen Jugendformat Funk gehört. „Das ist eine rote Linie, | |
| die hier überschritten wurde und da gibt es kein Pardon.“ Was war passiert? | |
| Bei der auf Youtube übertragenen Battle-Rap-Veranstaltung „TopTier | |
| Takeover“ (TTT) steht ein Kameramann auf der Bühne, auf dessen T-Shirt das | |
| schwarze Banner zu sehen ist – die Fahne des „Islamischen Staats“, groß … | |
| deutlich. | |
| Während der Veranstaltung mit hunderten Zuschauern reagiert niemand – weder | |
| die Fans, noch die Organisatoren schreiten ein. Anschließend wird das Video | |
| für die über 475.000 Abonennten hochgeladen, das IS-Logo ist mehrfach zu | |
| sehen. Koch ist wütend. „Warum kann so ein starkes politisches Symbol bei | |
| dieser Veranstaltung unwidersprochen gezeigt werden?“, fragt er. „Warum | |
| steht da keiner auf und sagt: Nein, Dicker, kein Fußbreit den Faschisten! | |
| Warum nicht?“ | |
| Der Fall Deso Dogg habe gezeigt, dass der Übertritt aus der Rapszene in den | |
| „Islamischen Staat“ gemacht werden kann. [2][Deso Dogg war bis vor zehn | |
| Jahren in der Berliner Gangstarap-Szene aktiv,] bevor er als salafistischer | |
| Prediger in Erscheinung trat und sich schließlich im Jahr 2013 | |
| Dschihadisten in Syrien anschloss, wo er vermutlich im Januar 2018 getötet | |
| wurde. | |
| Kurz nach Kochs Kritik reagieren die TTT-Verantwortlichen. Der Kameramann | |
| gehöre nicht zum Team, habe bei dem Turnier in Frankfurt auf der Bühne | |
| Fotos schießen dürfen. „Wir distanzieren und komplett von dem Typen. Ich | |
| übernehme die Verantwortung und stelle alle betroffenen Videos offline“, | |
| erklärt der Rapper Tierstar, der das Battle-Turnier moderiert, in einer | |
| Videobotschaft. | |
| [3][In dem dreiminütigen Statement] wird von einer „Symbolik, die nicht mit | |
| unsere Wertevorstellung vereinbar ist“ gesprochen. Um was es genau geht, | |
| wird nicht gesagt. Der T-Shirt-Träger werde angezeigt. Tatsächlich ist das | |
| Tragen des schwarzen Banners in Deutschland ähnlich wie beispielsweise das | |
| Hakenkreuz verboten, da der „Islamische Staat“ als verfassungsfeindliche | |
| Organisation klassifiziert ist. | |
| ## Absurde Stellungnahme | |
| Auch der Shirtträger selbst meldet sich Stellungnahme zu Wort, die | |
| stellenweise absurd erscheint. „Das Shirt zu tragen war eine Beuys'sche | |
| Handlung. [4][Die Badewanne, die zum Putzen provoziert.] Dabei war es weder | |
| meine Absicht, jemanden bloß zu stellen, noch zur Gewalt aufzurufen, | |
| sondern alleinig aufzuzeigen, wie leichtfertig heute geurteilt oder einfach | |
| ignoriert wird“, erklärt er. Und weiter: „Mir wird bewusst, dass Klischees | |
| und Symboliken keiner genauen Identifizierung mehr unterliegen, sondern | |
| eine einfache Anlehnung schon reicht, um einen Shitstorm auszulösen.“ Koch | |
| akzeptiert dies nicht. „Du machst dich mit dieser Gruppe gemein. Das ist | |
| ein Solidarisieren“, [5][meint er in einem weiteren Video zum Vorfall.] | |
| Wer schon mal das eine oder andere Rapbattle gesehen hat, könnte über diese | |
| Kritik verwundert sein. Das Ziel der vorgetragenen Rap-Parts ist es meist, | |
| den Gegner zu demütigen, zu erniedrigen, fast schon lyrisch zu vernichten. | |
| Das kann durchaus unterhaltsam sein. Doch moralische Grenzen scheint es | |
| nicht zu geben – auch bei den großen und sehr erfolgreichen Formaten wie | |
| „TopTier Takeover“ oder dem nicht mehr existierenden „Rap am Mittwoch“. | |
| [6][Auf der Bühne dargebotene Frauen- und Schwulenfeindlichkeit,] Rassismus | |
| und Antisemitismus sind dabei alltäglich. Eine Fahne einer islamistischen | |
| Terrororganisation schockiert da offenbar kaum noch. Für Koch gibt es | |
| jedoch einen Unterschied: Das Battle sei ein „Boxkampf aus Worten“, sagt er | |
| in seiner Sendung, eine „Kunstform“, die er akzeptiere. „In dem Container | |
| des Battleraps sind die moralischen Grenzen weit, weit, weit verschoben. | |
| Links und rechts davon nicht.“ Der Fotograf stand zwar auf der Bühne, war | |
| aber nicht Teil des Battles. | |
| Anruf beim Rapper Ben Salomo, der gerade zur Bewerbung seines | |
| autobiografischen Buchs „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ auf der | |
| Leipziger Buchmesse ist. Er hatte jahrelang „Rap am Mittwoch“ (RAM) | |
| moderiert und sich im vergangenen Jahr aus der Hip-Hop-Szene | |
| zurückgezogenen – aufgrund gescheiteter Bemühungen gegen den Antisemitismus | |
| innerhalb der Szene. Mit den Grenzen des Sagbaren im Battle-Rap hat er sich | |
| ausführlich beschäftigt. | |
| ## Unkritische Szenemedien | |
| „Wenn die Leute sich auf der Bühne auf diesen Kampf einlassen, darf es | |
| erstmal in alle Richtungen gehen. Da bekommt jeder was ab. Doch ich ziehe | |
| eine klare Grenze bei Worten und Wortschöpfungen, die sich eindeutig im | |
| Nazi-Jargon verorten lassen“, sagt der jüdische Rapper zur taz. „Und | |
| rechtsextreme und islamistische Symbole gehen natürlich gar nicht – wenn | |
| diese auf Kleidungsstücken zu sehen sind, hat das den Rapkontext schon | |
| verlassen.“ | |
| Auf seiner RAM-Bühne hat Ben Salomo viel erlebt, doch vom IS-Shirt war | |
| sogar er überrascht. „Es ist seltsam, dass so ein weit verbreitetes Symbol | |
| niemandem auffällt. Wenn jede Grenze fällt, kann das schädlich für den | |
| gesellschaftlichen Frieden sein.“ Er kritisiert, dass die Glorifizierung | |
| von Islamismus, Frauenverachtung, Homophobie und Kriminalität von den | |
| Hip-Hop-Medien kaum kritisch hinterfragt würde. | |
| Zum aktuellen Vorfall meint er: „Das Schweigen der Hip-Hop-Medien ist | |
| ohrenbetäubend. Über meine Kritik an der Verbreitung von antisemitischen | |
| Denkmustern in der Rapszene wurde zwar in einigen Medien berichtet, sie | |
| hatte jedoch keine Konsequenzen.“ Andere Rapper seien nicht mit dieser | |
| Kritik konfrontiert worden. „Stattdessen können gewisse Protagonisten in | |
| Interviews wieder nahezu unwidersprochen Israel mit dem Nationalsozialismus | |
| vergleichen.“ | |
| [7][Auch in der Süddeutschen Zeitung wird kritisiert,] dass der Vorfall „in | |
| der Szene und seinen eigentlich extrem umtriebigen, sehr selbstbewussten | |
| und reichweitenstarken Internet-Medien überhaupt nicht vorkam“. Doch ist | |
| das wirklich so? Dem entgegenzuhalten wäre, dass das Hip-Hop-Format | |
| „Einigkeit & Rap & Freiheit“ den Vorfall öffentlich machte und sich die | |
| TTT-Veranstalter ebenfalls äußerten. | |
| Doch tatsächlich ist festzustellen, dass einige Hip-Hop-Medien unbequeme | |
| Themen wie Diskriminierung im Rap aussparen oder gar verleugnen. In vielen | |
| Interviews der reichweitenstarken Rap-Portale wie hiphop.de oder TV | |
| Straßensound wird nicht kritisch nachgefragt, damit die Stars auch | |
| weiterhin in die Sendungen kommen und für Klicks sorgen. Andere Portale wie | |
| allgood.de oder auch das splash! Mag sind da durchaus kritischer. | |
| Und auch der aktuelle Vorfall ist in vielen Szenemedien kein Thema. Dass es | |
| keine Diskussionen darüber gebe, stimmt jedoch keineswegs. Mit einem hat | |
| der SZ-Autor allerdings recht: Die Szene ist sich ihrer Verantwortung zu | |
| selten bewusst. Das IS-Shirt auf der großen Bühne wäre ein guter Anlass, | |
| darüber zu diskutieren. | |
| 22 Mar 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://youtu.be/ueNRXNnll5c | |
| [2] /Deso-Dogg-auf-US-Terrorliste/!5020814 | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=ADaxd9oAj0A | |
| [4] /Kunstwerk-von-Kippenberger-zerstoert/!5108279 | |
| [5] https://youtu.be/mtGXUGoh7sA | |
| [6] /Rapperin-Pilz-ueber-Live-Battle/!5401294 | |
| [7] https://www.sueddeutsche.de/kultur/hip-hop-rap-antisemitismus-kollegah-topt… | |
| ## AUTOREN | |
| Frederik Schindler | |
| ## TAGS | |
| Gangsta-Rap | |
| Rap | |
| HipHop | |
| Deutscher Hip Hop | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Islamismus | |
| Funk | |
| Islamismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Echo | |
| Antisemitismus | |
| Gangsta-Rap | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Jahresbericht „Islamismus im Netz“: Subtile Botschaften | |
| Islamistische Propaganda wird weiter stark über Soziale Medien verbreitet. | |
| Familienministerin Franziska Giffey kündigt ein neues Jugendschutzgesetz | |
| an. | |
| „English Rose“ von Connie Constance: Eine nicht-weiße Prinzessin | |
| Sängerin Connie Constance hat ihre eigene Stimme gefunden. Mit der erzählt | |
| sie Geschichten, in denen andere sich wiederfinden können. | |
| Letzte IS-Bastion in Syrien gefallen: Die Metamorphose des IS | |
| Kurdisch-arabische Einheiten haben den militärischen Sieg über den | |
| sogenannten „Islamischen Staat“ verkündet. Das Ende ist das noch lange | |
| nicht. | |
| Kommentar Ende des Echo: Musikpreis schafft sich ab | |
| Endlich gibt es den sinnlosen Musikpreis Echo in dieser Form nicht mehr. | |
| Von mehr Verantwortungsbewusstsein der Branche zeugt das aber leider nicht. | |
| „Echo“ für antisemitische Rapper: Verantwortung? Keine Kategorie | |
| Trotz gewaltverherrlichender und sexistischer Texte von Kollegah und Farid | |
| Bang wird ihr Album beim „Echo“ zum „HipHop-Album des Jahres“ gekürt. | |
| Rapperin Pilz über Live-Battle: „Frauenfeindlichkeit thematisieren“ | |
| Die Rapperin Pilz provozierte in einem Live-Battle gegen Macho-Rapper Nedal | |
| Nib mit einem Kopftuch. Jetzt erhält sie Morddrohungen. |