# taz.de -- Jahresbericht „Islamismus im Netz“: Subtile Botschaften | |
> Islamistische Propaganda wird weiter stark über Soziale Medien | |
> verbreitet. Familienministerin Franziska Giffey kündigt ein neues | |
> Jugendschutzgesetz an. | |
Bild: Beutel einer Teilnehmerin auf einer Kundgebung des salafistischen Predige… | |
BERLIN taz | Die Sozialen Medien sind ein sehr wichtiges Rekrutierungsfeld | |
für islamistische Akteure, um Kinder und Jugendliche zu erreichen. | |
Gewaltverherrlichende Darstellungen sind dabei im vergangenen Jahr deutlich | |
zurückgegangen. Die Akteure werben stärker mit subtilen Botschaften, | |
beispielsweise durch lebensweltnahe Propaganda auf jugendaffinen Diensten | |
wie Youtube und Instagram. Dies zeigt [1][der Lagebericht „Islamismus im | |
Netz 2018“ von jugendschutz.net,] den Bundesfamilienministerin Franziska | |
Giffey (SPD) am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. jugendschutz.net ist | |
ein gemeinsames Angebot des Bundes und der Länder. | |
Giffey kündigte bei der Vorstellung an, noch in diesem Jahr einen | |
Gesetzesentwurf zur Novellierung des Jugendmedienschutzes vorzulegen. | |
Anbieter und Plattformen müssten sicherstellen, dass „Kinder und | |
Jugendliche nicht mit extremistischen Inhalten konfrontiert und | |
radikalisiert werden“, so Giffey. Dafür bräuchte es niedrigschwelligere | |
Meldesysteme. | |
Das Jugendschutzgesetz müsse gerade angesichts der Herausforderungen durch | |
neue Kommunikationskanäle im Netz dringend überarbeitet werden, so die | |
Ministerin. Anbieter müssten verpflichtet werden, für Chats sichere | |
Voreinstellungen und klare Alterskennzeichnungen anzubieten. Eine | |
Neuregelung war bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD | |
vereinbart worden. Einzelheiten zum Gesetzentwurf werden erst in den | |
kommenden Monaten vorgestellt, teilte ein Sprecher des Familienministeriums | |
auf Anfrage der taz mit. | |
Die Familienministerin sprach sich bei der Vorstellung in Berlin auch gegen | |
die Pläne ihres Kabinettskollegen Horst Seehofer (CSU) aus, die | |
Altersgrenze von 14 Jahren bei der Speicherung von Daten Minderjähriger zu | |
streichen. [2][Der Innenminister will, dass auch Kinder vom | |
Verfassungsschutz überwachen können.] „Ich bin nicht der Meinung, dass | |
Kinder per sé zu Tätern stigmatisiert werden sollten“, sagte Giffey. | |
## Fortschritte bei der Löschung von Inhalten | |
Wenn Kinder in islamistischen Familien aufwachsen, befänden sie sich selbst | |
in einer Gefährdungslage. Die oberste Aufgabe des Staates sei es dann, den | |
Kindern zu helfen und ihnen Alternativen aufzuzeigen. Überwacht werden | |
müssten diejenigen, die die Kinder beeinflussen und radikalisieren. „Wir | |
brauchen Prävention, wir brauchen Schutz und wir brauchen ein konsequentes | |
Vorgehen gegen die Straftaten, die Erwachsene begehen, wenn sie Kinder und | |
Jugendliche radikalisieren“, forderte sie. | |
Das Kompetenzzentrum jugendschutz.net registrierte 2018 insgesamt 872 | |
Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen, darunter 491 Verwendungen von | |
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, 174 Kriegsverherrlichungen | |
sowie 172 Gewaltdarstellungen und Verletzungen der Menschenwürde. | |
Stefan Glaser von jugendschutz.net führt den Rückgang von | |
Gewaltdarstellungen auf vier Faktoren zurück: Durch die | |
Territoriumsverluste des „Islamischer Staats“ (IS) gab es weniger durch den | |
IS verbreitetes Propagandamaterial, durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz | |
und andere Regelungen wurden Inhalte schneller gelöscht und auch die | |
verbreiteten Akteure kennen die rechtlichen Grenzen. Außerdem gebe es aber | |
auch ein strategisches Element: „Die Jugendlichen werden da abgeholt, wo | |
sie sich bewegen“, so Glaser. Die Botschaften fänden mehr im Verborgenen | |
statt. | |
Bei der Löschung und Sperrung strafbarer Inhalte stellt jugendschutz.net | |
Fortschritte fest. In 82 Prozent der Fälle wurde diese erreicht, fast | |
ausschließlich durch direkten Kontakt mit den Providern. Schlusslicht ist | |
hierbei der verschlüsselte Chat-Dienst Telegram, bei dem nur 58 Prozent der | |
gemeldeten Fälle gelöscht oder gesperrt wurden. „Das ist absolut | |
ungenügend“, kritisierte Glaser. Telegram ist der einzige Dienst, zu dem | |
das Angebot keinen direkten Kontakt hat. | |
## Anknüpfen an aktuelle Debatten | |
Islamistische Inhalte werden laut Lagebericht seltener militant, und dafür | |
umso subtiler verbreitet. Die Akteure docken dabei an jugendkulturelle | |
Phänomene und Debatten an, um ein möglichst großes und junges Publikum | |
anzusprechen. Dies geschieht beispielsweise durch eine eingängige | |
Visualisierung ideologischer Kernelemente. „Oft knüpft die islamistische | |
Propaganda dabei auch an das Gerechtigkeitsgefühl junger Menschen oder an | |
Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung an“, heißt es in dem Bericht. | |
Giffey spricht hier von „Menschen, die in einem Identitätskonflikt sind, | |
die selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht haben.“ Da sei es „ein | |
verheißungsvolles Versprechen, wenn jemand sagt, „hier gehörst du dazu, | |
hier bist du Bruder und Schwester“. Wenn sich jemand nicht zugehörig fühle, | |
folge oft eine Abgrenzung. Sie wies auf Nachfrage zurück, dass sie damit | |
lediglich antimuslimische Einstellungen von Nicht-Muslimen für | |
islamistische Einstellungen von Muslimen verantwortlich mache. | |
„Es geht mir nicht um eine Rechtfertigung und ich behaupte auch keinen | |
Automatismus oder Kausalzusammenhang“, so Giffey deutlich. Es gebe jedoch | |
bestimmte Einflussfaktoren und dabei würden auch Abwertung und | |
Diskriminierung eine Rolle spielen. Auf die Nachfrage, dass es auch andere | |
diskriminierte Gruppen gibt, in denen islamistische Einstellungen kaum | |
verbreitet sind, betonte sie die Gefahr einer Pauschalisierung: Nur ein | |
kleiner Teil von denjenigen, die Diskriminierung erfahren, würde radikal | |
werden. | |
Der vorgestellte Bericht nennt verschiedene Beispiele, bei denen | |
islamistische Propaganda gezielt an aktuelle Debatten anknüpft. So sei | |
[3][die Rassismusdebatte um den Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen | |
Fußballnationalmannschaft] durch islamistische Akteure missbraucht worden. | |
„Propagiert wurden der Zusammenschluss ‚aller Muslime‘ und gleichzeitig d… | |
Abgrenzung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. Salafisten und andere | |
islamistische Akteure wollen so gesellschaftliche Konfliktlinien | |
vertiefen“, heißt es in dem Bericht. | |
## „Simples Freund-Feind-Schema“ | |
Wichtig im letzten Jahr sei auch die [4][Twitter-Kampagne | |
#NichtOhneMeinKopftuch der islamistischen Gruppierung „Generation Islam“] | |
gewesen. Diese behauptete ein angeblich drohendes Kopftuchverbot im | |
öffentlichen Raum. Unter diesem Vorwand „nutzten islamistische Akteure den | |
Hashtag, um ihre Botschaften zu verbreiten“, so der Bericht. Dabei sei ein | |
„simples Freund-Feind-Schema“ verwendet worden. „Diese | |
Wir-Ihr-Feindbildkonstruktion funktioniert ähnlich wie im | |
Rechtsextremismus“, so Götz Nordbruch vom Verein Ufuq, der in der | |
politischen Bildungsarbeit und Islamismusprävention angesiedelt ist. | |
Eine besondere Herausforderung für die Präventionsarbeit sei die große | |
Reichweite zahlreicher islamistischer Angebote. So hat beispielsweise der | |
salafistische Prediger Pierre Vogel – Stand Dienstag – über 311.000 Fans | |
auf Facebook. Laut Verfassungsschutz haben salafistische Gruppierungen | |
[5][in Deutschland 11.200 Anhänger.] Die große Teil von Vogels | |
Facebook-Fans sei also nicht radikal, so Nordbruch. Dort würden allerdings | |
Themen und Bedürfnisse bedient, die ihnen wichtig seien. | |
2 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hass-im-netz.info/themen/detail/artikel/bericht-2018-islamismus… | |
[2] /Seehofer-will-Verfassungsschutz-aufruesten/!5580037 | |
[3] /Mesut-Oezil-rechnet-ab/!5523135 | |
[4] https://www.br.de/nachricht/faktencheck/nicht-ohne-mein-kopftuch-wer-steckt… | |
[5] https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamis… | |
## AUTOREN | |
Frederik Schindler | |
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