| # taz.de -- Debatte Kopftuch für Minderjährige: Mit erhobenem Haupt | |
| > Die Organisation „Terre des Femmes“ fordert ein Verbot des | |
| > Kinderkopftuchs. Diskriminierungskritische Pädagogen widersprechen. | |
| Bild: Beim Public Viewing während der WM 2018 | |
| Der ewige Streit über das Kopftuch, er schwelt weiter. Dabei scheint das | |
| Thema längst ausdiskutiert, scheinen die Positionen klar zu sein, ohne dass | |
| sich ein Kompromiss abzeichnet. Kulturelle und religiöse Selbstbestimmung | |
| gegen Diskriminierung und Sexualisierung der Frau. Jungfeministinnen gegen | |
| Altfeministinnen. Die Diskussion ein Grabenkampf, völlig angstbesetzt, weil | |
| Rassismusvorwürfe lauern, die jederzeit auch die kompetentesten und | |
| aufrichtigsten Kritikerinnen treffen können. | |
| Vermutlich pflegen trotzdem viele hierzulande ihre mehr oder weniger | |
| starken Ressentiments gegen das Tuch. Und das liegt nicht gleich an einem | |
| antimuslimischen Rassismus oder der bösartigen Verstocktheit unserer weißen | |
| Gesellschaft, sondern auch daran, dass der politische Islam die weibliche | |
| Kopfbedeckung zu seinem politischen Symbol erkoren hat. Das Kopftuch ist | |
| eben kein cooles Modeaccessoire, es symbolisiert immer noch Zwang und | |
| geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen. Auch wenn es manche | |
| muslimische Frauen selbstbewusst, demonstrativ und elegant tragen. | |
| Zuletzt im April flammte der Streit über das Kopftuch erneut auf. | |
| Diskriminierungskritische Pädagogen meldeten sich zu Wort mit einer | |
| Gegenpetition zur Petition der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes, | |
| „Den Kopf frei haben“. [1][In der Petition von Terre des Femmes] wird „ein | |
| gesetzliches Verbot des Kinderkopftuches im öffentlichen Raum, vor allem in | |
| Ausbildungssituationen für alle minderjährigen Mädchen bis zum 18. | |
| Lebensjahr“ gefordert. | |
| ## Was ist eigentlich dramatisch? | |
| Die vor akademischer Kompetenz strotzende Liste der | |
| diskriminierungskritischen Unterzeichner hält dagegen: „Die Forderung nach | |
| einem Kopftuchverbot für Minderjährige stellt einen starken Eingriff in die | |
| Selbstbestimmung junger Menschen dar, führt zu weiteren Eingriffen in ihre | |
| Lebensbedingungen und Teilhabechancen und legitimiert die schon bestehende | |
| Diskriminierung kopftuchtragender Musliminnen. Allein die Debatte führt | |
| dazu, dass die betroffenen Mädchen und jungen Frauen noch mehr auf diesen | |
| Teil ihres Lebens reduziert werden. Nicht zuletzt greift die Forderung nach | |
| einem Kopftuchverbot massiv in die menschenrechtlich und grundgesetzlich | |
| verbriefte Religionsfreiheit ein. “ [2][Ihre Argumente sind schlagkräftig | |
| und überzeugen]d. Vor allem plädieren sie für einen entdramatisierenden | |
| Zugang zu diesem vielschichtigen Thema. | |
| Aber ist es tatsächlich dramatisch, das Kinderkopftuch in der Schule zu | |
| verbieten? Nein, denn bei aller pädagogischer Empathie: Solange es den | |
| Zwang zu islamischen Kleiderordnungen im größerem Maßstab gibt, wird die | |
| Diskussion über das Kopftuch das repressive Thema nicht los. „Es gibt | |
| zahlreiche Rückmeldungen aus LehrerInnen-Netzwerken und aus unserer noch | |
| laufenden Umfrage unter Lehrkräften, dass gerade an Schulen viele Mädchen | |
| einem enormen Druck ausgesetzt sind, ein Kopftuch tragen zu müssen“, | |
| schreibt Terre des Femmes. „Verweigern sie sich, werden sie psychisch unter | |
| Druck gesetzt und öffentlich beschimpft. Sie tragen das „Kinderkopftuch“ | |
| auch, um die Familie, die Community nicht zu enttäuschen.“ | |
| Das Kopftuch ist ein Symbol des politischen Islam, aber auch ein Symbol für | |
| Rückwärtsgewandtheit und das Verwurzeltsein in alten patriarchalen | |
| Strukturen, die Mädchen weniger Freiheit und Selbstbestimmung zubilligen | |
| als Jungen. Mit der Migration der vergangenen Jahre sind viele | |
| traditionsbewusste Eltern nach Deutschland gekommen, die ihre Töchter früh | |
| an das Kopftuch gewöhnen wollen. Es ist auch in Deutschland, vor allem in | |
| Bezirken mit starker Zuwanderung, wieder präsenter geworden. | |
| Ein Verbot des Kinderkopftuchs in Schulen ist machbar und überlegenswert. | |
| Der freie Kopf als schulischer Dresscode. Dagegen ist die Umsetzung eines | |
| allgemeinen Kopftuchverbots für minderjährige Mädchen im öffentlichen Raum, | |
| also auch auf der Straße, absurd. Soll etwa das Alter der Kopftuchtragenden | |
| überprüft werden? Wäre das überhaupt verfassungskonform? Die zu allgemeine | |
| Forderung nach einem Verbot des Kinderkopftuchs mag für viele die | |
| Unterzeichnung der Terre-des-Femmes-Petition erschweren. | |
| Realität ist: Heftige Abwehr, Hass und andere Emotionen erzeugt der | |
| Schleier dort, wo er als real existierende Bedrohung besteht. In Tunis, | |
| Kairo, Teheran und anderswo in der muslimischen Welt geht es um die | |
| kulturelle Hegemonie von religiösen oder säkularen Kräften. Und Frauen sind | |
| die eindeutigen Verlierer, wenn sie unterm Kopftuch verschwinden, wenn sie | |
| als komplementär und nicht gleichberechtigt mit dem Mann definiert werden. | |
| Die Angst vor der kulturellen Hegemonie der fanatischen Religiösen ist dort | |
| begründet. Sie ist weder dort noch hier die Angst eines überholten | |
| Altfeminismus. | |
| ## Ungewöhnliche Koalitionen | |
| Für und gegen das Verbot ergeben sich ungewöhnliche Koalitionen. Liberale | |
| Muslime wie Ahmad Mansour oder Seyran Ateş, die ein konservatives | |
| Islamverständnis kritisieren, wie auch konservative deutsche Politiker, | |
| aber auch Lehrerverbände sehen das Kopftuch als Gefahr für die | |
| Selbstbestimmung der Mädchen und für ihre Integration. Das | |
| Integrationsministerium von NRW erwägt ein Kopftuchverbot für muslimische | |
| Mädchen unter 14 Jahren. | |
| Der Islamismusexperte Ahmad Mansour sagt: „Wir brauchen ein Verbot, um | |
| Kindern zu ermöglichen, ideologiefrei aufzuwachsen – ohne | |
| Geschlechtertrennung und Sexualisierung.“ Der deutschpalästinensische | |
| Psychologe bezeichnete den Kopftuchzwang für ein Kind als „eine Form von | |
| Missbrauch“. Er wird als Opportunist beschimpft. | |
| Doch ein Kopftuchverbot an Schulen, damit Schülerinnen den Kopf frei haben, | |
| wäre eine klares Bekenntnis zur Gleichstellung von Mädchen, und würde | |
| klarstellen, welche reaktionären Praktiken wir als Gesellschaft ablehnen. | |
| 9 May 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.frauenrechte.de/online/themen-und-aktionen/gleichberechtigung-u… | |
| [2] https://www.rassismuskritik-bw.de/nein-zum-kopftuchverbot/ | |
| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
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