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# taz.de -- Homophobie in Georgien: Hass im Namen Gottes
> Nach der Absage einer Pride hetzt die orthodoxe Kirche wieder gegen
> sexuelle Minderheiten. Mehr denn je fürchten Queers dieser Tage um ihr
> Leben.
Bild: Hat Todesängste ausgestanden: die Queer-Aktivistin Ana Subeliani
Tiflis taz | Wie oft haben Sie schon der Liveübertragung einer Beerdigung
beigewohnt? Am Dienstag dieser Woche strahlt der georgische Fernsehsender
TV Priveli die Beisetzung seines Kameramannes [1][Alexander Laschkarawa]
aus, der Tags zuvor tot in seinem Bett aufgefunden worden ist. Die
Übertragung dauert mehrere Stunden, vor allem Medienmacher*innen
geben Laschkarawa das letzte Geleit.
Alles beginnt damit, dass sich am 5. Juli queere Menschen, die in Georgien
leben, zu einem Marsch des Stolzes (Pride) versammeln. Die Kundgebung wird
abgesagt – einige tausend Menschen sind der Meinung, dass die
Versammlungsfreiheit von Queers georgischen Traditionen widerspricht. Den
ganzen Tag über verwüsten sie Büroräume von Bürgerrechtler*innen und
verprügeln 53 Journalist*innen.
Laschkarawa ist einer von ihnen. Gibt es eine Verbindung zwischen seinen
Verletzungen und seinem Tod? Das sollen jetzt Untersuchungen klären.
Journalist*innen und die politische Opposition glauben, dass die
Staatsmacht beschlossen habe, die Medien einzuschüchtern. Daher fordern sie
den Rücktritt von Regierungschef Irakli Garibaschwili.
Auch die Queer-Aktivistin Ana Subeliani (31) aus Tiflis, eine*r der
Organisator*innen des Marsches, ist für den Rücktritt. Doch
gleichzeitig macht sie sich Sorgen, weil die Opposition und die Medien
praktisch nicht mehr über die Probleme von queeren Personen sowie den
Hauptgrund für diese tragischen Ereignisse sprechen – Homophobie. Ja,
schlimmer noch: Fast niemand wagt zu sagen, dass die orthodoxe Kirche
hinter den Radikalen steht.
## Haustür eingetreten
„Ich habe es gerade noch geschafft abzuschließen, da fingen sie schon an,
auf die Tür unseres Büros einzudreschen. Wir versuchten durch den
Hinterausgang zu entkommen, doch da hatten sie schon die Haustür
eingetreten und liefen hinter uns her“, erinnert sich Subeliani an den 5.
Juli.
Radikale Schläger stürmen das Büro der Bewegung Sirzchwilija (Schande) im
Zentrum von Tiflis, wo sich zur gleichen Zeit Dutzende Queer-Aktivist*innen
aufhalten. Während Alexander Laschkarawa zusammengeschlagen wird, versuchen
Subeliani und zwei weitere Aktivist*innen, sich im Hof des
Nachbarhauses zu verstecken.
„Wir klopften an verschiedene Türen, aber niemand ließ uns hinein“, erzä…
Ana. „Ein Mann öffnete und sagte zu uns: ‚Wenn ihr gute Menschen wärt,
müsstest ihr euch nicht verstecken.‘ Ich weiß nicht, ob er uns kannte oder
einfach nur erraten hat, vor wem wir davon liefen. Dann sagte er: ‚Wenn ihr
nicht geht, bringe ich euch eigenhändig um.‘“
Sie habe Todesängste ausgestanden, sagt Ana. „Die anderen suchten uns zu
diesem Zeitpunkt immer noch und ich wusste eins ganz genau: Wenn sie uns
finden, werden sie uns einfach in Stücke reißen.“
## Von der Meute aufgespürt
Letztendlich erwischen die Aktivist*innen ein Taxi und fahren weg. Der
nächste Anlaufpunkt: Die UN-Vertretung in Georgien. Doch bald darauf
tauchen auch dort Radikale auf. Einige Zeit später fahren sie zum Büro
einer weiteren Nichtregierungsorganisation. Dasselbe Spiel: Auch dort
findet die Meute sie.
Woher kennt sie den genauen Aufenthaltsort der Aktivist*innen? Ana
Subeliani kann darüber nur mutmaßen. Gesetzeswidrige Abhöraktionen – sie
sind ein gravierendes Problem in Georgien. Daher schließt sie nicht aus,
dass der staatliche Sicherheitsdienst dahinter steckt.
„Das alles ist seltsam“, sagt Ana. „Wir kommunizieren nur über Telegram …
Signal und auch nur in geschlossenen Gruppen. Daher sind die
Sicherheitsdienste eigentlich die einzige Möglichkeit. Wir haben mit
niemanden gesprochen, sogar die Journalist*innen wussten nicht, wo wir
sind … ich verstehe das nicht … Aber sie schienen immer sofort zu wissen,
wo wir waren.“ Aber warum verrät die Staatsmacht radikalen Kräften den
Aufenthaltsort von Aktivist*innen und provoziert dadurch Gewalt?
Einige Tage, nachdem die Behörden es nicht vermocht hatten, die Freiheit
einer friedlichen Ansammlung von Queer-Personen zu gewährleisten und
Journalist*innen sowie Aktivist*innen vor einer wütenden Menge zu
schützen, gibt Regierungschef Irakli Garibaschwili eine offizielle
Stellungnahme ab. „Wenn 95 Prozent unserer Bevölkerung gegen demonstrative
propagandistische Märsche und Paraden sind, sollten wir uns dem
unterordnen. Das ist die Meinung einer absoluten Mehrheit unserer
Bevölkerung. Wir, die wir vom Volk gewählt sind, sind gezwungen, das zu
berücksichtigen. Das werden wir immer tun. In diesem Land wird eine
Minderheit niemals über das Schicksal einer Mehrheit entscheiden.“
## Ernsthaftes Problem
Gegen diese Worte wenden sich nur einige Nichtregierungsorganisationen und
Bürgerrechtsaktivist*innen. Kein einziger oppositioneller Politiker
kritisiert die Erklärung des Regierungschefs. Ana Subeliani sagt, dass
Homophobie in Georgien zwar ein ernsthaftes Problem sei. Sie glaube jedoch
nicht, dass 95 Prozent der Bevölkerung etwas dagegen hätten, wenn sie durch
die Straßen laufe.
Ihrer Meinung nach habe der Ministerpräsident der liberalen Demokratie
offiziell eine Absage erteilt und einer „Diktatur der Mehrheit“ das Wort
geredet, da Homophobie in Georgien keine politische Dividende bringe. Die
Unterstützung von queeren Personen hingegen sei ein unpopulärer Schritt.
Daher schweige die Opposition.
„Der Populismus ist das Hauptproblem der georgischen Politik“, meint Ana
und fügt hinzu, dass die Staatsmacht und [2][die Kirche] schon in den
kommenden Tagen die Gesellschaft weiter mit Hass, Stereotypen und
Glaubenssätzen manipulieren würden. Daher werde die Gefahr für queere
Menschen wachsen und Angriffe auf Personen wegen ihres Äußeren weiter
zunehmen.
Seit Beginn dieser Woche hat sich die Lage noch einmal verschärft.
Landesweit werden in Georgien 10 tätliche Angriffe registriert. Das Motiv:
Das äußere Erscheinungsbild der Opfer.
## Tod in Rustavi
Am Donnerstag meldet die oppositionelle Website SOVA, dass in der Stadt
Rustavi ein 27-Jähriger angegriffen und getötet worden sei. Sein ein Jahr
jüngerer Begleiter sei ebenfalls angegriffen und verletzt worden. Er sei
notoperiert worden. Laut Aussagen von Anwohner*innen sei den Angriffen
ein Streit vorausgegangen, da eines der Opfer einen Regenschirm bei sich
und der andere Betroffene lange Haare gehabt habe. Die Ermittlungen laufen.
Dass Homophobie eine ernst zu nehmende Herausforderung für die georgische
Gesellschaft ist, zeigt eine Umfrage des Europarates aus dem Jahr 2018.
Demnach sind 34 Prozent der Befragten der Meinung, dass LGBTQ-Menschen
nicht an Wahlen teilnehmen sollten, 54 Prozent wollen sie nicht als
Nachbar*innen haben, Geschäftsbeziehungen mit Vertreter*innen dieser
Community lehnen 70 Prozent ab.
Ana Subeliani sagt, dass Queers nach den tragischen Ereignissen des 5. Juli
zu Geiseln der politischen Umstände geworden seien.
„Oppositionspolitiker*innen und Journalist*innen wollen nicht über uns
reden. Sie glauben, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für politische
Veränderungen gekommen sei. Das Thema Gewalt gegen Journalist*innen
funktioniert viel effektiver als die Verfolgung queerer Menschen. Sie
wissen, dass wir unterdrückt werden. Aber sie wissen auch, dass das die
Mehrheit der Bevölkerung kalt lässt. Daher werden wir beiseite geschoben.
Sie glauben, dass das für ihre Ziele besser ist.“
## Freispruch für Kirchenmänner
Wird es gelingen, alle Schuldigen vor Gericht zu bringen? Mehr als 100
Personen, die an den Zusammenstößen beteiligt waren, wurden bereits
festgenommen. Darunter ist jedoch kein Kirchenvertreter, obwohl auf vielen
Fotos Priester zu sehen sind. In einem Video ruft ein Priester die Menge
offen zu Gewalt auf.
Das Gleiche war in Tiflis schon einmal passiert am, 17. Mai 2013, dem
Internationalen Tag gegen Homophobie. Eine Menge, die von Kirchenvertretern
angeführt wird, durchbricht einen Polizeikordon. Sie greift
Aktivist*innen an, die auf dem zentralen Platz in der georgischen
Hauptstadt demonstrieren.
Am 23. September spricht das Tiflisser Stadtgericht vier Vertreter der
Kirche frei, die an den Zusammenstößen beteiligt waren.
Menschenrechtler*innen werten die Entscheidung des Gerichts als Signal
an all diejenigen, die sich im Recht wähnen, wenn sie Gewalt anwenden. Das
heißt: In Georgien können Hassverbrechen straflos begangen werden.
Die Macht des Patriarchats in Georgien wird schon lange gemessen.
Verschiedenen Umfragen zufolge liegt die Zustimmung zur Kirche stabil bei
90 Prozent. Patriarch Ilja II. ist die angesehenste und einflussreichste
Person des Landes.
Rund 300 Millionen Lari (umgerechnet rund 81 Millionen Euro) hat das
Patriarchat in den vergangenen 19 Jahren aus dem Staatshaushalt erhalten.
Hinzu kommen hunderttausende Quadratmeter Land und Immobilien.
## Mehr als 11.000 Unterschriften
Die juristische Grundlage dafür ist eine Verfassungsvereinbarung zwischen
Staat und Kirche aus dem Jahr 2002. Gemäß dieses Dokuments erkennt der
Staat die besondere Rolle der orthodoxen Kirche in der Geschichte des
Landes an und verpflichtet sich, Schäden, die zu Sowjetzeiten entstanden
sind, zu kompensieren.
Seit dieser Woche gibt es eine Online-Petition mit der Forderung, dieses
Konkordat rückgängig zu machen. Mehr als 11.000 Personen haben bereits
unterschrieben. Opposition und Regierung äußern sich nicht dazu.
Ana Subeliani erklärt diese Zurückhaltung damit, dass die Opposition
fürchte, Wähler*innen abzuschrecken und Medien Angst hätten, an
Reichweite einzubüßen. „Doch jetzt wird es auch für mich schwieriger, die
Dinge beim Namen zu nennen. Der Tod des Journalisten und die Art des
Kampfes, die die Medien gewählt haben, zwingen mich dazu, jedes Wort noch
mehr als früher abzuwägen.
Ana ist seit einigen Tagen mit dem Coronavirus infiziert. Sie ist zu Hause.
Dort ist ihre körperliche Unversehrtheit nicht bedroht und sie hat Zeit zum
Nachdenken. „Wenn die Worte, die die Menschen jetzt benutzen, nicht
aufrichtig sind, glaube ich nicht, dass dieser Kampf Ergebnisse bringen
wird. Leute, wenn ihr jetzt nicht die Kraft habt zu sagen, dass wir Queers
unterdrückt werden und wie viel Böses die Kirche verbreitet, wie kann ich
euch da vertrauen? Woher weiß ich, dass nicht die Zeit kommen wird, wo ihr
genauso auftreten werdet?“, fragt sie.
Am Mittwoch dieser Woche unterbrechen TV Priveli und andere oppositionelle
Fernsehsender für 24 Stunden ihr Programm. Sie fordern erneut den Rücktritt
des Regierungschefs. Und sie sagen: Da der Ministerpräsident den Medien den
Krieg erklärt habe, müssten sie seiner Herrschaft ein Ende setzen.
Der Autor war 2017 Teilnehmer am Osteuropa-Workshop der taz Panter Stiftung
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
16 Jul 2021
## LINKS
[1] /Homophobe-Gewalt/!5781030
[2] /Gewalt-gegen-Queers-in-Georgien/!5780619
## AUTOREN
Sandro Gvindadze
## TAGS
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