# taz.de -- Historikerin über Kinder im KZ: „Der Tod war für sie normal“ | |
> Weil die meisten starben, weiß man wenig über Kinder im KZ. Historikerin | |
> Diana Gring hat aus Überlebenden-Interviews eine Ausstellung gemacht. | |
Bild: Einziger Trost: Lumpenpuppe eines damals elfjährigen Mädchens im KZ Ber… | |
taz: Frau Gring, man weiß nur wenig über Kinder in Konzentrationslagern – | |
warum? | |
Diana Gring: Weil die meisten Kinder, die zu Verfolgungsgruppen gehörten, | |
in der NS-Zeit umgebracht wurden. Überleben durfte nur, wer arbeiten | |
konnte. Dazu gehörten Kinder unter 14 Jahren im Allgemeinen nicht. Deshalb | |
wurden sie meist direkt in reine Vernichtungslager deportiert und kamen | |
nicht in das KZ-System, wie man es in [1][Bergen-Belsen oder Neuengamme] | |
hatte. In Bergen-Belsen, von dem diese Wanderausstellung vorrangig handelt, | |
waren allerdings relativ viele Kinder. | |
Warum das? | |
Weil Bergen-Belsen als sogenanntes Austauschlager gegründet wurde. Dort | |
hat man jüdische Familien mit ihren Kindern als Geiseln gefangen gehalten, | |
um sie auszutauschen – gegen im Ausland internierte Deutsche oder gegen | |
Geld. Eine größere Gruppe wurde zum Beispiel in die Schweiz „verkauft“ und | |
so gerettet. Auch mit Palästina, Spanien und der Türkei gab es Austausche. | |
Ein zweiter Grund für die relativ vielen Kinder in Bergen-Belsen waren die | |
Räumungstransporte und [2][Todesmärsche aus anderen Lagern] nach dort gegen | |
Ende des Krieges. Damals räumten die Nazis viele Lager, um Spuren zu | |
verwischen. Aus Ravensbrück etwa kamen viele Frauen mit Kindern, aber auch | |
Schwangere. In den letzten Monaten vor Kriegsende wurden in Bergen-Belsen | |
ungefähr 200 Kinder geboren. Insgesamt waren in den zwei Jahren des | |
Bestehens von Bergen-Belsen circa 3.500 der 120.000 Häftlinge Kinder unter | |
15 Jahren. | |
Wie viele dieser Kinder starben? | |
Wir wissen es nicht genau. Kurz vor Kriegsende, bevor die britischen | |
Alliierten kamen, wurde die gesamte Lagerregistratur von Bergen-Belsen | |
verbrannt. Oft wurden Kinder im KZ-System auch nicht als eigenständige | |
Personen registriert. In den wenigen überlieferten Dokumenten steht dann | |
„Mutter mit Kind“, oder „Frau, 8. Monat schwanger“. Wir schätzen, dass | |
circa 600 Kinder in Bergen-Belsen starben. | |
Auf welchen Quellen fußt Ihre Ausstellung? | |
Vor allem auf seit 20 Jahren geführten Interviews mit | |
[3][Kinder-Überlebenden], denen wir oft erst sagen mussten, dass sie | |
wichtige ZeugInnen sind, obwohl den Jüngsten unter ihnen die bewusste | |
Erinnerung fehlt. | |
Um welche Fragen ging es? | |
Zum Beispiel um das Lernen: Wie haben Eltern versucht, Kindern auch unter | |
diesen Bedingungen etwas beizubringen – etwa das Zählen beim Appell oder | |
anhand von Leichen? Wie kümmerten sich Mithäftlinge um Waisen? Die | |
Ausstellung zeigt beispielsweise ein Paar Handschuhe, das eine damals | |
Elfjährige, die allein nach Bergen-Belsen kam, von einer Mitgefangenen | |
zugesteckt bekam. Es war das Einzige, was sie hatte, was ihr Wärme gab – | |
für sie ein wichtiges Zeichen von Hilfe und Solidarität. | |
Wie hat das KZ das weitere Leben dieser Kinder geprägt? | |
Umfassend. Die Kinderhäftlinge hatten dieselben katastrophalen | |
Lebensbedingungen wie die Erwachsenen. Sie haben Hunger gelitten, Gewalt | |
erlebt, Angehörige neben sich sterben sehen. Die Folgen dieses extremen | |
Traumas bestehen meist ein Leben lang, physisch wie psychisch. Das gilt | |
auch für jene, die keine eigenen Erinnerungen an die Lagerzeit haben. | |
Wie haben sie den allgegenwärtigen Tod verkraftet? | |
Viele sagen heute, dass sie damals völlig abgestumpft waren. Dass es für | |
sie normal war, dass sie damals nicht begriffen haben, wie furchtbar das | |
alles war. Etliche waren ja in die Verfolgung hineingeboren worden. Sie | |
kannten gar kein normales Leben und hatten 1945 Schwierigkeiten, sich in | |
den Alltag einzufinden. Viele haben die Hilfe von Psychologen und | |
Traumatherapeuten gebraucht. | |
1 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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