# taz.de -- Hilfsarbeiter über Krise im Jemen: „Vom Hungertod bedroht“ | |
> Die UN laden zur Jemen-Geberkonferenz nach Genf. Nothilfe-Koordinator | |
> Marten Mylius über eine der schlimmsten humanitären Katastrophen der | |
> Welt. | |
Bild: Es fehlen Medikamente, Essen und Wasser: Mädchen in einem Flüchtlingsla… | |
taz: Herr Mylius, im Jemen herrscht nicht nur Krieg, sondern auch eine | |
Hungerkatastrophe. Hunderttausenden droht der Hungertod. Warum ist das | |
Interesse an dieser Krise so gering? | |
Marten Mylius: Seit Beginn des Krieges haben wir sehr wenige Flüchtlinge | |
aus dem Land gesehen. Nur rund 180.000 Menschen haben den Jemen verlassen. | |
Wenn wir Hunderttausende Jemeniten am Mittelmeer gesehen hätten, wäre die | |
Aufmerksamkeit sicher größer gewesen. | |
Wohin flüchten die Jemeniten? | |
Hauptsächlich in die Nachbarländer. Anfangs sind einige auch über das Meer | |
nach Dschibuti geflüchtet. Aber dort endet man mitten in der Wüste bei 50 | |
Grad. Da geht's nicht weiter. Viele sind wieder zurückgekehrt. | |
Jemens nördlicher Nachbar Saudi-Arabien führt die Militärkoalition gegen | |
die jemenitischen Huthi-Rebellen an, die gegen die Regierung von Präsident | |
Abd Rabbo Mansur Hadi kämpfen. Können Zivilisten sich nach Saudi-Arabien | |
retten? | |
Von den 180.000 Jemeniten, die das Land verlassen haben, ist der Großteil | |
nach Saudi-Arabien gegangen. Aber mittlerweile wurden die Grenzanlagen | |
dermaßen verstärkt, dass es oft lebensgefährlich ist, die Grenze zu | |
überqueren. Da auch der Flughafen in der Hauptstadt Sanaa für kommerzielle | |
Flüge geschlossen wurde, gibt es kaum legale Möglichkeiten, aus dem Land | |
herauszukommen. | |
Warum ist Hunger ein solches Problem im Jemen – anders als in anderen | |
Kriegsgebieten? | |
Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Region, Unterernährung gab es | |
schon vor dem Krieg. Nur wenige Menschen bauen Nahrungsmittel an, zwischen | |
80 und 90 Prozent müssen importiert werden. Zusätzlich hat der Anbau von | |
Kat andere Pflanzen verdrängt hat. Die Jemeniten konsumieren dieses milde | |
Narkotikum sehr viel. Und weil Kat auch den Hunger unterdrückt, hat sich | |
das in der Krise noch verschärft. Hinzu kommt, dass im Krieg die Einkommen | |
weggebrochen sind und viele schlicht kein Geld für Nahrungsmittel haben. | |
Auch die Regierung hat die Zahlung der Beamtengehälter ausgesetzt. Wie | |
wirkt sich das aus? | |
Seit über einem halben Jahr haben die 1,2 Millionen Beamte, von deren | |
Gehältern etwa 7 Millionen Menschen abhängig sind, zu einem Großteil kein | |
Geld mehr bekommen. Das hat gravierende Auswirkungen auf die staatlichen | |
Dienstleistungen. Im Bildungssektor sieht man das, an den Schulen etwa. Und | |
mehr als die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen hat zugemacht. | |
Nach Angaben des UN-Nothilfebüros stirbt alle zehn Minuten ein Kind unter | |
fünf Jahren an vermeidbaren Krankheiten. | |
Wenn die Gesundheitszentren zumachen und Medikamente nicht erhältlich sind, | |
sterben viele an Krankheiten wie Durchfall oder Bluthochdruck. Im | |
vergangenen Jahr hatten wir auch einen gravierenden Cholera-Ausbruch. Viele | |
Menschen haben zudem keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Wenn dann noch | |
Nahrungsknappheit hinzukommt, löst das eine Spirale aus, die eine | |
Hungersnot zur Folge hat. Etwa eine halbe Million Kinder sind so stark | |
unterernährt, dass sie vom unmittelbaren Hungertod bedroht sind. | |
An diesem Dienstag trifft sich die internationale Staatengemeinschaft zu | |
einer Geberkonferenz für den Jemen in Genf. Die UN und ihre Partner | |
brauchen in diesem Jahr rund zwei Milliarden US-Dollar, um die bedürftigen | |
Menschen zu versorgen. Was versprechen Sie sich von der Konferenz? | |
Wenn man im Jemen unterwegs ist, hat man das Gefühl, dass unsere Hilfe nur | |
ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Bisher wurden nur rund 15 Prozent der | |
benötigten Gelder zugesagt. Zum einen hoffe ich also, dass die Mittel zur | |
Verfügung gestellt werden, die gebraucht werden. Zum anderen hoffe ich, | |
dass auch politischer Druck auf die involvierten Kriegsparteien ausgeübt | |
wird. | |
Wird Ihre Hilfsorganisation von den in Genf zugesagten Geldern profitieren | |
oder verlassen Sie sich auf Privatspenden? | |
Wir bekommen nicht automatisch Gelder von den UN, sondern müssen uns | |
bewerben. Aber wir bekommen auch direkt vom UN-Welternährungsprogramm | |
Nahrung zur Verfügung gestellt. Da gibt es verschiedene Mechanismen. | |
Privatspenden für den Jemen sind ein riesiges Problem. Wenn man | |
Naturkatastrophen wie einen Tsunami hat, ist das viel einfacher. Außerdem | |
haben wir derzeit viele Krisen gleichzeitig. Ein solches Ausmaß des Leidens | |
haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehen. | |
Erreichen Sie vor Ort denn überhaupt alle bedürftigen Personen? | |
Wir haben relativ guten Zugang zu den Menschen. Aber es ist ähnlich wie in | |
Syrien: Man muss Zugang und Sicherheitsgarantien mit verschiedenen Akteuren | |
aushandeln. Hinzu kommen Tausende Checkpoints, die teilweise von | |
zehnjährigen Kindern mit Kalaschnikows kontrolliert werden. Unsere größte | |
Sorge aber betrifft den Hafen von Hudeida. Über ihn werden bis zu 80 | |
Prozent aller Nahrungsmittelimporte abgewickelt. Er ist noch offen. Aber | |
sollte er von Kampfhandlungen betroffen sein, hätte das gravierende Folgen | |
für die humanitäre Hilfe. | |
25 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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