# taz.de -- Hamburger Polizei erschießt Libanesen: Tod nach sieben Schüssen | |
> Ein Mann schwenkt ein Messer und ruft „allah u akbar“. Die Polizei weiß | |
> sich nicht anders zu helfen, als ihn zu erschießen. | |
Bild: Gefährliche Waffe? Messer ohne Klinge | |
HAMBURG taz | Am Freitagnachmittag hat die Polizei in Winterhude einen Mann | |
erschossen. Der 36-Jährige war aus dem Libanon geflüchtet und lebte in | |
einer öffentlichen Wohnunterkunft. Laut Darstellung der Polizei soll er | |
Autofahrer*innen und Passant*innen mit einem Messer bedroht und | |
mehrere Autos beschädigt haben. Dabei soll er „allah u akbar“ gerufen | |
haben. Verletzt hat er niemanden. | |
An der Kreuzung Hebebrandstraße/Sengelmannstraße trafen alarmierte | |
Polizeibeamt*innen auf den Mann. Ihnen gelang es nicht, die Situation | |
zu deeskalieren. Sie hätten daraufhin Pfefferspray gegen den Mann | |
eingesetzt, der nun auch die Polizist*innen bedroht habe, heißt es in der | |
Pressemitteilung der Polizei. Trotzdem gelang es ihnen nicht, den einzelnen | |
Mann zu überwältigen. | |
Den überforderten Beamt*innen sei schließlich ein Team des | |
Sondereinsatzkommandos (SEK) zur Hilfe geeilt, das sich „zufällig“ ganz in | |
der Nähe befunden habe. Doch auch die gebündelten Kräfte von Polizeistreife | |
und SEK konnten trotz des Einsatzes eines Elektroschockgeräts, eines so | |
genannten Tasers, die Einzelperson nicht unter Kontrolle bringen. | |
Schließlich schoss ein Beamter den Mann nieder. | |
Nach ersten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden sieben Schüsse auf | |
den Mann abgegeben, wie eine Sprecherin nun der taz mitteilte. Trotz | |
Erste-Hilfe-Leistungen einer Ärztin erlag der Mann noch am Tatort seinen | |
Schussverletzungen. | |
Nach Zeugenangaben soll der Mann vorher zunächst auf einem Trampelpfad zur | |
Hebebrandstraße einen anderen Mann mit einem Messer bedroht haben. Im | |
Anschluss habe er erst im Bereich der Sengelmannstraße/Hebebrandstraße | |
gegen ein parkendes Auto getreten, dann auf der Fahrbahn zwei weitere Autos | |
beschädigt, so die Darstellung der Polizei. Abschließend habe er noch | |
versucht, einen vorbeifahrenden Fahrradfahrer zu treten. Währenddessen soll | |
er ein Messer in die Luft gehalten und mehrfach „allah u akbar“ gerufen | |
haben. | |
Die mutmaßliche „Tatwaffe“ des Mannes ist auf dem Foto abgebildet: ein | |
handelsübliches Haushaltsmesser. Die Klinge ist offenbar direkt am Schaft | |
abgebrochen. Laut einem Fotografen lag das Messer fast fünfzig Meter von | |
der Stelle entfernt, an der der Mann starb. Wann und unter welchen | |
Umständen das Messer beschädigt wurde, ist unklar. Klar ist jedoch, dass | |
letztlich nur der libanesische Mann selbst verletzt wurde – und das | |
tödlich. | |
Kurz nach dem Vorfall hatte eine Sprecherin der Polizei Hamburg dem | |
Hamburger Abendblatt mitgeteilt, dass eine religiöse Motivation in Betracht | |
gezogen werden müsse, schließlich habe der Mann „allah u akbar“ gerufen. | |
## „Höchste Alarmstufe“ | |
Laut [1][Rafael Behr], Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie | |
der Polizei Hamburg, führt der Ausruf „allah u akbar“ quasi automatisch zum | |
Terrorismusverdacht: „Dadurch werden solche Fälle auf die höchste | |
Alarmstufe erhoben, von der sie nur schwerlich wieder herunterkommen.“ | |
Tatsächlich müsse in weiteren Ermittlungen geklärt werden, ob den | |
36-Jährigen ein extremistisches Tatmotiv angetrieben habe. Doch weder seine | |
Identifizierung noch die Durchsuchung seines Zimmers legen dies nahe, wie | |
die Polizei mitteilt. | |
Behr hinterfragt auch die Legitimation der Gewaltanwendung durch die | |
Einsatzkräfte: „Man fragt sich natürlich, ob es nicht andere taktische | |
Möglichkeiten gegeben hätte.“ Das Problem sei ein systematisches: | |
International gebe es keine seriöse Forschung zu nicht-tödlichen | |
Deeskalationsmethoden. So komme es, dass Gewaltsteigerung schnell mit dem | |
Griff zur Schusswaffe einhergehe. Das sei Teil des „erlernten Algorithmus“, | |
so Behr. | |
Auf Anfrage der taz gibt die Polizei Hamburg so spärliche Auskünfte, dass | |
sich die Eskalationsstufen des Polizeieinsatzes nicht nachvollziehen | |
lassen. Nicht mal zur Anzahl der Einsatzkräfte vor Ort äußert sich die | |
Polizeipressestelle konkret. Die Zahl der Personen habe im Einsatzverlauf | |
„durchaus Veränderungen unterlegen“, so ein Pressesprecher. Auch der Frage, | |
wohin genau geschossen wurde, weicht der Sprecher aus. Die Frage | |
überschneide sich mit den Überprüfungen des Dezernats Interne Ermittlungen, | |
das den Schusswaffeneinsatz routinemäßig untersucht. | |
1 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Door | |
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