| # taz.de -- Halbzeit bei Glasgower Klimakonferenz: Doch mehr als Blablabla | |
| > Bei der Klimakonferenz ist nach einer Woche Halbzeit. Wie ist der Stand? | |
| > Antworten auf die drängendsten Fragen. | |
| Bild: Greta Thunbergs Zitat, die Klimaverhandlungen seien „Blabla“, sieht m… | |
| Lovely weather here, my dear, isn’ t it? | |
| Der Himmel meint es bislang gut: Ein unschottisch blauer Himmel, Sonne, | |
| milde 9 Grad. Eine schöne Abwechslung zu den apokalyptischen Regenfällen | |
| kurz vor Beginn der Konferenz, die, wie die Wissenschaft sagt, gut ins | |
| Muster des Klimawandels passen. So blieben auch Hunderte von Teilnehmern | |
| trocken, die an den ersten Tagen teilweise eine Stunde in der Schlange | |
| stehen mussten, um überhaupt auf das Gelände zu kommen. | |
| Was war der wichtigste Moment der ersten Woche? | |
| Montagnachmittag gegen 17 Uhr: [1][Der indische Ministerpräsident Narendra | |
| Modi legt den Klimaplan seines Landes vor.] Indien will bis 2030 die Hälfte | |
| des Energiebedarfs mit Erneuerbaren decken und 2070 klimaneutral sein. | |
| Nicht wirklich ehrgeizig, aber ein großer Schritt für ein Schwellenland. | |
| Wie sieht der Plan der britischen Konferenzleitung für den Erfolg aus? | |
| Wenn man das wüsste. Eine Strategie aber ist deutlich: Boris Johnson hat es | |
| geschafft, über 120 Staats- und Regierungschefs nach Glasgow zu locken, | |
| indem er die Konferenz zur „letztbesten Chance“ für die Rettung der Welt | |
| erklärte – obwohl anders als 2015 in Paris keine großen Beschlüsse | |
| anstehen. Aber der Trubel und die Aufmerksamkeit machen den | |
| Verhandler*innen Beine. Delegierte berichten davon, die erste Woche sei | |
| „unglaublich konstruktiv“ verlaufen. Was für eine COP aber erst mal nur | |
| bedeutet: Es gab keine bitteren Kämpfe um die Tagesordnung, und man hat | |
| sich darauf geeinigt, über welche Dokumente man sich streitet. | |
| Warum hört man so viele positive Meldungen? | |
| Das hat das Team um COP-Präsident Alok Sharma geschickt eingefädelt: Auf | |
| und nach dem Gipfel der Staatschefs gab es jeden Tag eine gute Nachricht. | |
| Am Dienstag verpflichten sich 100 Länder, den Ausstoß des [2][Klimakillers | |
| Methan] um 30 Prozent zu senken; gleichzeitig versprechen wichtige Länder | |
| wir Brasilien und Indonesien, bis 2030 die Entwaldung zu stoppen. Am | |
| Mittwoch sagt die Finanzindustrie zu, in Zukunft 40 Prozent der weltweiten | |
| Investments, also immerhin 130 Billionen Dollar, klimaneutral einzusetzen. | |
| Am Donnerstag präsentieren sich neue Allianzen zum weltweiten | |
| Kohleaussteig, zum Ende der Finanzierung Öl und Gas und Kohle im Ausland | |
| und zum Ende der Suche nach Öl und Gas. | |
| Haben wir also Fortschritte zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze gemacht? | |
| Nun ja. Kurz nach den Erklärungen liefen die Rechenmodelle der | |
| Expert*innen heiß. Ergebnis: Wenn alle Klimapläne der Länder, das neue | |
| Angebot von Indien und die Zusagen etwa zum Methan umgesetzt werden, landen | |
| wir bei 1,8 Grad. Immer noch nicht 1,5, aber „deutlich unter 2 Grad“, wie | |
| es das Pariser Abkommen fordert. Das Problem: Bisher sind das alles nur | |
| Pläne ohne konkrete Maßnahmen, Politiken, Finanzierungen. Und sie sind sehr | |
| langfristig. Was häufig fehlt, sind konkrete Schritte bis 2030. | |
| Wie groß diese Aufgabe ist, wurde am Donnerstag ebenfalls mal wieder klar: | |
| Die Wissenschaftsinitiative „Future Earth“ stellte ihre neuen Zahlen vor. | |
| Um demnach 1,5 Grad auch nur mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu | |
| erreichen, müssen die globalen Treibhausgasemissionen jedes Jahr um 5 | |
| Prozent sinken – für eine Zweidrittelchance müssen es schon 10 Prozent | |
| sein. Zum Vergleich: Bisher sind die Emissionen nur in großen | |
| Wirtschaftskrisen gefallen. Und selbst im Coronajahr 2020 waren es nur | |
| knapp 6 Prozent. | |
| Wie groß ist der Druck der Protestbewegung? | |
| Auch wenn sie selbst schimpfen, sie hätten nicht genug Zugang zur | |
| Konferenz: [3][Die Klimaaktivist*innen sind auf der Konferenz sehr | |
| präsent.] Und zwar nicht nur durch eigene Veranstaltungen und Aktionen. | |
| Sondern auch, weil andere prominente Redner*innen ihre Argumente | |
| übernehmen. Boris Johnson zitierte zur Eröffnung Greta Thunbergs Aussage, | |
| dass die Konferenz mehr liefern müsse als „Blablabla“, UN-Generalsekretär | |
| António Guterres klingt mindestens so verzweifelt wie viele | |
| Indigenenvertreter*innen. Und Prince William tritt immer klarer in die | |
| Fußstapfen seines umweltbewegten Vaters Prince Charles und tauscht sich in | |
| Glasgow mit der FFF-Frontfrau Luisa Neubauer aus, die er in die Jury seines | |
| neuen Umweltpreises berufen hat. | |
| Ganz so harmonisch geht es außerhalb des Konferenzgeländes nicht zu: Am | |
| Samstag werden mehrere Zehntausend Menschen zu einer Demonstration | |
| erwartet, bei der für „System Change“ protestiert wird. Doch selbst dieser | |
| Slogan wurde auf der COP schon geklaut – anders als die Aktivist*innen | |
| meinte der britische Klimabotschafter Nigel Toppings damit allerdings nicht | |
| die Abschaffung des Kapitalismus, sondern nur seinen grünen Umbau. Aber | |
| immerhin besser als nichts. | |
| Stand die Konferenz schon mal auf der Kippe? | |
| Dafür ist es zu früh. Und ehe alle zu jubeln beginnen, tritt China auf die | |
| Euphoriebremse. Wenn die Konferenz zu beschließen versuche, sich auf 1,5 | |
| Grad zu fokussieren, „zerstört das den Konsens zwischen allen Parteien“, | |
| erklärte der Delegationsleiter, weil in Paris anderes beschlossen wurde. | |
| Aus juristischer Sicht hat er völlig recht. Politisch heißt das aber: | |
| Verlangt nicht zu viel Anstrengungen von China, wo gerade eine Energiekrise | |
| mit Stromausfällen das Wirtschaftswachstum bedroht. Und wenn ihr schärfere | |
| Emissionsziele wollt, lasst uns auch über höhere Finanzziele für die | |
| Industrieländer reden. | |
| Was wird entscheidend in der nächsten Woche? | |
| Am Montag kommt Barack Obama. Er will aber nur darüber reden, welche Macht | |
| die Jugend hat. Wichtig in den Hardcore-Verhandlungen wird, ob die Staaten | |
| endlich Kompromisse finden, wie die Regeln des Parisabkommens eingehalten | |
| werden sollen: Bei der Frage, wie sie ihre Maßnahmen melden und überprüfen, | |
| bei der Frage nach dem Handel mit CO2-Einsparungen und dabei, wie viel Geld | |
| die reichen Länder ab 2025 an Klimahilfen in den globalen Süden schicken | |
| sollen. Neu ist die Forderung, dass die Länder jedes Jahr, nicht alle fünf | |
| Jahre, über ihre (Nicht-)Fortschritte berichten sollen. Denkbar sind in | |
| diesem Paket mehr oder weniger faule Deals, aber auch, dass vieles wieder | |
| auf die nächste COP verschoben wird. Wichtig wird aber vor allem eine | |
| politische Erklärung, die den Regierungen zu Hause Schwung geben soll, all | |
| die Maßnahmen und Ziele umzusetzen. | |
| Wer ist die größte Optimistin? | |
| Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Sie plant eine | |
| Pressekonferenz „zum Abschluss der 26. Weltklimakonferenz“ am kommenden | |
| Freitag um 15.15 Uhr Ortszeit. Now wouldn’t that be fantastic, my dear! Wir | |
| planen eher mit Saturday Night. | |
| Und was ist eigentlich mit Corona? | |
| Das läuft so ähnlich wie die Klimaverhandlungen: In der Theorie wird die | |
| Sache ernst genommen – tägliche verbindliche Tests, Masken, Abstandsregeln | |
| und Desinfektionsmittelspender alle paar Meter. In der Praxis ist es auch | |
| hier komplizierter: Die Disziplin beim Maskentragen wird jeden Tag | |
| geringer, das Abstandsgebot ist schon im Wartelabyrinth am Einlass | |
| Makulatur. Und ob man den Schnelltest wirklich korrekt durchgeführt hat | |
| oder lediglich den Code auf dem Teststreifen eingescannt hat, wird nicht | |
| überprüft. Von größeren Ausbrüchen ist bisher trotzdem nichts bekannt, was | |
| selbst die UN intern als kleines Wunder bezeichnet. Es gibt einzelne | |
| Infektionen, angeblich wenige, die UN verweigert aber konkrete Zahlen. Das | |
| taz-Team ist gesund. | |
| Lovely to see you here, my dear, isn’t it? | |
| Unglaublich, wie freundlich die Eingeborenen sind. Ob im Zug, im | |
| Restaurant, auf der Straße, beim Coronatest, als Freiwillige auf dem | |
| COP-Gelände oder als Polizist*innen in neongelben Schockfarben: | |
| Freundlichkeit und Höflichkeit all over the place. Der Eindruck: Die | |
| ohnehin freundlichen Schotten freuen sich über ausländischen Besuch im | |
| Brexit-Imperium von Boris Johnson, schließlich haben sie mit großer | |
| Mehrheit für „remain“ gestimmt. Und irgendwann werden wir auch ihre Sprache | |
| verstehen. | |
| 6 Nov 2021 | |
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