| # taz.de -- Grüner Länderrat ganz virtuell: Der Applaus fällt aus | |
| > Erstmalig veranstalten die Grünen ihren kleinen Parteitag rein digital. | |
| > Die Partei freut sich über das gelungene Experiment. Aber es hat Macken. | |
| Bild: Robert Habeck spricht auf dem grünen Länderrat – und keine:r klatscht | |
| Berlin taz | Zum Abschluss trat Michael Kellner noch mal ans Redepult. „Es | |
| fühlte sich wirklich an wie ein Parteitag“, sagte der Bundesgeschäftsführer | |
| der Grünen zufrieden. „Ich würde sagen, es war ein sehr, sehr gelungenes | |
| Experiment.“ Fünfeinhalb Stunden hatte bis dahin der Länderrat, der kleine | |
| Parteitag der Grünen, getagt – erstmalig komplett digital. Ein | |
| anstrengendes Unterfangen, wie Kellner einräumen musste. Nun seien „alle | |
| ein Stück erschöpft und müde“. | |
| Nun ja, es fühlte sich nicht wirklich wie ein Parteitag an, was die Grünen | |
| da am Samstag coronabedingt zelebriert haben. Wie könnte es auch, wenn | |
| knapp 100 Delegierte nicht gemeinsam in einer Halle, sondern vereinzelt vor | |
| ihren Bildschirmen sitzen? Es fehlte die lebendige Atmosphäre, ebenso die | |
| Beifallsstürme oder Unmutsbekundungen. So konnte bei den diversen gesetzten | |
| und gelosten Reden kein Funke überspringen. | |
| „Wir wollen hin zum bunten Leben, wir wollen das soziale Ich, das kreative | |
| und kulturell reiche Wir“ – solch blumiger Satz Robert Habecks wäre auf | |
| einem normalen Länderrat sicherlich von heftigem Klatschen des Auditoriums | |
| getragen worden. So jedoch klang er vor allem arg gedrechselt. „Es ist | |
| nicht die Stunde der nationalistischen Geier, jetzt ist die Stunde, Phönix | |
| zu werden“ – noch so ein hübscher Satz Habecks, dem der Applaus fehlte. | |
| Wie auch seine Mitparteivorsitzende Annalena Baerbock oder die | |
| Fraktionschef:innen Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter hielt Habeck | |
| seine Rede in eine Kamera in der Berliner Bundesgeschäftsstelle. Damit | |
| stimmten wenigstens Bild- und Tonqualität. Das ließ sich nicht von allen | |
| Wortmeldungen sagen. | |
| ## Vor allem Schaufensterreden | |
| Was beispielsweise Lothar Weber aus dem Ortsverband Leichlingen alles | |
| mitzuteilen hatte, wird man wohl nie erfahren. Viermal setzte er an: „Hallo | |
| liebe Freunde, Solidarität ist in der Corona-Krise jetzt gefragt.“ Seinen | |
| Redebeitrag zu Ende zu bringen, schaffte er nicht. Weber war nicht der | |
| einzige, der am heimischen Computer mächtig mit den Tücken der Technik zu | |
| kämpfen hatte. | |
| Ohnehin scheint das virtuelle Veranstaltungsformat der Diskussionskultur | |
| nicht sonderlich förderlich zu sein. Nur ganz wenige Redner:innen bezogen | |
| sich aufeinander, Schaufensterreden überwogen. Was noch dadurch befördert | |
| wurde, dass die Grünen der Versuchung erlagen, gleich mehrere Gastreden | |
| vorab aufzunehmen und nur einzuspielen. | |
| Auch Winfried Kretschmann war nicht live dabei, sein gesetzter Redebeitrag | |
| ebenfalls voraufgezeichnet. Dabei wäre es interessant gewesen, was der | |
| einzige grüne Ministerpräsident zur scharfen Kritik des Gastredners | |
| Jean-Claude Juncker an den innereuropäischen Grenzschließungen zu sagen | |
| gehabt hätte. | |
| „Wer denkt, nur um dem nationalen Publikum zu gefallen, es wäre jetzt | |
| angebracht, Binnengrenzen zu schließen, irrt sich fundamental“, empörte | |
| sich der frühere EU-Kommissionspräsident Juncker. Es sei grotesk, so zu | |
| tun, als ob Zollbeamte oder Polizist:innen den Virus stoppen könnten. Die | |
| Grenzen müssten so schnell wie möglich wieder geöffnet werden – also auch | |
| die, die in Baden-Württemberg geschlossen sind. | |
| ## Auf wessen Kosten? | |
| Auch ansonsten hätte es durchaus einigen Diskussionsbedarf gegeben. Zum | |
| Beispiel zu der Frage, wer die enormen Kosten der Corona-Krise tragen soll. | |
| Im Leitantrag des Bundesvorstandes heißt es dazu nebulös, es brauche „einen | |
| solidarischen Ausgleich nach dem Prinzip: Wer starke Schultern hat, kann | |
| mehr tragen“. | |
| Die Versuche von Berliner Grünen und der Grünen Jugend, durch zwei | |
| Änderungsanträge hier eine Konkretisierung zu erreichen, wurden jedoch | |
| bereits im Vorfeld abgeräumt: Der Bundesvorstand entschied sich für eine | |
| „modifizierte Übernahme“ des einen Antrags, womit der andere für erledigt | |
| erklärt wurde. | |
| Das war allerdings ein Taschenspielertrick. In dem Berliner Änderungsantrag | |
| hatte es geheißen, kleine und mittlere Einkommen sollten entlastet und der | |
| Spitzensteuersatz für sehr hohe Einkommen angehoben werden, außerdem wurde | |
| eine „verfassungsfeste, ergiebige, umsetzbare und einmalige Vermögensabgabe | |
| für Superreiche“ gefordert. Daraus wurde dann: „Wenn die akute Krise | |
| überstanden ist, brauchen wir wirksame Instrumente, um die sozialen Folgen | |
| abzumildern, die Krisenkosten fair aufteilen und die EU zusammenhalten.“ | |
| Das als „modifizierte Übernahme“ zu bezeichnen, ist schon ziemlich | |
| sportlich, um es vorsichtig zu formulieren. Aber Widerspruch dagegen regte | |
| sich auf dem Länderrat nicht. | |
| ## Milliardenschweres Konjunkturprogramm | |
| In den Umfragen nur noch zwischen 14 und 16 Prozent liegend, hat die Partei | |
| offenkundig große Angst, in der gegenwärtigen unsicheren gesellschaftlichen | |
| Situation irgendetwas falsch zu machen. „Wo ist da die Partei des | |
| kritischen Widerspruchs, die Partei des kritischen Hinschauens?“, fragte | |
| Basismitglied Thomas Janisch vom Kreisverband Augsburg-Land auf dem | |
| Länderrat. Eine Antwort erhielt er nicht. | |
| Immerhin fordern die Grünen ein 100 Milliarden Euro schweres | |
| Konjunktur-Sofortprogramm zur Bewältigung der Corona-Krise. Es soll sozial | |
| und ökologisch ausgerichtet sein und greifen, „wenn die medizinische Lage | |
| ein stärkeres Wiederanfahren des ökonomischen Lebens erlaubt“. Außerdem | |
| tritt die Partei für einen europäischen Wiederaufbaufonds in Höhe von | |
| mindestens einer Billion Euro ein, „der auch über gemeinsame Anleihen in | |
| gemeinsamer Haftung finanziert wird“. | |
| Doch darüberhinaus tun sich die Grünen derzeit mit der Formulierung klarer | |
| Positionen sichtlich schwer. Stattdessen flüchten sie sich in dem | |
| beschlossenen Leitantrag lieber in Politlyrik: „Nach der Pandemie wird | |
| unsere Welt eine andere sein. Doch mit jedem Schritt voran – und sei er | |
| noch so klein – öffnet sich auch ein Fenster in die Zukunft.“ Wer könnte | |
| dazu schon Nein sagen? Auf dem Länderrat niemand. Der mit „Eindämmung, | |
| Erholung und Erneuerung“ überschriebene Leitantrag wurde mit 84 Ja-Stimmen | |
| bei zwei Enthaltungen verabschiedet. | |
| Die Grünen hätten „gezeigt, dass wir auch in dieser Krise die Möglichkeit | |
| haben, verbindliche Beschlüsse als Partei zu treffen“, resümierte | |
| Bundesgeschäftsführer Kellner. | |
| 3 May 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
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