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# taz.de -- Görlitzer Park Berlin: Erfolgsstory mit Mängeln
> Unterwegs mit den Parkläufern im Görlitzer Park: Seit einem Jahr ist
> Parkmanager Cengiz Demirci nun schon im Amt. Was hat das gebracht? Eine
> Bilanz.
Bild: Parkmanager Cengiz Demirci vor seinem Büro, einem Bauwagen
Die Tour durch den Görlitzer Park geht gut los. „Fuck you, Nazis“, brüllt
ein junger Mann mit rotem Käppi, der auf einem klapprigen Fahrrad um die
Ecke geschossen kommt. Einen Moment lang sieht es so aus, als würde er Solo
und Cheptim, die an ihren hellgrünen Fleecejacken mit orangefarbener
Aufschrift als Parkläufer des Görli zu erkennen sind, mit dem Rad umnieten.
Im letzten Moment kriegt er noch die Kurve. Solo zuckt die Achseln.
„Gefechte ohne Ende“, sagt er und lacht.
Seit April sind Solo, der mit vollem Namen Souleymane Sow heißt, und sein
Kollege Cheptim im Görlitzer Park unterwegs. Vom späten Vormittag bis in
die Abendstunden sind immer zwei der insgesamt sechs Parkläufer auf Tour.
Im Sommer endet die Schicht gegen Mitternacht im Winter nach Einbruch der
Dunkelheit.
Der 41-jährige Solo wurde in Guinea geboren. Seit 30 Jahren lebt er in
Deutschland, hat früher unter anderem im Kunst- und Kulturbereich
gearbeitet. Außer Deutsch spricht Solo eigenen Angaben zufolge Englisch,
Französisch und Polnisch sowie sechs afrikanische Dialekte, die in Mali,
Gambia, Guinea-Bissau und Elfenbeinküste gesprochen werden. Der Parkmanager
des Görlis, Cengiz Demirci, habe ihn deshalb unbedingt als Parkläufer
einstellen wollen, sagt Solo. „Weil ich mit den Dealern sprechen kann.“ Die
Mehrzahl der Dealer hier kommen wie er aus Westafrika.
Seit genau einem Jahr ist der 44-jährige Cengiz Demirci – im Park sprechen
ihn alle mit „Cengiz“ und „du“ an – jetzt Parkmanager im Görli. „A…
Parkmanager weltweit“ hatte der damalige Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne)
den studierten Arbeits- und Kommunikationspsychologen mit türkischen
Wurzeln seinerzeit der Öffentlichkeit vorgestellt. Nachdem Panhoff einem
Krebsleiden erlag, ist Florian Schmidt (Grüne) nun Demircis Chef. Doch
kümmert sich Schmidt mehr um Mieten und das Vorkaufsrecht als um den Görli.
Berlins als Cannabis-Umschlagplatz verschriene Grünanlage ist zurzeit raus
aus den Schlagzeilen. Was den Baustadtrat Schmidt und die
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) aber nicht aus ihrer
Verantwortung entlasse, kritisiert Martin Heuß, Mitglied des Gründungsrats
Görlitzer Park. „Von beiden wünsche ich mir mehr Interesse für den Park und
unsere Arbeit.“
Das Bezirksamt ist Demircis Chef, der aus elf Mitgliedern bestehende
Gründungsrat ist so eine Art ideeller Chef. Grundlage für Demircis Arbeit
ist das Handlungskonzept Görlitzer Park. Eine aus Anwohnern,
Projektmitarbeitern und Verwaltungsleuten bestehende Arbeitsgruppe hat es
in der Ära Panhoff für den Görli erarbeitet. Ein Teil dieser Leute sitzt
jetzt im Gründungsrat, später soll es einen Parkrat geben. Wenn der
Gründungsrat alle zwei Wochen tagt , hat der Parkmanager diesem Bericht zu
erstatten. Allerdings, so ist zu hören, läuft die Zusammenarbeit nicht so
reibungslos wie geplant.
Ein schöner Herbsttag, Solo hat die Sonnenbrille aufgesetzt. Im Park ist
alles friedlich. Auf den Wegen und Kreuzungen stehen Afrikaner in
Kleingruppen zusammen. Einige hören Musik. Auffällig ist: Wenn sich die
Parkläufer nähern, läuft – anders, als wenn die Polizei im Park unterwegs
ist – niemand weg. Solo und sein Kollege bleiben stehen, begrüßen jeden in
der Gruppe mit Handschlag oder einem freundlichen Schlag auf die Schulter.
Solo smalltalkt in der jeweiligen Landessprache. „Wir sprechen uns mit
Bruder an“, sagt er.
Die Dealer hätten feste Stellplätze im Park, berichtet Solo. In der Ecke
hin zur Skalitzer Straße stünden die Araber. Dann kämen die Menschen aus
Guinea-Bissau, Gambia, hinten an der Brücke Mali. Parkmanager Cengiz habe
die Afrikaner mal zu Gesprächen eingeladen, hinten auf dem Platz, wo das
Gartenbauamt seine Geräte lagert. Es sei darum gegangen, eine
Vertrauensbasis zu den Dealern aufzubauen, dass sie bestimmte
Verhaltensregeln einhalten. Sie immer wieder daran zu erinnern, was man im
Park darf und was nicht, so Solo, „das ist auch unser Job“.
## Ungeschriebene Regeln
Die ungeschriebenen Regeln des Parks fassen die Parkläufer so zusammen:
kein Drogenverkauf an Kinder und Jugendliche, kein aufdringliches
Verkaufsverhalten. Die Käufer sollten sich von allein an die Dealer wenden,
wenn sie Drogen wollen. Keine Anmache von Frauen. „Wenn wir kiffende
Jugendliche sehen, verständigen wir sofort die Eltern“, sagt Solo. Sehr
viel habe sich zum Positiven hin verändert, „seit wir unterwegs sind“, sagt
Solo.
„Meine Läufer“, sagt der Parkmanager Cengiz Demirci, wenn er von den
Parkläufern spricht. „Sie machen einen guten Job.“ Sein Büro hat Demirci …
einem Bauwagen auf dem großen Platz im Park. Wenn er aus dem Fenster guckt,
schaut er auf den grünen Hügel, wo 1998 der Pamukkale-Brunnen stand. Das
türkische Bauwerk war kurz nach der Bauzeit in seine Einzelteile zerfallen.
Er fühle sich ein bisschen wie ein Parkmanager mit gestutzten Flügeln, sagt
Demirci. Mehr möchte er dazu nicht sagen. Er habe sich mit seiner Offenheit
gegenüber den Medien in letzter Zeit zu oft den Mund verbrannt, sei deshalb
vorsichtiger geworden,
In der Berliner Zeitung war zu lesen, dass Demirci für mit Verve
vorgetragene Vorschläge im Gründungsrat auf große Skepsis stoße. Alles
werde rauf und runter diskutiert – um am Ende eine Absage vom Amt zu
bekommen. Martin Heuß vom Gründungsrat zeigt sich über derlei Berichte
erstaunt: Demircis Vorschläge seien herzlich willkommen, so Heuß zur taz,
„aber er macht eher Ankündigungspolitik“. Was das heißt? Der Parkmanager
warte bei den Besprechungen nicht mit konkreten Konzepten auf, „das ist das
Problem“, so Heuß.
Jeder könne bei ihm anklopfen oder telefonisch einen Termin mit ihm
vereinbaren sagt Demirci in seinem Büro. Wie seine Bilanz nach einem Jahr
aussehe? Die Jogger sind wieder da, auch türkische und arabische Familien
kämen wieder zum Grillen in den Park, nur eine einzige Beschwerde einer
Frau habe ihn erreicht, dass sie ein Dealer blöd angemacht habe. Eine
Hundeauslaufstelle werde es bald geben und einen Bolzplatz für Volleyball,
Handball und Basketball. „Am liebsten mit Überdachung, damit man auch bei
Regen spielen kann, aber das ist mein persönlicher Traum.“
Nicht zu vergessen bei der Bilanz: „Die Kriminalität im Görli ist
zurückgegangen“, betont Demirci. Die Zahlen von Polizei und Innenverwaltung
bestätigen das. Die Zusammenarbeit mit den Polizisten vom
Brennpunktabschnitt 53 sei „wirklich gut“, seit die Taktik verändert worden
sei, sagt Demirci. Statt jeden, der eine dunkle Hautfarbe habe, mit einer
Hundertschaft durch den Park zu jagen, regiere bei den Einsätzen nun mehr
Besonnenheit. Dazu komme: Im Görli eingesetzt seien jetzt Polizisten, die
sich wirklich auskennen würden. Die meisten hätten früher überhaupt keine
Ahnung gehabt.
Bis zu 200 Dealer gebe es im Park zurzeit, erzählt Demirci. An diesem
Novembermittag sind es vielleicht 30. Aber wer weiß das schon genau? Über
den Görli kursieren viele Wahrheiten. Man kann die Geschichte so oder so
aufschreiben. Als Erfolgsstory, wenn man sich an die Schlagzeilen vor ein
paar Jahren erinnert. An die Revierkämpfe der Dealer, die teilweise in
blutige Auseinandersetzungen gipfelten. Oder dass Parkbesucher aggressiv
zum Kauf gedrängt wurden. Dass sich viele Kinder, Jugendliche und
Einwandererfamilien nicht mehr in die Grünanlage trauten. Diese Bilder
stimmen nicht mit den friedlichen Eindrücken überein, die man an diesem
Novemberwochentag hat, wenn man mit den Parkläufern unterwegs ist.
Wer die andere Wahrheit erfahren will, muss sich mit Leuten unterhalten,
die in Kreuzberg mit Kindern arbeiten. Und man muss am Wochenende kommen,
wenn es dunkel wird. Im Park, in den Seitenstraßen rundherum und an den
Zugängen zum U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof – überall stehen Spaliere von
Dealern. Viele sind zugedröhnt, mehr als aufdringlich bieten sie Drogen an.
„Man wird einmal gefragt, zwei-, dreimal“, erzählt einer, der viel in der
Gegend unterwegs ist. „Beim zehnten Mal hast du die Schnauze voll.“ Kinder
und Jugendliche wüchsen damit auf, dass an allen Ecken Drogen und Alkohol
konsumiert würden. Wirkliche Schutzräume gebe es für sie kaum noch.
Eine Vertreibung der Dealer aus dem Görli ist in dem Handlungskonzept
Görlitzer Park nicht vorgesehen. Wohin auch? Trotzdem müsse das mit dem
Drogenhandel im Park kein Dauerzustand bleiben, meint Demirci. „Wenn mehr
soziales Leben in den Park kommt, wird auch der Raum für die Dealer enger.“
15 Jahre lang ist der Görli sich selbst überlassen worden. „Mechanismen
kann man nicht verändern in einem Jahr.“ Es bedürfe eines Kulturwandels.
Und er selbst sei auch nicht als Parkmanager geboren worden.
Die Schwierigkeit sei, dass man sich mit den Dealern alle drei Monate aufs
Neue auf einen Verhaltenskodex verständigen müsse, weil die Gruppen so oft
wechselten. Beschwerden von Anwohnern über die Drogengeschäfte gebe es nach
wie vor. „Aber viele Anwohner wollen auch, dass die Jungs hierbleiben.“
Wo er selbst steht? „Ich kann beide Seiten verstehen“, sagt Demirci. Die
Dealer seien wirklich arme Leute. „Mir geht es auch um deren Würde. Sie
stehen bei jedem Wetter im Park und werden diskriminiert.“ Rund 640 bis 720
Euro verdiene ein Drogenhändler im Park pro Monat. Aber davon bleibe ihm
kaum etwas zum Leben, weiß Demirci. „250 Euro schickt er nach Hause nach
Afrika, wo er 15.000 Dollar Schulden für die Flucht hat.“ 400 Euro zahle er
in Berlin für ein illegales Bett. Vermieter seien Türken, Araber und
Deutsche. Die Bedingungen seien so, dass sie die Wohnung morgens früh
verlassen müssten. Erst am Abend dürften sie wieder rein. Sie dürften sich
dort noch nicht mal anmelden. „Aber wenn man die Leute fragt, sagen sie,
sie wollen nicht zurück“, erzählt Demirci. Zu Hause sei es schlechter als
im Görlitzer Park.
Solo und Cheptim haben den Park fast umrundet. Ruhig und sachlich bleiben,
sich nicht provozieren lassen, darum gehe es in dem Job. Neulich habe ein
Besucher auf dem Kinderbauernhof ein Pony missbraucht, ergänzt Solos
Kollege Cheptim. „Wir sind sofort hin.“ Bis die Polizei gekommen sei, seien
sie an dem Mann drangeblieben. Im Görlitzer Park gebe es nichts, was es
nicht gebe.
16 Nov 2017
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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