# taz.de -- Drogenhandel in Berlin: Das Kreuzberger Original | |
> Je mehr im Görlitzer Park in Berlin kontrolliert wird, desto mehr wird in | |
> den Nebenstraßen gedealt. Die Parkläufer gibt es jetzt auch in anderen | |
> Bezirken. | |
Bild: Die Parkläufer und ihr Chef Felix Weisbrich (Mitte vorn) | |
BERLIN taz| Coronabedingt ist der Tourismus zurückgegangen, die Zahl der | |
Drogenhändler in Kreuzberg aber nicht. Und je schlechter die Geschäfte | |
laufen, umso größer die Konkurrenz und die Gewalt unter den Dealern. Es ist | |
eine never ending story. Anwohner beklagen, dass die Situtation im | |
Wrangelkiez zunehmend schlimmer werde. | |
„Die Situation im Görlitzer Park hat sich gebessert“, beschreibt [1][Felix | |
Weisbrich], Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes von | |
Friedrichshain-Kreuzberg am Donnerstag bei einem Treffen mit der taz die | |
Lage. Jedoch: „In den umliegenden Straßen ist die Tendenz eher negativ.“ Es | |
gebe sehr viele Beschwerden von Anwohnern. Je mehr sich die Drogenszene | |
unter Kontrolle fühle, umso mehr verlagere sie sich. Darum seien die | |
Parkläufer nicht mehr nur im Görlitzer Park unterwegs, sondern auch im | |
Wrangelkiez. „Man muss die Räume im Zusammenhang sehen.“ | |
Das Treffen mit dem Chef des Grünflächenamts findet im Görlitzer Park vor | |
einem Bauwagen statt, der den Parkläufern als Büro und Pausenraum dient. | |
Zurzeit sind alle unterwegs. Weisbrich, groß, blond, dunkle Jacke mit | |
Bezirkswappen, greift zum Telefon und trommelt seine Leute zusammen. Von | |
allen Seiten kommen die Parkläufer angeradelt. | |
Es ist eine bunte Truppe: Einer der Schwarzen hat einen Turban auf, andere | |
tragen grüne Basecaps, der einzige Weiße in der Runde stellt einen kurz | |
geschorenen Schädel zu Schau. Was alle gemeinsam haben, ist die weiß-graue | |
Sicherheitsweste. „Krisenhelfer“ steht in großen Buchstaben auf dem Rücke… | |
Darunter, etwas kleiner, „beauftragt durch das Straßen- und Grünflächenamt | |
Friedrichshain-Kreuzberg.“ | |
## Zunehmende Verwahrlosung | |
Auf einer Pressekonferenz hatte [2][Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann] | |
(Grüne) unlängst über eine zunehmende Verwahrlosung im öffentlichen Raum | |
geklagt. Gemeint war damit Müll im klassischen Sinn, aber auch, dass es | |
immer mehr Drogenabhängige, Obdachlose und Menschen mit psychischen | |
Problemen gibt. | |
Vom CDU-Landesvorsitzenden Kai Wegner war Herrmann für ihre offenen Worte | |
heftig gescholten worden. „Vermüllung, Verwahrlosung und Kriminalität“, so | |
Wegner, „sind nicht über Nacht entstanden, sondern auch das Resultat | |
verfehlter grüner Politik.“ Schließlich sei Herrmann seit 2013 | |
Bezirksbürgermeisterin. | |
Die Parkläufer sind eine Kreuzberger Erfindung. Seit 2017 gibt es sie. Der | |
CDU-Vorsitzende mag sie belächeln, das Modell hat stadtweit längst Schule | |
gemacht. „think-SI3“ heißt die Firma, bei der in den Sommermonaten rund 40 | |
Parkläufer beschäftigt waren. SI3 steht für Sicherheit, soziale Inklusion | |
und soziale Intelligenz. Auch Grünanlagen in Reinickendorf, Zehlendorf und | |
Schöneberg gehören zu den Einsatzgebieten. Am Schlachtensee sind sie etwa | |
unterwegs oder im Kleistpark. | |
## Art Sozialassistenz | |
Man sei keine klassische Sicherheitsfirma, sagt die Geschäftsführerin, Iris | |
Uhlenbruch. Die Parkläufer seien vielmehr eine Art Sozialassistenz. Im | |
öffentlichen Raum soziale Sicherheit zu schaffen sei das Ziel. Große Teile | |
der Belegschaft hätten einen Migrationshintergrund, auch einige wenige | |
Frauen seien darunter. Bis zu 65 Sprachen und Dialekte würden in der Firma | |
gesprochen, so Uhlenbruch. Die Anstellung, zum Teil in Form eines Minijobs, | |
sei an keine Qualifikation gebunden. Allerdings müsse man eine Aufenthalts- | |
und Arbeitserlaubnis haben. | |
Friedrichshain-Kreuzberg verfügt laut Amtsleiter Weisbrich über 16 | |
Parkläufer. 8 sind allein für den Görli und den Wrangelkiez zuständig, | |
aufgeteilt in zwei Schichten, die um 12 Uhr mittags beginnen und manchmal | |
bis 4 oder 5 Uhr morgens gehen. Die anderen 8 Parkläufer seien im Volkspark | |
Friedrichshain und angrenzenden Gebieten sowie in und um den Viktoriapark | |
tätig. Am Marheineke Platz etwa, wo sich neben einem Trinkermileu auch eine | |
Partyfeierszene etabliert habe. | |
Souleymane Sow, Sonnenbrille, grünes Basecap, Solo genannt, ist der Chef | |
der Truppe vom Görli. Der 44-Jährige, der in Guinea geboren wurde, kam als | |
Jugendlicher nach Deutschland. Außer Deutsch, Englisch, Französisch und | |
Polnisch spricht er eigenen Angaben zufolge sechs afrikanische Dialekte, | |
die in Mali, Gambia, Guinea-Bissau und Elfenbeinküste zu Hause sind. | |
## Im Notfall die Polizei | |
Wie die anderen Parkläufer versteht sich Solo als Instanz, die Konflikte | |
durch Kommunikation zu regeln versucht. Wenn die Lage ernst ist und sie | |
allein nicht weiterkommen, ziehen sie Sozialprojekte wie Gangway, Fixpunkt | |
oder das Afrikacenter Joliba hinzu. Im Notfall wird die Polizei oder der | |
Sozialpsychiatrische Dienst gerufen. | |
Hervorgegangen sind die Parkläufer aus dem Handlungskonzept Görlitzer Park. | |
Ausgearbeitet hatte das vor vielen Jahren eine aus Anwohnern, Projekt- und | |
Verwaltungsmitarbeitern bestehende Arbeitsgruppe. Getragen ist es von der | |
Maxime: Den Drogenhandel werde man nicht mehr grundsätzlich aus dem Park | |
wegbekommen, aber man kann die Dealer in ihre Schranken weisen. | |
Als das Konzept 2016 veröffentlicht wurde, wurde im Görli noch | |
hauptsächlich mit Cannabis gehandelt. Inzwischen haben auch harte Drogen in | |
den Wrangelkiez Einzug gehalten. Nicht nur die Spritzbestecke auf | |
Spielplätzen und in den Hausfluren sind Zeugnis des Drogenkonsums, sondern | |
auch dass auf der Straße vermehrt ausgemergelte Abhängige zu sehen sind. | |
## Sozialpsychiatrischer Dienst dabei | |
Einmal in der Woche trifft sich ein sogenanntes Praktikerteam, bestehend | |
aus Angehörigen von Polizei, Ordnungsamt Grünflächenamt, Parkläufern und | |
Sozialprojekten, um über die Situation im Kiez zu beraten. Auch der | |
Sozialpsychiatrische Dienst ist dabei. Wiederkehrend habe man es mit | |
Menschen zu tun, die einer aussichtslosen sozialen Lage seien, hinzu komme | |
ein massives Drogenproblem, gepaart mit Obdachlosigkeit, sagt Weisbrich. | |
„Sie sind häufig nur noch schwer ansprechbar.“ | |
Auch in Schöneberg würden die Parkläufer verstärkt den Sozialpsychatrischen | |
Dienst einschalten, bestätigt Lars Laurisch, Projektleiter von think-SI3. | |
Erst am Mittwoch habe man einen mit Drogen voll gepumpten, vollkommen | |
verwirrten Mann festgehalten, der nackt durch den Görlitzer Park lief, | |
erzählt der Parkläufer Olaf Strutz. „Was wäre, wenn wir nicht hier wären?… | |
fragt Strutz, der erst seit drei Monaten dabei ist und vorher Chauffeur bei | |
der Bundeswehr war. Der Mann mit dem kurz rasierten Kopf gibt die Antwort | |
selbst: „Chaos“. Wer hätte auf die psychisch gestörte Frau aufgepasst, die | |
nachts im Park schlief? | |
## Tropfen auf den heißen Stein | |
Das Ordnungsamt habe ihn vor der Frau gewarnt, erzählt Solo: „Vorsicht, die | |
ist gefährlich.“ Zweimal wäre sie fast vergewaltigt worden, sagt Solo. Wer | |
hätte dafür gesorgt, dass der [3][Afghane] aus dem Verkehr gezogen wird, | |
über den es heißt, er sei mit einem Messer herumgelaufen, habe Frauen | |
bespuckt und Kinder bedrängt? | |
„Was wir hier tun, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt | |
Amtsleiter Weisbrich. „Aber ohne die Parkläufer wäre die Situation | |
schlimmer.“ Hätte er die Mittel dafür, würde er die Parkläufer in | |
Friedrichshain-Kreuzberg verdreifachen. Die Stadt habe ein massives | |
Problem, nicht nur was Drogenkonsum und Drogenhandel betreffe, sondern auch | |
mit der Ausgrenzung von Menschen. | |
Ein Mehr an Polizei wäre zwar gut, aber man könne nicht erwarten, dass sie | |
sich um die soziale Komponente kümmere. Das genau sei die Lücke, die die | |
Parkläufer abdeckten: mit Kommunikation verhindern, dass es zu einem | |
Polizeieinsatz kommen muss. Manchmal lasse sich aber auch eine | |
Zwangseinweisung nicht vermeiden. | |
Eine Afrikanerin, die im Park immer einen Stuhl hinter sich herzog, habe er | |
überreden können, in einen Krankenwagen einzusteigen, erzählt Solo. Und, | |
was die andere psychisch gestörte Frau betrifft: Über den Kontakt mit | |
anderen Parkläufern in Zehlendorf habe er herausgefunden, dass sie aus der | |
Psychiatrie abgehauen war. Warum sie hier sei, habe er die Frau gefragt. | |
„Weil hier Menschen sind“, habe sie geantwortet. | |
14 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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