# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Mexiko: Zehn Tote pro Tag | |
> Die Netflix-Doku „Die drei Tode der Marisela Escobedo“ erinnert an die | |
> Morde an der Mexikanerin und ihrer Tochter. Der Film kommt zur richtigen | |
> Zeit. | |
Bild: Netflix-Produktion: „Die drei Tode der Marisela Escobedo“ | |
Marisela Escobedo starb drei Tode: Den ersten, als ihre 16-jährige Tochter | |
Rubí 2008 von ihrem Freund ermordet wurde, den zweiten, als Richter den | |
Mörder trotz eines Geständnisses freisprachen, und zuletzt, als unbekannte | |
Killer die 52-Jährige selbst hinrichteten. | |
Eine jüngst erschienene Netflix-Doku zeigt Videoaufnahmen der tragischen | |
Stationen im Leben der Mexikanerin: ihren Zusammenbruch im Gerichtssaal | |
nach dem Freispruch und ihre Ermordung vor dem Regierungspalast des | |
mexikanischen Bundesstaats Chihuahua 2010, mitgeschnitten von einer | |
Überwachungskamera. | |
Escobedos Geschichte ist die einer Frau, die systematisch zum Opfer | |
patriarchaler Gewalt wurde. Und die einer Kämpferin, die nie aufgab. Kein | |
Staatsanwalt zeigte Interesse, den Mord an ihrer Tochter aufzuklären. | |
Schließlich überführte Escobedo selbst den Täter und lieferte die nötigen | |
Beweise. Später stellte sie sich vor den Regierungssitz, verbrachte dort | |
Tag und Nacht und forderte, dass Rubís Mörder verurteilt wird. | |
Dem damaligen Gouverneur César Duarte warf sie vor, in die organisierte | |
Kriminalität verwickelt zu sein. Das könnte ihr Todesurteil gewesen sein. | |
Duarte sitzt mittlerweile wegen seiner kriminellen Machenschaften in den | |
USA in Haft. Der Killer von Escobedos Tochter, der der Mafiatruppe Los | |
Zetas angehörte, wurde bei einem Militäreinsatz getötet. | |
## Schüsse auf Demonstrantinnen in Cancún | |
Die Doku „Die drei Tode der Marisela Escobedo“ ist nicht die erste | |
filmische Verarbeitung dieser Verbrechen. Zudem [1][legte die taz bereits | |
2016] offen, dass die Mörder Escobedos mit einer Pistole der deutschen | |
Waffenschmiede Sig Sauer schossen, was in zahlreichen Staaten abermals zu | |
Medienberichten führte. Trotzdem kommt der aktuelle Film zur richtigen | |
Zeit, denn der Fall von damals hat leider nicht an Aktualität verloren. | |
Erst vergangene Woche lösten Polizisten in der Karibikstadt Cancún mit | |
Schüssen aus scharfen Gewehren eine Demonstration von Frauen auf, die gegen | |
die Entführung und Ermordung der 20-jährigen Bianca „Alexis“ Lorenzana | |
protestierten. Dass die Beamten schossen, wundert die Autorin Lydia Cacho | |
wenig. Polizeieinheiten, die Mafia und die Sexindustrie arbeiteten eng | |
zusammen, erklärte die in der Region beheimatete Feministin nach dem | |
Einsatz. Auch Cacho hätte ihr Engagement beinahe mit dem Leben bezahlt. | |
Nachdem sie 2005 in ihrem Buch „Die Dämonen von Eden“ einen Kinderpornoring | |
aufdeckte, sorgten ein Geschäftsmann und ein Gouverneur dafür, dass sie | |
verhaftet und gefoltert wurde. Nur durch massiven öffentlichen Druck kam | |
sie frei. Nach der Veröffentlichung eines weiteren Buchs über Frauen- und | |
Kinderhandel 2012 musste Cacho, die in Cancún ein Frauenhaus gründete, das | |
Land verlassen. Letztes Jahr brachen Unbekannte in ihr Haus ein und töteten | |
ihre Hunde. | |
## Zuwachs feministischer Bewegungen | |
Cacho war nicht zu Hause, das rettete ihr vermutlich das Leben. Doch jeden | |
Tag sterben in Mexiko zehn Frauen und Mädchen eines gewaltsamen Todes: | |
Manche, nachdem sie von der Mafia zur Sexarbeit gezwungen wurden, die | |
meisten jedoch in den eigenen vier Wänden. Umso gefährlicher ist es, dass | |
Männer wie Präsident Andrés Manuel López Obrador die Angriffe verharmlosen | |
und der weiblichen Bevölkerung ihren Platz am Herd zuweisen wollen. | |
Doch es wird ihm und allen anderen, die diese patriarchale Idylle | |
verteidigen, nichts nutzen. Seit Jahren gehen Mütter, die ihre Töchter | |
verloren haben, und Feministinnen in Mexiko auf die Straße. Zunehmend wird | |
ihre Kritik in Wort und Tat radikaler. Sie besetzen Behörden, zerstören | |
Scheiben staatlicher Ämter, organisieren ihre eigene Verteidigung. | |
Wie in Chile und Argentinien hat auch in Mexiko die feministische Bewegung | |
an Stärke gewonnen. Sie ist eine der wichtigsten emanzipatorischen Kräfte | |
des Landes und hat die [2][Femizide unnachgiebig auf die Tagesordnung | |
gesetzt]. Damit das so bleibt, müssen Geschichten wie die von Cacho und | |
Escobedo immer wieder erzählt werden. | |
17 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Waffen-in-Mexiko/!5365433 | |
[2] /Indigene-Geschichtsschreibung/!5721251 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
## TAGS | |
Latin Affairs | |
Mexiko | |
Schwerpunkt Femizide | |
Feminismus | |
Netflix | |
Dokumentation | |
Latin Affairs | |
Schwerpunkt Femizide | |
Argentinien | |
Latin Affairs | |
Mexiko | |
Latin Affairs | |
Mexiko | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kriminalität und Gewalt in Mexiko: Im Paradies riecht es nach Blut | |
Journalistin Lydia Cacho deckte ein Netzwerk für Kinderprostitution auf. | |
Die Verantwortlichen sitzen hinter Gittern, Cacho bangt dennoch um ihr | |
Leben. | |
Femizide in Italien: Sieben Tage, sieben Frauenmorde | |
Im Januar 2020 wurden in Italien an sieben Tagen sieben Frauen ermordet | |
aufgefunden. Unsere Autorin hat sich auf Spurensuche begeben. | |
Neues Abtreibungsrecht in Argentinien: Großer Erfolg für die Frauen | |
Nicht nur in Argentinien, nicht nur, wenn es um Abtreibung geht, leiden | |
Lateinamerikas Frauen. Doch den Machismo lassen sie sich nicht mehr | |
gefallen. | |
Partytourismus in Mexiko trotz Corona: Trag deine verdammte Maske, Gringo | |
Trotz steigender Infektionszahlen sind Mexikos Grenzen offen. An den | |
Stränden werden um die Endjahreszeit TouristInnen aus aller Welt erwartet. | |
Verschwundene Studierende in Mexiko: Ermittlung wird Chefsache | |
Der neue Präsident lässt gegen Bundespolizei und Militär ermitteln. Das | |
macht Hoffnung. Aber es sind immer noch über 73.000 Menschen verschwunden. | |
Kriminalität in Mexiko: Gefährliches Reporterleben | |
In Mexiko leben viele Journalist:innen unter prekären Bedingungen. Sie | |
riskieren täglich, ermordet zu werden. | |
Protest gegen Femizide in Mexiko: „Nicht eine weitere Tote mehr“ | |
In Mexiko-Stadt haben Frauen das Büro der Menschenrechtskommission besetzt. | |
Sie sind wütend, weil Frauenmorde selten geahndet werden. |