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# taz.de -- „Gertraudenhain“ in Berlin-Mitte: Ästhetik einer neuen Ökolog…
> Am Berliner Spittelmarkt hat der Künstler Christof Zwiener einen „Tiny
> Forest“ angelegt: eine wachsende Skulptur, die das Mikroklima verbessern
> soll.
Bild: Dem Verkehr und der massiven Bebauung etwas entgegensetzen soll der „Ge…
Wenn [1][der Künstler Christof Zwiener] von „Waldgesellschaften“ spricht,
sind zwei Ideen gemeint: ein diverses ökologisches System und eine Gruppe
von Menschen, die dazu beiträgt, dass so ein System in Miniaturform in der
Stadt Wurzeln schlagen kann.
In der Ökologie beschreibt der Begriff das Konzept eines klar abgrenzbaren
Waldtyps, der durch seine Artenkombination geprägt ist. Die bisher kleinste
Waldgesellschaft – etwa in der Größe eines Fußballfelds – entwickelte ab
den 1970er Jahren der japanische Ökologe Akira Miyawaki mit dem [2][„Tiny
Forest“].
Die Idee der „Miyawaki-Methode“: Pflanzt man unterschiedliche heimische
Baumarten verdichtet aneinander, wachsen sie zehnmal schneller als in einem
natürlichen Wald. Der „Tiny Forest“ ist bereits nach drei Jahren autark,
nach etwa 20 Jahren bietet er ein ebenso stabiles und resilientes
Ökossystem wie ein 200 Jahre alter Forst. Auf Städte übertragen verbessert
das ursprüngliche Aufforstungskonzept das Mikroklima, ist kostengünstiger
und weniger pflegeintensiv als andere grüne Infrastrukturen.
An diese Methode knüpft Christof Zwiener mit dem [3][„Gertraudenhain“] am
Spittelmarkt an. Er ist eines von drei zur Realisierung entlang der
Leipziger Straße empfohlenen Siegerentwürfen im Rahmen von „[4][KIS – Kun…
im Stadtraum]“ des Bezirksamts Mitte und hat im März bereits den Auftakt
gemacht. Im Sommer folgt „Diadéo trésor“ von Kandis Friesen und im März
2025 „rüber machen“ der Künstlerinnengruppe msk7.
Einstmals belebte Gegend
An der 1,5 Kilometer langen Leipziger Straße leben rund 6.500 Menschen. Im
Zweiten Weltkrieg fast vollkommen zerstört, wurde das Gebiet in den 1960er
bis 1970er Jahren neu bebaut. Vom einstmals belebten Spittelmarkt mit
seinen Wohn- und Geschäftshäusern, ist kaum mehr als ein Stück Straßengrün
geblieben. Leicht unterhalb der stark befahrenen Magistrale gelegen, laden
dennoch Sitzbänke am Kupfergraben zum Verweilen ein.
An diesem Ort, der durch Luft- und Lärmverschmutzung besonders belastet
ist, erweitert Zwiener, der Interdisziplinäre Bildhauerei in Braunschweig
studiert hat, das ursprünglich nicht zur Nutzung für den Menschen gedachte
Konzept „Tiny Forest“ zu einer begehbaren skulputuralen Intervention: „Ich
möchte etwas tun, das dem Asphalt, dem Verkehr und der massiven Bebauung
etwas entgegensetzt. Es geht um eine Struktur, die Menschen, die
Nachbarschaft einbindet“.
Dem war in Zusammenarbeit mit dem [5][Fachverband MIYA forest e.V.] eine
Bodenanalyse vorausgegangen, Probegrabungen in tieferen Erdschichten
führten unter anderem Schutt, einen Kohlenkeller und eine mechanische
Rechenmaschine zutage, gemeinsam mit den Delphin-Werkstätten – einem
Garten- und Landschaftsbaubetrieb für Menschen mit Beeinträchtigung – wurde
Erde abgetragen. Zuletzt pflanzte Zwiener in einer waldpädagogischen Aktion
mit der benachbarten Fröbel-Kita „Schatzinsel“ und Anwohner*innen 450
Bäumchen. Backsteine aus den Grabungen werden für einen Weg verwendet, der
das kreisrunde Wäldchen durchquert.
Austausch zu Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit
„Es wäre wünschenswert, wenn neben den Anwohner*innen auch die Eltern
der Kinder mit einsteigen würden, um gemeinsam Zukunft gestalten“, so
Zwiener. Der „Gertraudenhain“ soll so auch zum Austausch über Fragen der
Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit, zum Verhältnis von Kunst und Kultur im
Bezug auf Stadt und deren Produktion anregen.
Damit stellt er auch eine Ästhetik der Ökologie zur Debatte, die als Thema
in der Stadtplanung immer noch nur am Rande geführt wird. Dabei geht es
hier auch um die Gestaltung von Räumen, in denen Gesellschaft passiert. Der
Klimakatastrophe zum Trotz, verliert Berlin laut dem letzten großen
BUND-Baumschutzbericht von 2019 in jedem Jahr durchschnittlich 1.108
Stadtbäume, weil mehr Bäume gefällt als (erfolgreich) neu gepflanzt wurden.
Tendenz weiterhin negativ. Und Bauprojekten von Investoren, die an den
Bedürfnissen der Stadt vorbei planen, wird immer noch allzu oft der Vorrang
gegenüber dem Schutz der Stadtnatur gegeben.
Städte sind ein wichtiges Zukunftslabor für mehr Klima- und
Umweltgerechtigkeit. Letzterer hat sich Berlin übrigens in einem
Pilotprojekt als erste Stadt in Deutschland angenommen. Benötigt wird dafür
Engagement, denn nicht nur soziale, auch ökologische Innovationen kommen
meist von unten. Klimagerechter Städtebau wird so im besten Sinne populär
und sozial wirksam, um als Gesellschaft eine Ökologie der Verantwortung,
ein ethisches Konzept einer umweltfreundlichen Stadt zu formulieren.
Die Laufzeit des Projekts „Gertraudenhain“ als erster geplanter Tiny Forest
im öffentlichen Raum Berlins ist indessen auf Ende 2025 begrenzt. Und der
Senat hat bereits Pläne für eine Neugestaltung des Spittelmarkts. So
stellte sich zur Eröffnung auch die Frage, ob dann alles wieder
herausgerissen werden muss. Die Leiterin des Programms „Kunst im Stadtraum“
Judith Laub beim Bezirksamt Mitte meinte dazu: „Als das Projekt ausgewählt
wurde, war ja allen klar, dass das nichts Temporäres ist.“ Für Christof
Zwiener geht es deshalb auch um das Engagement einzelner. „Wenn es gut
läuft, kann es darüber hinaus bleiben.“
16 Apr 2024
## LINKS
[1] /Outdoorausstellung-in-Britz/!5951097
[2] /Vom-Nutzen-der-Tiny-Forests/!5988038
[3] https://gertraudenhain.de/
[4] https://www.kunst-im-stadtraum.berlin/de/kisr/leipziger-strasse
[5] http://www.miya-forest.de
## AUTOREN
Antonia Herrscher
## TAGS
Ökologie
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