# taz.de -- Vom Nutzen der Tiny Forests: Bäumen beim Wachsen zusehen | |
> In Eberswalde haben Absolventen der Hochschule für nachhaltige | |
> Entwicklung einen Verein gegründet, der die Miniwäldchen pflanzt. Bringt | |
> das was? | |
Bild: Tiny Forest: so fängt das alles an | |
FRANKFURT (ODER) taz | Frankfurts neues Wäldchen liegt etwas versteckt nahe | |
der Oder. Um es unter die Lupe zu nehmen, muss man bei den | |
[1][„Oderknirpsen“] klingeln und durch die Kindertagesstätte auf den | |
Innenhof des Grundstücks gehen. Dort wächst der anderthalb Jahre alte | |
Knirpsenwald, eingezäunt hinter einem Staketenzaun aus dünnen Holzlatten. | |
Ungeordnet ist er, wild und wirklich „tiny“. So winzig wie vielfältig. | |
Ahorn, Traubenkirsche, Esche, Hainbuche, Feldahorn, Erle, Linde. | |
Vielleicht zehnmal zehn Meter misst der „Tiny Forest“ auf dem Innenhof der | |
Kita in Frankfurt (Oder). 270 Setzlinge hat der [2][Verein „Miya“] mit den | |
Kindern in die Erde gebracht, 25 verschiedene Baumarten sind darunter. | |
Seine mangelnde Größe macht er wett durch seine Bedeutung für die | |
Kitakinder. Sie haben ihn mitgepflanzt. Die Baumknirpse und die Oderknirpse | |
gehören seit der Pflanzung im Herbst 2022 zusammen. | |
Über die Pflanzung hat die [3][Brandenburger Landeszentrale für politische | |
Bildung einen kleinen Film gemacht]. Er zeigt, mit welchem Eifer die | |
Kitakinder in Frankfurt bei der Sache sind. Ausgerüstet mit Anoraks und | |
grünen Schaufeln, graben sie für jeden Baum ein Loch. Sind die Setzlinge in | |
der Erde, wird gemulcht, danach kommt die Gießkanne zum Einsatz. „Besonders | |
schön finde ich, dass wir mit den Kindern zusammen die Bäume pflanzen“, | |
sagt Ulrike Gollmick von „Miya“ über die Pflanzung in Frankfurt. „Wir ge… | |
ihnen mit, dass wir was für die Erde und die Natur machen können.“ | |
Baumpflanzaktionen gibt es in Deutschland inzwischen überall. Auf dem | |
Portal „Deutschland forstet auf“ sind viele der Initiativen zu finden, die | |
sich der Pflanzung von Bäumen verschrieben haben. | |
Das hat natürlich auch Begehrlichkeiten geweckt. Inzwischen ist jeder, als | |
Konsument, Käufer von Lebensmitteln oder Nutzer einer alternativen | |
Suchmaschine, Teil einer ständig wachsenden Aufforstungsmaschinerie. Und | |
die dient nicht selten eher dem eigenen schlechten Gewissen als dem | |
Klimaschutz. | |
Doch um Ablasshandel oder Greenwashing [4][geht es nicht beim Tiny Forest] | |
der „Oderknirpse“ in Frankfurt oder dem kleinen Wäldchen, das im | |
Fröbel-Kindergarten in Berlin-Treptow gepflanzt wurde. „Unser Ziel ist es, | |
den Kindern ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen zu ermöglichen, dass die | |
Kinder Selbstwirksamkeit erfahren und Verantwortung übernehmen“, sagt Rahel | |
Schünemann, die Leiterin des Treptower Kindergartens. „So möchten wir ihnen | |
die Kompetenzen für zukunftsorientiertes Denken und Handeln vermitteln.“ | |
„Begeisterung und ein Verantwortungsgefühl für die Natur wecken“ will | |
Stefan Scharfe, er spricht von „ganz anderen Bildern der Zukunft“. In | |
Zichow in der Uckermark kann man sie beobachten. Stefan Scharfe und sein | |
Kompagnon Lukas Steingässer haben dort 2020 auf 700 Quadratmetern den | |
ersten Tiny Forest in Brandenburg gepflanzt. Es war ein Projekt im Zuge | |
einer Bachelorarbeit an der [5][Hochschule für nachhaltige Entwicklung | |
(HNE) in Eberswalde]. Heute sprechen sie bei „Miya“ von einem „kleinen | |
Dschungel“. Zweieinhalb Meter hoch seien die Bäume. „Sie sind uns also | |
schon über den Kopf gewachsen.“ | |
## Das Vorbild kommt aus Japan | |
Der Name des Vereins ist kein Zufall. Vorbild für Scharfe und Steingässer | |
war der japanische Pflanzenbiologe [6][Akira Miyawaki], der in den | |
siebziger Jahren die ersten Miniwälder in Japans Städte gesetzt hatte. Die | |
Idee dahinter ist so einfach wie bestechend. Pflanzt man nicht wie beim | |
klassischen Waldbau einen Baum pro Quadratmeter, sondern gleich drei, führt | |
die Standortkonkurrenz die Jungbäume dazu, sich so schnell wie möglich | |
einen Platz an der Sonne zu sichern. Den mangelnden Abstand zum Nachbarn | |
macht ein Miyawaki-Baum wett durch beschleunigtes Wachstum. Ein Tiny Forest | |
ist also, allem Trend zur Langsamkeit zum Trotz, ein Fast Forest. Aber | |
reicht das, um das Klima zu retten? | |
Tabea Selleneit sitzt im [7][„Café Gustav“ am Eberswalder Marktplatz] und | |
schüttelt den Kopf. „Um Kohlenstoffdioxid zu speichern, sind die Wäldchen | |
zu klein und zu jung“, sagt die Wissenschaftlerin, die an der HNE in | |
Eberswalde Global Chance Management studiert und mit Scharfe und | |
Steingässer bei „Miya“ engagiert ist. „Wir argumentieren lieber mit der | |
Klimaanpassung. Dafür sind Tiny Forests eine sehr gute Methode, vor allem | |
in Städten. Sie speichern sehr viel Wasser nach Extremwasserereignissen. | |
Sie puffern die Temperatur. Sie kühlen, reinigen die Luft, erhöhen die | |
Biodiversität.“ | |
Der Tiny Forest in Frankfurt ist der inzwischen achtzehnte, den „Miya“ | |
gepflanzt hat. „Jede Pflanzung, die wir machen, machen wir partizipativ“, | |
sagt Tabea Selleneit. „Wir versuchen immer, die Kinder einzubinden. Das ist | |
wichtig, denn die Kinder können sagen, den Wald haben auch wir gepflanzt, | |
und wir können den Bäumen beim Wachsen zuschauen.“ Dieser Bildungsansatz | |
ist für den Verein „Miya“ mindestens so wichtig wie der ökologische Aspek… | |
Auch deshalb wurde der Verein 2022 von Bundesumweltministerin Steffi Lemke | |
(Grüne) und dem Präsidenten des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, mit dem | |
[8][„Blauen Kompass“] ausgezeichnet. Der mit 25.000 Euro dotierte Preis ist | |
die höchste staatliche Auszeichnung in Deutschland, die im Rahmen eines | |
Wettbewerbs für Projekte zur Vorsorge und Anpassung an die Folgen des | |
Klimawandels vergeben wird. „Die Tiny Forests dienen vom Zeitpunkt ihrer | |
Pflanzung als grüne Klassenzimmer, die fortan für die Bildung für | |
nachhaltige Entwicklung genutzt werden können“, heißt es in der Begründung | |
für die Preisverleihung. „Ab dem Zeitpunkt seiner Pflanzung dient der Tiny | |
Forest als Real-Labor, in dem sich die Entwicklung eines Waldökosystems | |
hautnah miterleben lässt. Im Sinne von Citizens Science können Menschen mit | |
einfachen Mitteln zum Beispiel den Zuwachs der Bäume dokumentieren oder | |
Insekten bestimmen, die den Miniwald bewohnen.“ | |
## Die Kosten sind gering | |
Dass die Tiny Forests inzwischen so populär sind, liegt auch an ihren | |
vergleichsweise geringen Kosten. Regulär kostet die Pflanzung eines | |
Stadtbaums mehrere tausend Euro. Vor allem die Pflege ist teuer. In einem | |
Tiny Forest kostet ein Quadratmeter Neuwald samt Bodenbearbeitung, dem | |
Pflanzen der Setzlinge und den Personalkosten des Vereins nur etwa 150 Euro | |
und nach zwei, drei Jahren, in denen in heißen Sommern gegossen und das | |
Beikraut entfernt werden muss, entfallen auch die Kosten für die Pflege. | |
Dann wird der Wald sich selbst überlassen. Genutzt wird er übrigens nicht. | |
Auch deshalb sprechen sie beim „Miya“-Verein gerne, wenn auch | |
augenzwinkernd, von einem „kleinen Urwald“. | |
Neuer Wald entsteht inzwischen überall in Deutschland. In Brandenburg | |
wächst er als [9][Kippenwald auf ehemaligen Tagebauflächen] oder als | |
Pionierwald auf einstigen Truppenübungsplätzen. Aufgeforstet wird dort, wo | |
Waldbrände, Stürme oder der Borkenkäfer gewütet haben. Und natürlich wird | |
darüber gestritten, ob und wie die 500.000 Hektar Wald, die in Deutschland | |
in den vergangenen Hitzesommern verloren gingen, ersetzt werden können. | |
Pierre Ibisch, Biologe und Professor an der Hochschule in Eberswalde, steht | |
Aufforstungen eher skeptisch gegenüber, bezeichnet sie als „reine | |
Investition“ der Forstwirtschaft. | |
„Wollten wir der Natur helfen, so wäre eine natürliche Wiederbewaldung | |
immer vorzuziehen“, hat Ibisch in seinem jüngsten Buch mit dem Förster und | |
Autor Peter Wohlleben geschrieben. Andere wiederum sind der Meinung, dass | |
der Waldumbau alleine durch die sogenannte Naturverjüngung nicht | |
vorankomme. | |
Tabea Selleneit hat bei Pierre Ibisch studiert. Zu den Tiny Forests von | |
„Miya“ habe sich Ibisch ihres Wissens noch nicht geäußert, lächelt | |
Selleneit. „Unsere Methode ist eher geeignet für die degradierten Böden in | |
Städten, um schnell und effizient sehr gute Ökosysteme zu schaffen“, sagt | |
sie. „Eine Aufforstung im Wald ist ein anderes Thema, da würde man anders | |
arbeiten. Bodenbearbeitung macht da gar keinen Sinn.“ | |
Ohnehin handele es sich bei den Tiny Forests gar nicht wirklich um einen | |
Wald. Laut dem Waldgesetz der meisten Bundesländer beginnt Wald ab einer | |
Größe von einem halben Hektar. Das Miniwäldchen in Frankfurt (Oder) aber | |
bringt es dagegen gerade einmal auf 0,01 Hektar. | |
In Sachen Begeisterung aber kann es das Stadtwäldchen gut und gerne mit den | |
„richtigen“ Wäldern aufnehmen. „Schon nach zwei Jahren können die Kinder | |
anfangen, Schmetterlinge zu zählen“, sagt Tabea Selleneit. „Es ist ihr | |
Wald.“ | |
9 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://oderknirpse.froebel.info/ | |
[2] https://www.miya-forest.de/ | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=W_YfQClSBF0 | |
[4] /Was-tun-gegen-die-Hitze/!5949075 | |
[5] https://www.hnee.de/de/Startseite/HNEEberswalde-Startseite-E9875.htm | |
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Akira_Miyawaki | |
[7] https://www.wiese-brot-gustav.de/ | |
[8] https://www.miya-forest.de/post/bundespreis-blauer-kompass | |
[9] /Kippenwaelder-in-der-Lausitz/!5956348 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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