# taz.de -- Georgischer Journalist zu Polizeigewalt: „Ich sah nur Hände auf … | |
> Alexander Keschelaschwili wollte über die Proteste in Georgien berichten. | |
> Im Interview erzählt er, wie die Polizei ihn krankenhausreif prügelte. | |
Bild: Journalist*innen bei dem Protest vor dem georgischen Parlament in Tbilisi… | |
taz: Herr Keschelaschwili, Sie arbeiten als Journalist und wurden Ende | |
November bei einer Demonstration gegen die Regierung in Tbilissi von | |
Polizisten verprügelt. Und verzeihen Sie, aber Sie sehen gar nicht gut aus. | |
Wie geht es Ihnen? | |
Alexander Keschelaschwili: Ich fühle mich besser. Ich habe den Angriff ohne | |
innere Verletzungen überlebt. Die Ärzte überwachen immer noch den Zustand | |
meines Gehirns. Ich muss noch ein-, zweimal zum Röntgen ins Krankenhaus. | |
Ich habe mehrere äußerliche Hämatome, vor allem im Gesicht, aber auch am | |
Rücken und am Hals. Das Schlimmste ist meine Nase. Die ist mehrmals | |
gebrochen und musste operiert werden. Ich hatte durchweg Kopfschmerzen, | |
aber der Arzt meinte, in den ersten Tagen ist das normal. Ich liege die | |
meiste Zeit im Bett und gehe hin und wieder kurz vor die Tür. | |
taz: Wieso kam es überhaupt zu der Demonstration? | |
Keschelaschwili: Am 28. November hatte der Ministerpräsident angekündigt, | |
die Beitrittsverhandlungen mit der EU auszusetzen. Die Menschen gingen in | |
Tbilissi spontan auf die Straße und versammelten sich vor dem Parlament. | |
Als ich dort ankam, um für mein Medium Publika zu berichten, war es noch | |
ruhig. Da waren nur Polizisten, keine Wasserwerfer, kein Tränengas. Sie | |
hatten vielleicht ein bisschen Pfefferspray benutzt und zwei oder drei | |
Leute festgenommen. | |
taz: Wo befanden Sie sich? | |
Keschelaschwili: Ich stand vor dem Parlament, umringt von anderen | |
Journalisten. Ich dachte, das sei ein sicherer Ort. Die Polizisten standen | |
an einer Barrikade. Dann sahen wir, wie einige Männer von hinten vor die | |
Polizisten traten, diese Männer hatten dunkle Kleidung an und Sturmhauben | |
auf. Wahrscheinlich waren das auch Polizisten, aber man konnte sie nicht | |
identifizieren. Die Männer provozierten die Demonstranten und beleidigten | |
die Journalistin eines oppositionellen Senders. Einige Demonstranten riefen | |
Beleidigungen zurück. | |
taz: Wie kam es, dass Sie von den Polizisten angegriffen wurden? | |
Keschelaschwili: Ich sah, wie ein Demoteilnehmer auf einen großen Stein vor | |
dem Parlamentsgebäude kletterte, und dachte, sie würden ihn festnehmen. | |
Aber er stand zu weit oben. Ich hatte zwei Kameras dabei und wollte Fotos | |
von ihm machen. Ich trug einen Helm, auf dem „Presse“ stand, und eine | |
Gesichtsmaske gegen das Pfefferspray. Ich begann Fotos zu schießen, als ich | |
merkte, wie mich jemand von hinten oder von der Seite packte. Einige | |
Sekunden später fand ich mich umringt von diesen Typen in Schwarz. Ich | |
rief: „Ich bin Journalist, das ist eine Verwechslung.“ Eine Stimme | |
erwiderte: „Klar bist du Journalist, du Wichser.“ | |
taz: Es war also keine Verwechslung. Die Männer griffen Sie gezielt an, | |
eben weil Sie Journalist waren? | |
Keschelaschwili: Das war mein Gefühl, aber ich kann es nicht mit Sicherheit | |
sagen. Sie begannen mich mit Fäusten zu schlagen. Ich weiß nicht, ob sie | |
auch Stöcke benutzten, ich erinnere mich nur an die Hände, die auf meinen | |
Kopf einprasselten. Zum Glück hatte ich am Anfang noch den Helm und die | |
Gesichtsmaske auf, sonst wären die Verletzungen vielleicht schlimmer | |
gewesen. Doch die zogen sie mir irgendwann aus. | |
taz: Wie haben Sie dann reagiert? | |
Keschelaschwili: Mein Überlebensinstinkt setzte ein. Ich dachte, vielleicht | |
hassen sie Journalisten, und rief deswegen: „Das ist ein Fehler, ich bin | |
Fotograf!“ „Oh, jetzt bist du plötzlich Fotograf“, sagten sie und schlug… | |
mich weiter. Ich bat sie, mich zu ihren Vorgesetzten zu bringen, weil die | |
mein Medium kennen. Aber sie lachten darüber. Ich fiel ein paar Mal auf den | |
Boden, verlor einmal kurz das Bewusstsein. Ich sah, dass sie mir mit ihren | |
Stiefeln ins Gesicht traten. Weil ich das nicht mehr aushielt, bat ich sie, | |
mich einfach festzunehmen. Ich fühlte mich wie das Opfer von | |
Straßenschlägern, die einfach Gefallen daran fanden, mich zu verprügeln. | |
taz: Wie lange ging das? | |
Keschelaschwili: Vielleicht zwei oder drei Minuten. Dann brachten sie mich | |
durch einen Korridor aus Polizisten, von denen mir jeder noch mal einen | |
Schlag mitgab. Sie legten mir Handschellen an, als wäre ich ein | |
Krimineller, und brachten mich in ein Polizeiauto. In dem Auto waren zwei | |
junge Demonstranten, die schwere Schläge abbekommen hatte. Der eine konnte | |
kaum atmen und war fast bewusstlos. Sie brachten mich in die Notfallstation | |
der Polizeiwache. Die Sanitäter dort sagten, sie müssten mich schnell in | |
eine Klinik bringen. Dort wurde ich gut behandelt. | |
taz: Gibt es einen Weg, die Angreifer zur Rechenschaft zu ziehen? | |
Keschelaschwili: Wir müssen und werden versuchen, alle juristischen Wege zu | |
gehen. Ich habe einen Anwalt von der NGO Social Justice Center, der mir | |
hilft. Ich hoffe, dass die Institutionen vor Ort funktionieren. Aber die | |
Vergangenheit macht mir keine große Hoffnung auf Erfolg. Am Ende ziehen wir | |
womöglich vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. | |
taz: Bei der jetzigen Protestwelle gibt es offenbar besonders viele | |
Angriffe auf Journalisten. Schon am zweiten Tag hat ein Medium [1][20 | |
verletzte Pressevertreter dokumentiert]. Haben Sie den Eindruck, dass die | |
Regierung diesmal besonders auf Journalisten zielt? | |
Keschelaschwili: Ich arbeite seit elf Jahren als Journalist. In Georgien | |
gibt es viele Proteste. Die Polizisten waren vielleicht nicht nett zu | |
Journalisten, aber ich konnte meine Arbeit machen. Aber in den letzten zwei | |
Jahren – und besonders dieses Jahr – werden die Polizei und die | |
Sicherheitskräfte immer aggressiver. Besonders die ohne Kennzeichnung. Im | |
Frühling kamen sie noch auf mich zu, schrien und versuchten meine Kamera zu | |
verdecken. Aber in den letzten Tagen haben sie es richtig auf Journalisten | |
abgesehen. Sie wollen zeigen, wie brutal sie sein können. | |
taz: Was will die Regierung damit bezwecken? | |
Keschelaschwili: Eines ihrer Hauptziele ist, uns einzuschüchtern. Deswegen | |
ist es wichtig, dass die Presse jetzt weiterarbeitet. Mein Ziel ist es, | |
bald wieder gesund zu werden und mit der Arbeit weiterzumachen. Am meisten | |
schmerzt mich, dass ich die letzten Tage der Proteste verpasst habe. Das | |
macht mich wütend. Ich wäre lieber noch ein- oder zweimal geschlagen | |
worden, hätte ich nur weiterarbeiten können. Entschuldigung (nimmt sich ein | |
Taschentuch). Manchmal blute ich noch aus der Nase. | |
taz: Ihr Medium Publika wird auch mit Geldern aus Großbritannien, der EU | |
und den USA finanziert. Die Regierungskoalition hat im Frühjahr ein Gesetz | |
durchgedrückt, das Empfänger ausländischer Förderung zu „ausländischen | |
Agenten“ erklärt. Wie betrifft Sie dieses Gesetz heute in Ihrer Arbeit? | |
Keschelaschwili: Das Gesetz ist schon in Kraft, aber wir warten noch ab. | |
Wir sind davon ausgegangen, dass die Regierung ihre Repression nach den | |
Wahlen beginnt. Aber ich glaube, es hat schon vor der Wahl gewirkt. Wir | |
haben in den letzten Monaten nach rechtlichen Wegen gesucht, wie wir | |
trotzdem in Georgien bleiben und arbeiten können. Etwa, indem wir uns in | |
einem anderen Land registrieren. Sonst könnten all unsere Gelder | |
eingefroren werden. Wir haben Gespräche mit unseren | |
Unterstützerorganisationen geführt. Das hat viel Zeit gefressen. Das Gesetz | |
hat auch den psychologischen Effekt, dass wir glauben, wir werden | |
vielleicht alles verlieren, was wir aufgebaut haben | |
taz: Wie hat das Ihre Berichterstattung beeinträchtigt? | |
Keschelaschwili: Wir konnten vor der Wahl nicht alle Geschichten abdecken. | |
Wir hörten etwa, dass die Polizei Menschen unter Druck setzt, für die | |
Regierung zu stimmen. Besonders in den ländlichen Regionen. Aber wir hatten | |
keine Zeit, dort hinzufahren, um das zu untersuchen. Wie die meisten | |
Onlinemedien in Georgien sind wir klein. Im Newsroom von Publika arbeiten | |
etwa zehn Leute. [2][Das Gesetz gegen „ausländische Agenten“] ist sehr | |
effektiv gegen uns. | |
taz: Georgien scheint vor zwei Wegen zu stehen: Entweder es gelingt der | |
Opposition im Land, die Regierung zu stürzen. Oder die herrschende Partei | |
Georgischer Traum klammert sich umso fester an die Macht. | |
Keschelaschwili: So ist es. [3][Der Georgische Traum wird immer repressiver | |
und autoritärer]. Die einzige unabhängige Instanz ist die Präsidentin – und | |
die wird nur noch weniger als einen Monat lang im Amt sein. | |
taz: Wann werden Sie wieder arbeiten können? | |
Keschelaschwili: Mein Arzt meinte, ich soll zehn Tage bis zwei Wochen | |
ruhen. Aber vielleicht fange ich schon nach einer Woche wieder an. Ich muss | |
mich einfach selbst beobachten. Das einzige, was ich jetzt tun kann, ist | |
erzählen, was passiert ist. | |
5 Dec 2024 | |
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[1] https://civil.ge/archives/639163 | |
[2] /Jurist-ueber-Agenten-Gesetz/!6017960 | |
[3] /Wahlen-in-Georgien/!6045089 | |
## AUTOREN | |
Leon Holly | |
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