# taz.de -- Geo-Engineering gegen den Klimawandel: Eine Billion für einen Sonn… | |
> Marco Fuchs baut Satelliten. Jetzt lässt er prüfen, ob Sonnensegel im All | |
> die Erderhitzung bremsen könnten. | |
Bild: Marco Fuchs ist Chef des Satelliten-Fabrikanten OHB | |
BREMEN taz | Wer hat das schon, ein eigenes Raumfahrtunternehmen, mit | |
Tausenden Ingenieuren, die man einfach fragen kann, wenn man wissen will, | |
ob die sich verstörend schnell aufheizende Welt vielleicht aus dem All zu | |
retten sein könnte? Also erst mal nur ganz hypothetisch? [1][Elon Musk], | |
klar, aber der hat gerade anderes zu tun. Und dann gibt es noch Marco | |
Fuchs, Erbe und Vorstandsvorsitzender des Satellitenkonzerns OHB in Bremen. | |
Wenn davon die Rede ist, dass es nun doch wirklich [2][zu langsam vorangeht | |
mit dem Klimaschutz], und darüber nachgedacht wird, ob vielleicht doch | |
anderes, mehr, nötig sein wird als Energiewende, Nachtzüge und | |
Elektroautos, dass die Menschheit sich „Zeit kaufen“ muss, dann fällt | |
zuletzt – nicht oft, aber doch öfter – ein Begriff: Geo-Engineering. | |
Geo-Engineering ist das Schmuddelkind des Klimaschutzes. Niemand will damit | |
etwas zu tun haben. Also fast niemand. Bäume pflanzen, das sei doch | |
letztlich auch Geo-Engineering, sagt Fuchs. Aber die meisten verstehen | |
anderes darunter: Großflächige Eingriffe in die Atmosphäre und das Klima, | |
mit Technologien, die bisher unfassbar teuer ([3][Treibhausgas-Entnahme aus | |
der Atmosphäre]) oder unzureichend erforscht sind (reflektierende Partikel | |
am Himmel, die das Sonnenlicht zurückwerfen). Oder mit Werkzeugen, die es | |
so noch gar nicht gibt. Wie die Space-based Solar Shields, große Segel, die | |
an Satelliten im Weltall aufgespannt werden, um die Sonnenstrahlen | |
abzuhalten. Das ist es, was Marco Fuchs prüfen lässt. Die Idee: Wenn | |
weniger Sonnenstrahlung in die Atmosphäre gelangt, gibt es auch weniger | |
Erderhitzung. | |
## Segel zwischen Sonne und Erde | |
Fuchs hat seine Firma von seinen Eltern geerbt, OHB ist ein | |
Familienunternehmen. Fuchs' Vater war Raumfahrtingenieur. 1981 kaufte er | |
Anteile an der Otto Hydraulik Bremen, einem kleinen Elektro-Zulieferer für | |
die Bundeswehr mit damals fünf Mitarbeitern. Später baute OHB Satelliten | |
für die Bundeswehr, das EU-Navigationssystem Galileo, rüstete die | |
Internationale Raumstation ISS aus. Jüngst stieg die Firma in den | |
Raketenbau ein. 2025 will OHB den ersten kommerziellen Mond-Shuttle Europas | |
starten. Der Konzern macht heute eine Milliarde Umsatz im Jahr, hat 3.000 | |
Mitarbeiter an 15 Standorten. | |
Der größte liegt am Nordrand Bremens. Durch das Firmengelände fließt die | |
Kleine Wümme, nach hinten liegen Schrebergärten, vorne die Universität. In | |
Montagehallen wird der Plato-Satellit gebaut, der ab 2026 erdähnliche | |
Planeten finden soll. Fuchs' Büro ist in einem blauen Glasbau. Aus den | |
Fenstern sieht man auf die norddeutschen Wiesen, die an diesem Tag Ende | |
Oktober nass, kühl und nebelverhangen sein müssten. Tatsächlich sind es 23 | |
Grad und die Leute radeln im T-Shirt nach Hause. „Das ist ja meine | |
Kernthese: Es ist viel schlimmer, als man denkt“, sagt Fuchs. | |
Die Idee, die Erde zu verschatten, um weniger Erderhitzung zu erreichen, | |
ist nicht neu. Wirklich konkretisiert aber hat sie erst Fuchs. 2019 | |
veranstaltete er in seinem Satellitenkonzern OHB ein „Innovationsforum“, | |
2020 startete die erste Studie. 2021 initiierte OHB ein Kompetenznetzwerk | |
mit acht Einrichtungen in fünf Ländern. Alles Vorbereitungsarbeit. | |
Die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre ist seit Beginn der | |
Industrialisierung um fast 50 Prozent angestiegen. Zwei Prozent der | |
Sonnenenergie abzuhalten würde reichen, um selbst eine noch deutlich höhere | |
Erwärmung zu neutralisieren, sagt Pia Bausch, die den Forschungsverbund für | |
OHB leitet. | |
Abhalten sollen die Strahlen ultradünne Folien, die mit Raketen ins All | |
geschossen und von Satelliten am sogenannten Lagrange-Punkt entfaltet | |
werden. Dieser Punkt liegt rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde | |
entfernt. Viermal so weit wie bis zum Mond. Für die Raumfahrt ist das keine | |
Entfernung. „Da kann man ganz normal hinfliegen, das ist nicht schwer“, | |
sagt Fuchs. | |
Am Lagrange-Punkt sind Anziehungskraft von Erde und Sonne gleich groß. | |
Objekte können mit wenig Energieeinsatz dort verbleiben. Und | |
vergleichsweise kleine Schilde können von dort auf der Erde große Flächen | |
beschatten. Zu erkennen wäre davon kaum etwas. | |
## Irgendwann wird Geld keine Rolle spielen | |
Genau beziffern kann die Kosten dafür niemand. Dass sie über einer Billion | |
Euro liegen würden, halten die Forscher:innen für wahrscheinlich. Die | |
Spar-Variante sieht vor, nur den Bereich über den Polen zu verschatten. So | |
könnte das besonders gefährliche Abschmelzen des Eises eingedämmt werden. | |
Die Folien gibt es schon im Labor, die Satelliten ließen sich wohl bauen, | |
die Raketen müssten noch entwickelt werden. Ein paar Jahrzehnte dürfte | |
alles dauern. Und würde selbst in der Spar-Variante Milliarden kosten. | |
Zeit, die wir nicht haben und Geld, das für anderes gebraucht wird? | |
Fuchs glaubt: „Irgendwann wird der Punkt erreicht sein, an dem Geld | |
eigentlich keine Rolle mehr spielt, weil es dann wirklich darum geht, ob | |
das Land, in dem wir jetzt gerade wohnen, noch so ist, dass da Menschen | |
leben können.“ | |
Ein Problem dabei: Selbst wenn es gelänge, einen solchen Schirm zu | |
finanzieren und aufzuspannen, weiß niemand, ob die Verschattung womöglich | |
auch andere unerwünschte Effekte hätte. Wären diese ausgeschlossen, könnte | |
man am Lagrange-Punkt auch einfach künstliche Aerosole freisetzen, | |
schwebende Partikel, die ebenfalls für Verdunklung sorgen würden. Das wäre | |
ungleich billiger. Aber sollte sich herausstellen, dass es nachteilige | |
Folgen gibt, ließen sich die Partikel nicht so leicht aus dem Weltraum | |
entfernen. Also müssen es Satelliten sein. | |
Das Umweltbundesamt ist skeptisch. „Durch Geo-Engineering droht ein | |
Paradigmenwechsel in der Klimaschutzpolitik, der die bisherige Einigkeit, | |
dass Minderungsmaßnahmen in erheblichem Ausmaß erforderlich sind, in Frage | |
stellt“, steht in einer Handreichung mit dem Titel [4][„Geo-Engineering – | |
Wirksamer Klimaschutz oder Größenwahn?“]. Es bestehe die Gefahr, die | |
Treibhausgasminderung zu vernachlässigen, weil vermeintliche | |
Rettungsschirme zur Verfügung stünden. Schließlich sind Wege für wirksamen | |
Klimaschutz bekannt – es mangelt vor allem in der Umsetzung. Die Hoffnung, | |
irgendwann komme die geniale technische Lösung, könnte davon abhalten, | |
heute zu handeln. | |
Hinzu kommt: Bestimmte Regionen der Erde könnten negativ beeinflusst | |
werden, während andere von der Methode stark profitieren. Die Frage eines | |
globalen Aushandlungsrahmens ist ungeklärt. | |
Fuchs weiß das alles, er sieht die Risiken. „Man darf nicht den Eindruck | |
vermitteln, es gäbe andere Möglichkeiten als den CO2-Ausstoß zu drücken, | |
weil sonst das Risiko besteht, dass man da nichts macht“, sagt er. „Aber | |
der Ansatz ohne Geo-Engineering hat halt das Risiko, dass es am Ende nicht | |
reicht.“ Und wer wisse denn heute, ob nicht schon eine 1,7- Grad-Erwärmung | |
viel gravierendere Folgen hätte, als man dachte? | |
## Wie sehr darf der Mensch eingreifen? | |
Marco Fuchs erzählt von der Meeresbiologin Antje Boetius, mit der er | |
befreundet ist. Die leitet das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, eins | |
der wichtigsten Polarforschungsinstitute der Welt. Im Oktober 2020 kehrten | |
Forscher des Instituts von einer Expedition in der Arktis zurück. Sie | |
hatten den Eisrückgang untersucht. „Danach sagte sie mir: Wir haben es viel | |
zu höflich und milde kommuniziert. Das Abschmelzen ist viel schlimmer, als | |
wir gedacht haben.“ | |
Fuchs lässt also eine Projektgruppe bei OHB zu Geo-Engineering forschen. | |
Seit April 2021 trifft sich das von ihr angestoßene Kompetenznetzwerk. | |
Konkrete Projekte gibt es noch nicht, es wird sondiert. | |
Fuchs möchte Geo-Engineering breiter diskutieren. „Die Menschen haben eine | |
quasi-religiöse Überzeugung, dass sie nicht in die Schöpfung eingreifen | |
dürfen“, sagt er. „Die Konservativen sagen, das lassen wir lieber den | |
lieben Gott machen. Und die Progressiven sagen, ohne Verzicht geht es ja | |
doch nicht. Lasst uns mal lieber alle verzichten.“ Tatsächlich greife der | |
Mensch aber permanent in die Schöpfung ein. „Und wir erhalten sie dabei | |
nicht. Ganz im Gegenteil.“ | |
Fuchs' Familie stammt aus Südtirol. Seit seiner Kindheit fährt er im Sommer | |
ans Stilfser Joch. Auf den Gletschern dort konnte man auch im Sommer | |
Skifahren. Er selbst habe das nie gemacht, sagt Fuchs. Aber es ging. Jetzt | |
nicht mehr. Dieses Jahr war es erstmals zu nass. „Jetzt könnte man sagen: | |
Egal, dann gibt's halt keine Gletscher mehr.“ Vielleicht würden sich auch | |
Leute freuen, wenn die nervigen Lifte weg sind. „Aber wenn man nachdenkt, | |
dann wird doch klar: Das ist doch alles nicht gut.“ Fuchs sympathisiert mit | |
Fridays for Future. Er mag ihre Zuspitzung und dass sie nicht immer höflich | |
bleiben. Aber Fridays for Future sympathisiert nicht so sehr mit Fuchs' | |
Lösungsweg. Geo-Engineering lenke nur ab, [5][sagen Aktivist:innen]. | |
Wenigstens prüfen müsse man das Ganze, findet Fuchs. „Ich will keinen | |
Auftrag dafür. Ich will verstehen, ob das geht“, sagt er. Das klingt schon | |
weniger nach Größenwahn. Vielleicht eher nach Notwehr. | |
20 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kapitalismus-und-Raumfahrt/!5854163 | |
[2] /Wachstum-und-Klimakrise/!5892098 | |
[3] /CCS-Technologie-gegen-den-Klimawandel/!5807254 | |
[4] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/… | |
[5] https://fridaysforfuture.at/podcast/folge-22-geo-engineering-hoffnungsschim… | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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