# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Rochade im Reichstag | |
> Nach den abgebrochenen Migrationsgesprächen schweigt CDU-Chef Friedrich | |
> Merz zunächst. Ausdruck neuer Demut? Nicht ganz. Er will den Kanzler | |
> parieren. | |
Bild: Olaf Scholz spricht in der Generaldebatte des Bundestags | |
Berlin taz | Der Mittwochmorgen im Bundestag beginnt mit einer | |
Überraschung. Es ist Haushaltswoche, das Parlament debattiert am Vormittag | |
den Etat des Kanzleramts, für die Opposition die große Gelegenheit zur | |
Generalabrechnung mit der Politik der Regierung. Doch nicht | |
Unionsfraktionschef Friedrich Merz tritt als erster Redner in der | |
Generaldebatte ans Pult. Er lässt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt | |
den Vortritt und begnügt sich mit der Zuschauerrolle. Die neue Merz'sche | |
Bescheidenheit? Oder eine verpasste Gelegenheit? Weder noch. | |
Merz tritt als zweiter Unionsredner und anderthalb Stunden später auf. | |
Diese Rochade gibt ihm Gelegenheit, dem Kanzler zu antworten. | |
Am Vorabend [1][hatte die Union die Gespräche mit der Ampel über schärfere | |
Zuwanderungsregeln abgebrochen]. Dobrindt geht darauf kaum ein, wiederholt | |
nur die Forderung nach konsequenten Zurückweisungen an den Grenzen. Eine | |
Forderung, die im Laufe der Debatte auch von AfD-Chefin Alice Weidel fast | |
gleichlautend wiederholt wird. Ansonsten begnügt sich Dobrindt damit, auf | |
die Ampel einzudreschen – Nullwachstum und Nullzustimmung. „Doppelnull | |
statt Doppelnull – Herr Kanzler, Sie haben den Wumms verloren.“ Damit | |
unterstellt er Scholz immerhin, dass er mal welchen hatte. | |
Der Bundeskanzler straft Dobrindt mit Nichterwähnung. Er geht zunächst auf | |
die Wahlergebnisse für die rechtspopulistische AfD in Thüringen und Sachsen | |
ein, nennt sie „bedrückend“ und die AfD eine Gefahr für das Land. | |
## Deutschland braucht Zuwanderung | |
Scholz macht deutlich, dass Deutschland auf Zuwanderung angewiesen sei. | |
Wohlstand und Wachstum der letzten 20 Jahre hätten damit zu tun, „dass | |
viele Frauen und Männer aus anderen Ländern hier mit angepackt haben“. | |
Angesichts der sinkenden Erwerbsbevölkerung brauche man auch künftig | |
Zuwanderung. Ein Punkt, auf den immerhin auch Merz später aufmerksam macht. | |
Ohne zehntausende Arbeitskräfte würde es in vielen Branchen gar nicht | |
gehen. Man stehe als Union „gegen jede Form von Fremdenhass und | |
Ausländerfeindlichkeit“. | |
AfD-Vorsitzende Weidel spricht dagegen von „grassierender | |
Migrantenkriminalität“ und fordert einen generellen Aufnahme- und | |
Einbürgerungsstopp für mindestens fünf Jahre. Das würde eine | |
verantwortungsvolle AfD-Regierung machen. Das ist aber auch ein schönes | |
Beispiel, um mal wieder die Unterschiede zwischen der extrem rechten Partei | |
und den anderen Parteien im Bundestag deutlich zu machen. | |
Aber natürlich müsse sich Deutschland aussuchen dürfen, wer kommt, schwenkt | |
auch Scholz auf den von der AfD gesetzten Diskurs ein. Und zählt die | |
zahlreichen Verschärfungen für Asylbewerber:innen auf, die die Ampel | |
in den letzten Monaten bereits beschlossen hat – die verlängerte Dauer des | |
Abschiebegewahrsams, mögliche Hausdurchsuchungen in | |
Flüchtlingsunterkünften, die Streichung von Leistungen für | |
Ausreisepflichtige. Nur die SPD-Fraktion und die FDP klatscht, bei den | |
Grünen rührt sich keine Hand. | |
Deren Fraktionschefin Katharina Dröge beklagt später, dass die Fähigkeit | |
zur Differenzierung zwischen Schutzsuchenden und Straftätern immer weniger | |
Demokraten gelinge. Ein Wink auch an die Scharfmacher in den Reihen der | |
Ampel. | |
## Vorwurf des Provinztheaters | |
Und dann geht Scholz doch noch auf Merz ein und reicht ihm die Hand. Man | |
wolle nun alle Möglichkeiten zu nutzen, für Zurückweisungen an deutschen | |
Grenzen innerhalb geltenden Rechts. Trotz Streit mit Österreich oder Polen, | |
den müsse man jetzt aushalten. Dröge lässt Kritik durchblicken. Asylpolitik | |
funktioniere nicht national, sondern sei zu Recht europäisch geregelt. Kein | |
Land würde mehr Ankommende registrieren, wenn Deutschland seine Grenzen | |
schließe. | |
„Es wäre gut, wenn wir gemeinsam was hinkriegen“, umwirbt Scholz | |
stattdessen den Oppositionsführer im Deutschen Bundestag. „Wir schlagen | |
keine Tür zu. Sie können immer wieder kommen.“ Zuvor hat er ihn jedoch nach | |
allen rhetorischen Regeln der Kunst umtänzelt und traktiert. So wirklich | |
willkommen ist Merz im Kanzleramt nicht mehr. Herr Merz habe angeboten, | |
gemeinsame Sache zu machen, erinnert Scholz. – „Doch, doch, das haben Sie.�… | |
– Dann habe sich Merz, als es ernst wurde, in die Büsche geschlagen, habe | |
die Gespräche nach Drehbuch platzen lassen. | |
Schon am Vorabend, kurz nach Abbruch der Migrationsgespräche, hatte Scholz | |
dem CDU-Politiker deshalb „Provinzbühnenschauspiel“ vorgeworfen. | |
Im Bundestag weist der Gescholtene Scholz’ Anschuldigungen als infam | |
zurück. Sagt aber wenig Erhellendes über den konkreten Grund des Abbruchs. | |
Lediglich, dass die Vorschläge der Ampel weit hinter den Erwartungen der | |
Union zurückgeblieben seien. Die von Scholz aufgehaltene Tür schlägt er mit | |
Wumms zu. „Wir begeben uns nicht in eine Endlosschleife von Gesprächen.“ | |
## Warnung an Wagenknecht | |
Auch an einer anderen Flanke schafft Merz Klarheit. Er spricht den brutalen | |
Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine an und betont: „Es bleibt unsere | |
Pflicht, fest an der Seite der Ukraine zu stehen und nicht den Eindruck | |
erwecken, man könne mit Friedensrhetorik Putin zum Aufgeben zwingen.“ Das | |
ist einerseits an den Bundeskanzler gerichtet, [2][der erneut erklärte, es | |
sei an der Zeit auszuloten, wie man zu einem Friedensvertrag komme] – auch | |
im Gespräch mit Russland. | |
Aber auch an die Adresse der eigenen Parteifreunde und die von Sahra | |
Wagenknecht. Die ehemalige Linksfraktionsvorsitzende und | |
Neu-Gruppen-Vorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht hat in den | |
hinteren Reihen links außen Platz genommen. Sie möchte bei möglichen | |
Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU und dem BSW in Sachsen und | |
Thüringen dabei sein und den Verzicht auf Waffenlieferungen an die Ukraine | |
in Koalitionsverträgen festhalten. Mit Merz' Machtwort wäre eine solche | |
Formulierung nicht vereinbar. | |
Ach ja, dann geht es im Bundestag auch noch um das eigentliche Thema: den | |
Haushalt. Und die wirtschaftliche Lage. Merz weist auf die seit – Achtung: | |
Merkelkritik – zehn Jahren anhaltende Wachstumsschwäche der deutschen | |
Wirtschaft hin. Und will diese mit privaten Investitionen angehen. Wie | |
genau das funktionieren könnte, erläutert er nicht. | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich setzt sich dagegen erneut dafür ein, die | |
grundgesetzliche Schuldenbremse so zu reformieren, dass mehr Investitionen | |
möglich sind. „Wir brauchen Investitionen, um uns nicht zu gefährden“, | |
verweist Mützenich auf Aussagen von Gewerkschaften und Industrie. Bislang | |
lässt die Bremse nämlich kaum Neuverschuldung zu – ungeachtet dessen, wofür | |
die Kredite verwendet werden sollen. „Ihre Ministerpräsidenten wollen das | |
auch, Herr Merz“, wirbt Mützenich. „Wir haben Ideen und wollen sie gern mit | |
Ihnen teilen.“ Doch Merz kann nicht mehr antworten, er hat seine Redezeit | |
schon verbraucht. | |
11 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Zurueckweisungen-an-deutschen-Grenzen/!6036181 | |
[2] /Friedensgespraeche-Ukraine-und-Russland/!6032545 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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