| # taz.de -- Gemeinde versus Superinvestoren: Gegen das Betongold | |
| > In Lech am Arlberg stehen immer mehr Häuser leer, weil reiche Investoren | |
| > sie kaufen, aber nicht nutzen. Nun wehrt sich die Gemeinde dagegen. | |
| Bild: Bürgermeister Stefan Jochum vor den „Chalech“-Häusern in Lech | |
| Lech am Arlberg taz | Morgens, mittags, abends, nachts – egal wann Annette | |
| Moosbrugger aus dem Fenster schaut, sieht sie vor allem diese Häuser mit | |
| ihrer dunklen Holzverkleidung, sonst nichts und niemanden. „Da ist es immer | |
| leer“, sagt die Zimmervermieterin, „und die Fensterläden sind zu.“ Fünf… | |
| gebaute Häuser stehen in Lech, dem bekannten Skiort im österreichischen | |
| Vorarlberg, direkt vor der Nase von Frau Moosbrugger. Kein Schriftzug ist | |
| dran, kein Name an der Klingel, kein Fahrrad oder Auto in der Einfahrt. Und | |
| bei Dunkelheit brennt nicht das kleinste Licht. | |
| Solche Geisterhäuser gibt es mehr und mehr, nicht nur in Lech am Arlberg, | |
| sondern in vielen Orten der Alpen. Österreich steht für Werthaltigkeit, | |
| [1][die Immobilienpreise steigen], also kaufen sich die Superreichen aus | |
| der ganzen Welt ein – nur um ihr Geld anzulegen. | |
| „Es geht um ein gutes Investment mit Wertsteigerungen“, meint der | |
| Bürgermeister von Lech, Stefan Jochum. „Investoren haben Lech entdeckt, um | |
| hier Grund und Boden zu kaufen“, sagt er. „Betongold“ nennen sie das. In | |
| den Häusern allerdings lebt niemand, da sind sich die Dorfbewohner einig. | |
| „Als Feriendomizile bucht die aber auch keiner“, sagt Jochum, „das sind | |
| kalte Betten.“ | |
| Von oben betrachtet ist Lech mit seinen knapp 1.600 Einwohnern ein Idyll. | |
| Früher war es ein typisches Bergbauerndorf in den Alpen. Seit den 1960er | |
| Jahren entwickelte es sich zu einem Skiort mit einem mondänen Ruf und als | |
| Promi-Treffpunkt. Die niederländische Königsfamilie macht in Lech seit | |
| Jahrzehnten Winterferien. Auch Prinzessin Diana verbrachte hier Skiurlaube. | |
| Dennoch gilt der Ort als familiärer und nicht so sehr auf Prominente und | |
| High Society fixiert wie etwa Kitzbühel oder St. Moritz. | |
| [2][Urlauber entdecken] mittlerweile auch vermehrt den Sommer als | |
| Reisezeit: Lech ist schön gelegen, die Berge bieten Ruhe, wo im Winter der | |
| Skitrubel dominiert. Gerade sind viele Gäste zum Wandern da. | |
| Gegen die Geisterhäuser im Ort geht Lech nun vor. Kürzlich hat die | |
| Gemeindevertretung einstimmig beschlossen, sogenannte Investorenmodelle für | |
| zwei Jahre zu verbieten. „Die Infrastruktur des Ortes ist in Gefahr“, | |
| begründet die Gemeinderätin Brigitte Finner den Entschluss, „wir werden | |
| sonst zum Geisterdorf.“ | |
| ## Preis für Baugrund in die Höhe geschossen | |
| Im Jahr 2003 kostete ein Quadratmeter Baugrund noch 800 Euro, jetzt sind es | |
| 6.000 bis 7.000 – und davon darf nur die Hälfte bebaut werden. „Junge Leute | |
| ziehen aus Lech weg, weil sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können“, | |
| sagt Finner. | |
| Jetzt gilt also ein Baustopp. Alle in Lech eingereichten Projekte sollen | |
| künftig darauf geprüft werden, ob sie den Zielen „Wirtschaften, Arbeiten, | |
| Wohnen“ entsprechen. Totes Immobilienkapital macht das nicht. Mit dem | |
| Investorenstopp ist der Ort auch ein Vorreiter und hofft, dass andere | |
| Gemeinden mit denselben Problemen folgen. | |
| „Es kamen die Investoren und dann der große Ausverkauf“, sagt der Gastronom | |
| Stefan Muxel. Bisher lief es aus seiner Sicht so: Sogenannte | |
| Immobilienentwickler kaufen frei werdende Häuser – etwa Hotels, deren | |
| Besitzer in Rente gehen – zu horrenden Preisen. Dann entstehen | |
| Luxuswohnungen oder Chalets im alpenländischen Stil. Die finanzstarken | |
| Käufer müssen aber einen Umweg gehen, denn Immobilien rein als Wertanlage | |
| oder als Feriendomizil für sich zu kaufen, ist nicht erlaubt. Es soll | |
| nichts über längere Zeit leer stehen. | |
| Wenn die „Reichsten der Reichen“, wie Muxel sie nennt, ein Haus in Lech | |
| haben wollen, müssen sie es gewerblich als Hotel oder als Vermieter von | |
| Ferienwohnungen betreiben. Um das nachzuweisen, werden diese Objekte auf | |
| Homepages und Portalen zu absurd überhöhten Mietpreisen als Urlaubsdomizile | |
| angeboten – für mehrere Tausend oder gar Zehntausend Euro pro Nacht. Die | |
| Folge: Niemand bucht, der Besitzer behält sein Haus alleine und leer. Mit | |
| gewerblichem Betrieb habe das nichts mehr zu tun. | |
| Stefan Muxel sitzt auf der sonnendurchfluteten Terrasse seines | |
| Hotel-Restaurants in Oberlech, 1.750 Meter hoch am Berg und damit noch mal | |
| 300 Meter über der Hauptgemeinde, er trinkt eine Limonade mit Minze. Es ist | |
| einiger Betrieb bei ihm. „Das ist für mich Luxus“, sagt er und zeigt auf | |
| das Grün und die Berge. „Jedes Eck der Landschaft sieht anders aus.“ Er ist | |
| nicht nur Gastronom und einer von fünf Gemeindevorständen des Dorfs. Muxel | |
| nennt sich auch Bergbauer – „ich habe neun Kühe, Tiroler Grauvieh mit | |
| Hörnern“. | |
| ## Fünf Schlafzimmer, Außenpool, Sauna und Fitnessstudio | |
| An der Misere, so meint er, sind nicht nur die Investoren schuld – „die | |
| Einheimischen machen mit, die verkaufen ja“. Geld verderbe eben den | |
| Charakter. Den neuen Bauten kann er gar nichts Positives abgewinnen. Die | |
| fünf leeren Häuser, die den Namen „Chalech“ tragen, bezeichnet er als „… | |
| Allerschlimmste, ganz billig gebaute Hütten“. Ständig würden „tolle | |
| Konzepte präsentiert, und nichts davon kommt“. „Abgewirtschaftete Häuser�… | |
| würden für 10 Millionen Euro verkauft – „unglaublich, einfach unglaublich… | |
| Etwas anders sieht Stefan Jagschitz die Sache. Er ist Geschäftsführer und | |
| Verwalter des Luxuschalets „Überhaus“ und öffnet dessen Tür. Er sagt, es | |
| werde immer wieder vermietet und bringe Gewinn. Jagschitz führt durch das | |
| Chalet mit 685 Quadratmetern und edlen Möbeln. Es hat fünf Schlafzimmer, | |
| Bar, großes Wohnzimmer, Sauna, beheizten Außenpool, Fitnessstudio und einen | |
| Kinosaal mit 12 Plätzen. Wer es bucht, bekommt Koch, Haushaltspersonal, | |
| Fahrer und Skilehrer zur Seite gestellt. Wochenpreis je nach Datum: 47.000 | |
| bis 148.500 Euro. | |
| In der kommenden Wintersaison sind laut der Homepage bereits 9 der 20 | |
| angebotenen Wochen gebucht. Jagschitz meint: Wenn sich in der heutigen Zeit | |
| etwa ein junges Paar hoch verschulde, um eine kleine Pension aufzubauen, | |
| dann „widerspricht das jeglicher Logik“. Man könne den Lauf der Dinge nicht | |
| anhalten, Lech nicht in eine „Blase des Wunschdenkens“ packen. Und man | |
| sollte auch sehen: Wenn jemand sein ganzes Leben hart im Betrieb gearbeitet | |
| hat – warum solle er mit einem Verkauf nicht auch einen guten Gewinn | |
| machen? | |
| „Früher wurde in Lech nichts verkauft, das war Grundsatz“, sagt die | |
| Vermieterin Annette Moosbrugger. Allein in diesem Jahr aber wechselten | |
| zwölf Anwesen die Besitzer. Hier im Dorf kennt jeder jeden. Aber wer da an | |
| wen etwas gegeben hat? Das weiß man nicht so genau. | |
| Doch das Geld treibt auch die Familien auseinander. Eine Frau erzählt, dass | |
| die Schwester heimlich ein geerbtes Haus an einen Investor verkauft habe. | |
| „Das gab einen großen Familienkrach.“ Die Folge: „Wir haben kein Verhäl… | |
| mehr miteinander.“ Viele in Lech sprechen davon, die Familien davor zu | |
| schützen, dass sie vom Geld übernommen werden. | |
| ## Sonntags gibt es Hendl vom Grill | |
| Dass in Lech auch einträgliche Hotellerie auf Spitzenniveau möglich ist, | |
| die zur Belebung des Ortes beiträgt, zeigt Axel Pfefferkorn mit seinem | |
| Aurelio. Vor 15 Jahren hat er den Hotel-Chalet-Restaurant-Komplex | |
| aufgebaut, finanziert von dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska. Dieser | |
| will, so sagt Pfefferkorn, ordentliche Zahlen sehen und lässt ihm freie | |
| Hand. 45 Mitarbeiter beschäftigt der gebürtige Lecher fast über das ganze | |
| Jahr. Das Restaurant ist für alle geöffnet, am Sonntag werden Hendl vom | |
| Grill verkauft. Pfefferkorn sagt: „Ich möchte weiterhin jedem Lecher in die | |
| Augen schauen können.“ | |
| Doch es gibt eben auch vermehrt jene Objekte, über die alle sagen, dass sie | |
| „tot“ sind. Die „Chalech“-Häuser zählen dazu. Eines von ihnen wird et… | |
| 12 Personen im Internet im Winter für 50.000 bis 80.000 Euro in der Woche | |
| angeboten. In einem anderen Anwesen soll die Penthousewohnung mit 210 | |
| Quadratmetern knapp 30.000 Euro kosten. Und ein weiteres Apartment würde | |
| mit 11.500 bis 16.500 Euro zu Buche schlagen. | |
| Gibt es so viele Leute, die so etwas zahlen können und wollen? Ja, meint | |
| deren Vermarkter. Er teilt auf Anfrage mit, dass die Auslastung vor Corona | |
| gut gewesen sei und der kommende Winter wohl auch ordentlich werde. Nur | |
| eben jetzt nicht, in dieser ganzen Zeit. | |
| ## Der Brunnenhof gilt in Lech als großes Ärgernis | |
| Axel Pfefferkorn vom Aurelio sagt hingegen: „Manche Nobelchalets sind | |
| einfach Fakes.“ Seines jedenfalls offenkundig nicht, es wird an diesem Tag | |
| gerade bezugsfertig gemacht – eine Filmcrew hat es gemietet, die für | |
| Aufnahmen in Lech ist. Einige der Mitglieder sitzen schon draußen in der | |
| Sonne. | |
| Im Fall des Brunnenhofs, der von Investoren gekauft, saniert und | |
| parzelliert wieder verkauft wurde, reagieren die Zuständigen auf eine | |
| Anfrage der taz. Das Haus steht schon längere Zeit leer und gilt in Lech | |
| als großes Ärgernis. Marc de Vocht vom Immobilienentwickler Mountain | |
| Residences in den Niederlanden ist dafür ebenso verantwortlich wie der | |
| Innsbrucker Rechtsanwalt Harald Vill. Sie sehen sich zu Unrecht in der | |
| Kritik, ein größerer Brand und dann Corona habe zu Verzögerungen geführt. | |
| In der Wintersaison lege man los, es gebe schon viele Buchungen. | |
| Vill sagt im Gespräch auch: „Die Bausperre in Lech ist Verfassungs- und | |
| EU-rechtswidrig.“ Das werde sich so nicht halten lassen. Wenn die Gemeinde | |
| gegen ein neues Projekt von ihm vorgehe, werde er klagen. | |
| Machen Investoren ihre Arbeit richtig, sei das ein „Segen für die | |
| Tourismusindustrie“, meint de Vocht. Denn bei Hotels gebe es ein „großes | |
| Nachfolgeproblem“. Eltern hätten die Betriebe groß gemacht, doch die Kinder | |
| wollten nicht übernehmen. Gemeinden würden auf sie zukommen und fragen, ob | |
| sie nicht in Betriebe investieren möchten. Die Hotellerie vor Ort sei | |
| „häufig am Ende“. Und was ist mit den Geisterhäusern? Der Rechtsanwalt | |
| sagt: „Es gibt auch schwarze Schafe.“ | |
| 4 Aug 2021 | |
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| Patrick Guyton | |
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