# taz.de -- Innovatives aus Österreich: Das Wohlfühlländle | |
> Österreichs Bregenzer Wald steht für Lebens- und Arbeitsqualität im | |
> ländlichen Raum. Kein Wunder, dass immer mehr Frauen hinziehen. | |
Bild: Das Frauenmuseum in Hittisau | |
Hittisau, Bezau, Schoppernau – eine Fahrt durch die Dörfer des | |
Bregenzerwalds ist Balsam für die Augen. Nicht allein wegen der idyllischen | |
Landschaft. Nein. Auf den zweiten Blick fällt auf: Hier gibt es keine | |
aufdringlichen Werbetafeln, keine Bausünden, keine hässlichen Supermärkte | |
oder Gewerbegebiete, die anderswo wie Krebsgeschwüre an den Ortsrändern | |
wuchern. Stattdessen immer wieder alte oder neue Häuser aus unbehandeltem | |
Holz und Glas. Mal verschindelt, mal aus senkrechten oder waagerechten | |
Holzlatten, schmücken sie höchstens rote oder grüne Fensterläden. | |
Ob Versicherungsgebäude, Sozialzentrum oder Drogeriemarkt – fast alles ist | |
in Gehäusen von schlichter Eleganz untergekommen. Wie kam es zu dem | |
einheitlichen Baustil? Und was stehen für Menschen dahinter? Als Beispiel | |
mag das Frauenmuseum in Hittisau dienen: Mit seiner schnörkellosen Hülle | |
aus heller Weißtanne und breiter Glasfront schwebt es über der Feuerwehr | |
des Dorfes. Radikal zeitgenössisch sieht es aus und fügt sich dennoch gut | |
in die traditionelle Dorfstruktur ein. In den zwanzig Jahren seines | |
Bestehens hat es bereits mehrere Architekturpreise bekommen, 2017 auch den | |
Österreichischen Museumspreis. | |
„Eigentlich sollte hier ein Heimatmuseum entstehen, aber dann kam von einer | |
engagierten Bregenzerwälderin, Elisabeth Stöcker, die Idee, ein | |
Frauenmuseum zu machen. Das wurde dann auch von der Gemeinde und zwar | |
mehrheitlich von Männern beschlossen. Man ist hier nämlich sehr auf Konsens | |
bedacht“, erzählt Helga Rädler, eine der Kulturvermittlerinnen des Museums. | |
Überzeugt haben die Mythen von starken Frauen im Bregenzerwald. Im | |
Dreißigjährigen Krieg sollen sie die Schweden in die Flucht geschlagen | |
haben. Historisch belegt ist außerdem, dass es zu Beginn des 19. | |
Jahrhunderts unter napoleonischer Herrschaft einen Weiberaufstand gab, mit | |
dem die Frauen verhindern wollten, dass ihre Männer und Söhne eingezogen | |
werden. | |
## 24 Dörfer mit Lebensqualität | |
Schließlich hat hier Angelika Kauffmann, eine der bedeutendsten | |
Künstlerinnen des 18. Jahrhunderts, ihre Spuren hinterlassen. Als junge | |
Frau half sie ihrem Vater, die Kirche in Schwarzenberg auszumalen. Und auch | |
wenn das nur eine Episode in ihrem Leben war, hat sie sich in gewisser | |
Weise als Bregenzerwälderin gesehen – und ein eigenes Museum in | |
Schwarzenberg bekommen. | |
Vor diesem Hintergrund spannen die Ausstellungen des Frauenmuseums einen | |
weiten Bogen um Kultur und Geschichte aus der Frauenperspektive. Mal geht | |
es um es um das Thema häusliche Pflege, mal um Frauen im Zirkus, um die | |
erste Architektin Vorarlbergs oder Maasai-Baumeisterinnen in der Serengeti. | |
In der Ausstellung „Ich. Am Gipfel“ wurde die Frauenalpingeschichte | |
aufgerollt, unter dem Motto „Silent Witnesses“ die Fälle derer, die | |
alljährlich von ihren Ehemännern, Ex-Partnern oder Brüdern ermordet werden. | |
Konzipiert werden die Ausstellungen von rund zwanzig Frauen, die zwischen | |
18 und 88 Jahre alt sind und aus unterschiedlichsten Bereichen kommen. | |
„Voraussetzung ist lediglich, dass sie sich intensiv mit den Themen | |
auseinandersetzen. Theoretisch könnten auch Männer mitmachen“, sagt Helga | |
Rädler. Inklusion ist ebenso wichtig wie die Vernetzung von Frauen. | |
Deshalb findet unter anderem einmal im Monat ein Frauencafé statt, das auch | |
Geflüchteten bei der Integration helfen soll. Doch sind es nicht nur sie, | |
die in den letzten Jahren im Wäldle mit seinen gut 30.000 Einwohnern für | |
Zuwanderung sorgen. | |
„Es siedeln sich vermehrt Frauen an oder kehren nach dem Studium zurück. | |
Inzwischen zählen wir 61 Nationalitäten“, weiß eine der | |
Kulturvermittlerinnen zu berichten. Ausschlaggebend sei die Lebensqualität | |
im ländlichen Raum. Die 24 Dörfer im Bregenzerwald würden nicht nur | |
Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten, Schulen, Ärzte und gute | |
Verkehrsanbindungen mit dem Wälderbus bieten. Sie geben auch | |
Handwerkerinnen eine Perspektive. | |
## Altes Handwerk, neu belebt | |
Tatsächlich: Sieht man sich in den Orten um, kann man nicht nur Köchinnen, | |
sondern auch Schuhmacherinnen, Tischlerinnen oder Goldschmiedinnen | |
begegnen. Eine von ihnen ist die 20-jährige Theresa Gassner. Schon als Kind | |
hat sie ihrem Vater beim Goldschmieden über die Schulter geschaut, dann | |
selbst eine Ausbildung gemacht und Ende 2017 mit Hilfe ihrer Eltern einen | |
eigenen Laden in Bezau eröffnet. Mit filigranen Ringen und Ketten versucht | |
sie, sich langsam ein eigenes Profil zu geben. Doch im Vordergrund steht | |
für sie das Handwerk. „Dazu gehört auch, dass ich Batterien von Uhren | |
austausche oder defekten Schmuck repariere. Was eben in der Umgebung so | |
gebraucht wird“, sagt sie. | |
Wie sie bringt sich auch die 27-jährige Andrea Hager in das Leben der | |
Region eins. Nach ihrer Ausbildung als Einrichtungsberaterin hat sie in | |
Schoppernau die Firma Wolena gegründet, die mit drei Mitarbeitern | |
Bettzubehör aus nachwachsenden Materialien herstellt. „Wir messen Größe, | |
Gewicht, Schulter- und Beckenbreite unserer Kunden und fertigen dreiteilige | |
Lattenroste aus Naturkautschukbalken und Eschenholzlamellen an, die genau | |
auf den jeweiligen Körper abgestimmt sind“, erklärt sie ihre Produktidee. | |
Darauf kommen Matratzen aus Schafwolle, Hanf und Bio-Baumwolle, die für | |
perfekte klimatische Bedingungen sorgen. | |
Dabei geht es Andrea Hager nicht allein um die Qualität des Materials: „Um | |
die Region, unseren Lebensraum aktiv zu stärken und unsere soziale | |
Verantwortung wahrzunehmen, produzieren wir nach Möglichkeit in Vorarlberg. | |
Die Hälfte der Produktion erfolgt vor Ort in Schoppernau. So bleibt die | |
Wertschöpfung im Ländle.“ Umgekehrt kauft auch das Ländle – neben Kunden | |
aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und dem restlichen Österreich – | |
bei ihr. „Ich habe mir auch so ein Bett machen lassen“, erzählt | |
beispielsweise Cornelia Kriegner, Marketingleiterin von Bregenzerwald | |
Tourismus. „Es ist einfach ein gutes Gefühl, in einem Bett zu schlafen, von | |
dem man weiß, wie und wo es gemacht ist.“ | |
Im Wäldle geht man eben nicht in irgendeinen Baumarkt, wenn man Möbel | |
braucht oder sein Haus umbaut, sondern oft und gern zum Tischler seines | |
Vertrauens. Von denen gibt es hier überproportional viele, in manchen | |
Dörfern gleich zwei oder drei. An die haben sich auch Carmen Oberhauser und | |
Wolfgang Mätzler gewandt, als sie ihr kleines Landhotel „Schtûbat“ allein | |
mit Handwerkern aus dem Umkreis von zwanzig Kilometern umgebaut haben. | |
Herausgekommen sind Zimmer, Apartments und Gasträume aus massivem Holz in | |
einem CO2-neutralen Gebäude, das noch durch eine hoteleigene Ladestation | |
für Elektro-Autos und Waschräume samt Werkzeug für Fahrräder ergänzt wurde. | |
Mag sein, dass es mancher Hotelgast als zu nüchtern empfindet, wenn da | |
statt einem Nachttisch bloß ein Kubus aus rohem Holz steht. Aber man kann | |
sicher sein, dass er nicht mit Schadstoffen behandelt ist. | |
## Holz reift wie alter Wein | |
„Im Bregenzerwald geht es nicht allein um das Material. Auch die Gestaltung | |
und die technische Produktion sind wichtig“, unterstreicht Barbara Kremm, | |
die seit einigen Jahren in der Tischlerei Mohr in Andelsbuch arbeitet. Die | |
zierliche junge Frau ist extra aus Süddeutschland hierher gezogen, weil sie | |
vom Handwerk in Bregenzerwald beeindruckt war. Nun schafft sie in einem | |
Vorzeigebetrieb mit großen hellen Räumen zum Arbeiten und einem Trockenraum | |
im Untergeschoss, in dem das Holz reift wie alter Wein. | |
„Hier geht es nicht nur um Profit. Die Menschen glauben einfach an das, was | |
sie machen“, ist sie überzeugt. Handwerker und Architekten würden sich auf | |
Augenhöhe begegnen. Überhaupt herrsche hier ein ganz anderes Bewusstsein | |
aufgrund der langen Tradition und des Zusammenspiels von Menschen und | |
Landschaft. | |
Ein Modell, das man sicher nicht ohne Weiteres kopieren kann. Aber man kann | |
es sich ansehen. In unzähligen Läden, Werkstätten, Hotels. Und vor allem im | |
Werkraum, dem Schauraum des Handwerks in Andelsbuch. Allein schon das | |
transparente Gebäude aus Glas, Sichtbeton und Holz des Schweizer | |
Architekten Peter Zumthor ist eine Ikone modernen Bauens. Entworfen hat er | |
es für den Verein von mittlerweile 93 Handwerksbetrieben, die es sich zum | |
Ziel gesetzt haben, das traditionelle Handwerk zu erhalten und sich gegen | |
günstigere Industrieware zu wappnen. | |
„Damit sie im Bregenzerwald nicht ins hinterwäldlerische Abseits driften, | |
wird alle drei Jahre der Wettbewerb Handwerk + Form veranstaltet, zu dem | |
Handwerker zusammen mit Gestaltern aus anderen Ländern antreten und sich | |
von einer internationalen Jury begutachten lassen“, erklärt eine | |
Mitarbeiterin des Werkraums und zeigt die preisgekrönten Ergebnisse im | |
Werkraumdepot. Vom Tablett über einen Zylinderofen bis zum Holzschlitten | |
erweisen sie sich nicht nur als innovativ. Sie sind auch alltagstauglich, | |
langlebig und zeitlos gestaltet. | |
Neben Ausstellungen, einem Shop und der Werkraumschule, in der junge | |
Handwerker in Zusammenarbeit mit der Handelsschule in Bezau ausgebildet | |
werden, hat sich auch der Mittagstisch des Werkraums zu einer Institution | |
entwickelt. An langen Holztischen suchen die Mitglieder des Vereins bei | |
Kässpätzle und Natursäften den Austausch mit anderen Handwerkern und vielen | |
anderen aus der Region oder anderswoher. Unter ihnen viele Frauen, manche | |
mit Baby oder Kleinkind. | |
16 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Wiebrecht | |
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