# taz.de -- GEW-Vorstand über Koalitionsvertrag: „Die Handschrift der FDP“ | |
> Die Ampel will das Bafög erhöhen und Arbeitsbedingungen an Unis | |
> verbessern. GEW-Vorstand Andreas Keller lobt das, sieht jedoch andere | |
> Pläne kritisch. | |
Bild: Mehr Stellen im Mittelbau der Unis statt „Prof oder Prekär“, Vorlesu… | |
taz: Herr Keller, der [1][Koalitionsvertrag der Ampel] scheint an den | |
Hochschulen ziemlich gut anzukommen. Sowohl Uni-Rektor:innen als auch | |
Studierende und prekär beschäftigte Wissenschaftler:innen haben die | |
Pläne von SPD, Grüne und FDP gelobt. Wo ist der Haken? | |
Andreas Keller: Viele Versprechen im Koalitionsvertrag, wie die Reform des | |
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes oder der Digitalpakt für die Hochschulen, | |
gehen in die richtige Richtung. Wir haben von der GEW versucht, in den | |
vergangenen Jahren Einfluss zu nehmen auf das Programm der neuen | |
Bundesregierung. Jetzt stellen wir fest: Wir haben Spuren hinterlassen. | |
Das große Problem ist, dass viele der Punkte noch sehr unkonkret sind und | |
dass sie auch wirklich umgesetzt werden müssen. Das aber hängt davon ab, ob | |
sie finanzierbar sind. Das ist noch ein großes Fragezeichen. | |
Amrei Bahr von der Initiative #IchBinHanna jubelt schon, die Ampel habe | |
[2][alle Forderungen] aufgegriffen: mehr Dauerstellen, gezielte Förderung | |
von Frauen und längere Vertragslaufzeiten für die Postdoc-Phase. Sind damit | |
alle Probleme gelöst? | |
Der Koalitionsvertrag enthält einen ganzen Abschnitt zu Arbeitsbedingungen | |
in der Wissenschaft. Sogar der GEW-Slogan „Dauerstellen für Daueraufgaben“ | |
wird zitiert. Das ist auf jeden Fall ein Erfolg der #IchBinHanna-Bewegung | |
sowie auch der GEW. Es ist gut, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz | |
reformiert wird und sowohl das Programm zur Förderung von Professorinnen | |
als auch das Tenure-Track-Programm fortgeschrieben und sogar aufgestockt | |
werden sollen. Was aber fehlt, ist der Einstieg des Bundes in die | |
Grundfinanzierung der Hochschulen. Der Bund will zwar den Zukunftsvertrag | |
dynamisieren, da wäre aber mehr drin gewesen. Und wir hätten uns gewünscht, | |
dass der Bund seine Programme mit der Forderung verknüpft, auch gute | |
Arbeitsbedingungen in den geförderten Einrichtungen zu garantieren. | |
Der Berliner Senat hat seinen Hochschulen vorgeschrieben, allen Postdocs | |
einen unbefristeten Vertrag zu geben – die Präsidentin der | |
Humboldt-Universität [3][Sabine Kunst trat daraufhin aus Protest zurück]. | |
Was haben Hochschulen gegen bessere Arbeitsbedingungen? | |
Das ist eine gute Frage. Eigentlich müssten auch die Hochschulen ein | |
Interesse an guten Arbeitsbedingungen haben, denn die Qualität von | |
Forschung und Lehre ist besser, wenn auch die Kontinuität der Arbeit | |
gesichert ist. Zudem wäre ein attraktiver Arbeitsplatz auch wichtig, um der | |
Konkurrenz ausländischer Hochschulen und der Industrie zu begegnen. Viele | |
Forscherinnen und Forscher gehen lieber ins Ausland oder in die Wirtschaft, | |
weil dort die Arbeitsbedingungen besser sind. | |
Aber …? | |
Aber es ist für die Hochschulen bequemer, Wissenschaftler:innen über | |
Jahre in der Probezeit halten zu können. Ein immer wieder auslaufender | |
Zeitvertrag gibt die Möglichkeit, Leute schnell wieder loszuwerden. Ich | |
setze aber darauf, dass die Einsicht bei den Hochschulen wächst, dass auch | |
sie von mehr Dauerstellen und verlässlichen Karrierewegen profitieren. | |
Bisher ist das nicht passiert. Deswegen ist es richtig, dass ein Land wie | |
Berlin hier den Rahmen so ändert, dass die Hochschulen umdenken müssen – | |
auch wenn sie es freiwillig nicht tun wollen. | |
Die scheidende Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) argumentiert, | |
[4][unbefristete Stellen würden den Karriereweg verstopfen]. Ihre | |
Nachfolgerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will alternative Karrieren | |
außerhalb der Professur aufzeigen. Was erwarten Sie von diesem Vorstoß? | |
Es ist auf jeden Fall richtig, dass wir Karrierewege neben der Professur | |
schaffen. In anderen Industrieländern ist das selbstverständlich. Bei uns | |
gilt die Devise „Prof. oder prekär“. Wir brauchen daher mehr Dauerstellen | |
im Mittelbau. Wenn die künftige Bildungsministerin das meint mit | |
alternativen Karrierewegen, geht sie einen guten Weg. Häufig ist mit dem | |
Begriff hingegen gemeint, dass die Wissenschaftler:innen außerhalb der | |
Hochschulen Fuß fassen sollen. Das aber kann man hochqualifizierten | |
Menschen Mitte vierzig nicht zumuten. Wir brauchen eine frühere Perspektive | |
für Wissenschaftler:innen, dass sie an den Hochschulen bleiben können. | |
Warum tun sich das trotzdem so viele Leute an? Sie wissen doch, dass es | |
kaum unbefristete Stellen gibt. | |
Es gibt eine hohe intrinsische Motivation für Menschen, in Forschung und | |
Lehre zu arbeiten. Viele Befragungen weisen nach, dass sie inhaltlich | |
zufrieden sind mit ihrer Arbeit. Das scheint die ebenfalls nachgewiesene | |
hohe Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen und die fehlende | |
Familienfreundlichkeit zu kompensieren. Aber die Arbeitgeber dürfen den | |
Bogen nicht überspannen. Aber klar ist: Schon jetzt haben wir den Brain | |
Drain in die Industrie und ins Ausland, weil viele sagen: Das tu ich mir | |
nicht an! Deswegen brauchen wir hier dringend ein Umdenken. | |
Gutes Stichwort. SPD, Grüne und FDP wollen auch die [5][Dauerbaustelle | |
Bafög] angehen. Die Beiträge sollen steigen, länger und elternunabhängiger | |
ausbezahlt werden. Allerdings haben die Parteien noch keine konkreten | |
Zahlen genannt. Wie hoch müsste der Bafög-Satz sein, dass es zum Leben | |
reicht? | |
In der Tat geht das, was im Koalitionsvertrag steht, in die richtige | |
Richtung. 50 Jahre nach Inkrafttreten des Bafög ist die | |
Ausbildungsförderung auf ihrem Tiefpunkt angekommen. Bei den Bedarfssätzen | |
muss die neue Bundesregierung einen kräftigen Sprung nach vorne machen und | |
mindestens 20 Prozent draufpacken. Ansonsten wird man sich in München oder | |
Hamburg als Student oder Studentin keine Wohnung leisten können. Dann | |
müssen die Sätze regelmäßig angepasst werden. | |
Was aber der falsche Weg wäre: den Mehrbedarf mit Volldarlehen aufzufangen. | |
Diese Möglichkeit wird im Koalitionsvertrag angedeutet. Positiv ist aber, | |
dass Bafög-Empfänger künftig weniger zurückzahlen sollen. Besser wäre, das | |
Bafög wieder zum Vollzuschuss zu machen, der auch zum Leben reicht. | |
In der Pandemie haben viele Studierende [6][ihren Job verloren]. Jetzt | |
verspricht die Ampel einen „Notfallmechanismus“, der Studierende in | |
Notsituation Bafög gewähren soll – was Bildungsministerin Karliczek bis | |
zuletzt abgelehnt hat. Wie wichtig ist dieser Schritt im Angesicht erster | |
regionaler Lockdowns? | |
Er ist dringend notwendig. Meine Sorge ist jedoch, dass die Reform des | |
Bafög viel zu lange dauert. Da wird es Anhörungen geben, Konzepte und | |
Berechnungen. Da können schnell ein paar Monate, wenn nicht Jahre vergehen. | |
Als Sofortmaßnahme wäre ich dafür, die soeben ausgelaufene | |
Überbrückungshilfe für Studierende wieder ins Laufen zu bringen und | |
unbürokratisch auszugestalten. Es ist fatal, dass diese Hilfe für | |
Studierende ausgerechnet inmitten der vierten Welle wegfällt. | |
Nicht überall ist die Ampel reformwillig. Beim Thema Exzellenz-Unis folgt | |
sie ganz der Groko und stellt sogar eine Aufstockung in Aussicht. | |
Das halte ich für einen Irrweg. Die GEW schlägt vor, die Exzellenzstrategie | |
in einen Pakt für gute Arbeit in der Wissenschaft umzuwandeln. Damit könnte | |
man die Förderung viel kontinuierlicher gestalten und eine | |
Entfristungsoffensive auslösen. Momentan schwebt ja über jedem | |
Exzellenz-Projekt das Damoklesschwert, dass die Förderung wieder bald | |
endet. | |
Übrigens wissen wir von der Evaluation der ersten Exzellenz-Initiative, | |
dass sie ihre selbst gesteckten Ziele gar nicht erreicht hat. Nicht nur | |
wird sie für viele befristet angestellte Wissenschaftler:innen zur | |
Sackgasse – auch die Forschung ist nicht analog zur zusätzlichen Förderung | |
besser geworden. Leider hält die Ampel an der Fehlentscheidung fest, auf | |
exzellente Spitzenforschung an wenigen Unis zu setzen statt die Qualität | |
von Forschung und Lehre in der Fläche zu verbessern. | |
Was macht die Ampel noch falsch? | |
Im Koalitionsvertrag geht es auch seitenweise um die Verwertbarkeit von | |
Wissenschaft bis hin zur Förderung einer Ausgründungskultur an Hochschulen. | |
Das halte ich für ein Problem. Hochschulen haben einen anderen Auftrag: | |
Grundlagenforschung leisten, Menschen aus- und weiterbilden. Aber nicht: | |
die Verwertungsinteressen der Wirtschaft bedienen. Das ist klar die | |
Handschrift der FDP. Meine Befürchtung ist, dass die Frage, ob und in | |
welchem Umfang die Industrie von Wissenschaft profitiert, bei der | |
Mittelvergabe eine noch größere Rolle spielen wird als bisher ohnehin | |
schon. | |
Die FDP stellt nun das Bildungsministerium. Was erwarten Sie von Bettina | |
Stark-Watzinger? | |
Ihr hochschul- und forschungspolitisches Profil kann ich nicht einschätzen, | |
weil sie sich bislang dazu wenig geäußert hat. Aber die FDP steht von ihrem | |
Programm her für Transferleistungen von der Hochschule zur Industrie. Das | |
ist insofern ein Gegengewicht zu den vielen positiven Ansätzen in der | |
Bildungspolitik. | |
1 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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