# taz.de -- Fünf Jahre nach dem Massaker von Utøya: Breivik – Terrorist ode… | |
> Nach dem Massaker auf Utøya galt der Mörder Breivik schnell als „einsamer | |
> Wolf“. Mit seinen politischen Motiven befasste man sich viel zu wenig. | |
Bild: Anders Breivik brachte 77 Menschen um, davon 69 auf der Insel Utøya | |
STOCKHOLM taz | Der Staub der Autobombe, die am 22. Juli 2011 Teile des | |
Regierungsviertels in Oslo in Ruinen verwandelte, hatte sich kaum gelegt, | |
als Terrorexperten schon Bescheid wussten. Überzeugend konnten sie | |
erklären, in welchem Umfeld sich der oder die vermutlich islamistischen | |
Täter wohl radikalisiert hatten und warum Norwegen folglich Ziel eines | |
Al-Qaida-Terroranschlags geworden sei. Als sich der nach dem anschließenden | |
Massaker auf der Insel Utøya festgenommene Anders Behring Breivik, der | |
31-Jährige, [1][von dem sich offenbar auch der Münchner Attentäter | |
inspirieren ließ], als blonder christlicher Norweger herausstellte, hielten | |
viele Medien nicht einmal mehr das Wort „Terrorist“ für angebracht. | |
Aus dem Mörder von 77 Menschen wurde in Rekordzeit ein verrückter | |
Einzeltäter, konstatierte der schwedische Religionshistoriker Mattias | |
Gardell schon vier Tage nach den Anschlägen: „Losgekoppelt von der Umwelt, | |
deren Produkt er ist.“ Ein gefährliches Versäumnis, das sich seither eher | |
weiter gefestigt hat, meint Kerstin von Brömssen. Zusammen mit norwegischen | |
und schwedischen ForscherkollegInnen hat die Pädagogikprofessorin an der | |
Hochschule Trollhättan mehrere tausend Texte analysiert, die in den fünf | |
Jahren seit den Terrortaten erschienen sind. Das Fazit: „Gerade mit | |
Breiviks politischen Motiven befassen sich erstaunlich wenige.“ | |
Die Mehrheit versuche vielmehr ein persönliches Anderssein des Terroristen | |
aufzuspüren. Man bezieht sich da unter anderem auf eine unglückliche | |
Kindheit, eine latente Homosexualität oder die Promiskuität seiner Mutter. | |
In Åsne Seierstads Buch „Einer von uns“ wird er schon als Fötus als abnorm | |
beschrieben. Seine Mutter habe er vom ersten Tritt in den Bauch an | |
verletzen wollen, meint auch der Schriftsteller Karl Ove Knausgård. | |
Da ist einer, der beruflich und in seinen privaten Beziehungen scheitert, | |
deshalb ein lächerlicher Sonderling wird, der sich in der Welt der | |
Erwachsenen nicht zurechtfindet und plötzlich zurück in sein Kinderzimmer | |
zieht. Der dort seine Faszination für Kreuzritter auslebt, ein wirres wie | |
apokalyptisches Weltbild entwickelt und selbstgeschneiderte Uniformen | |
entwirft. Den dann ein Tötungsverlangen übermannt, das ihn plötzlich zum | |
Massenmörder macht. | |
## Der karikaturhafte Antagonist | |
Anders als einen islamistischen Gewalttäter, den man immer als Teil eines | |
Ganzen und ganz selbstverständlich in einem gesellschaftlichen, kulturellen | |
und religiösen Zusammenhang sehe, stecke man einen Breivik in die Schublade | |
„einsamer Wolf“. | |
„Ihn glaubt man begreiflicher machen zu können, indem man versucht, Details | |
zu finden, die nicht mit einem bestimmten Muster übereinstimmen und die mit | |
Vorstellungen über das ‚typisch Norwegische‘ kontrastierten“, schreibt d… | |
Soziologin Mia Eriksson in ihrer im Frühjahr erschienen Abhandlung | |
„Berättelser om Breivik“ („Erzählungen über Breivik“): „Sein Platz… | |
Geschichte ist der des nahezu karikaturhaften Antagonisten.“ | |
Das Resultat, so Eriksson: Mit so einem haben wir alle nichts zu tun, mit | |
seinen Gedankengängen brauchen wir uns nicht auseinanderzusetzen. So einer | |
werde ungefährlich, sobald er erst einmal hinter schwedischen Gardinen oder | |
den Türen einer psychiatrischen Anstalt weggesperrt worden sei. „Alles ein | |
isoliertes Ereignis, wir müssen uns selbst nicht infrage stellen.“ | |
## Breivik hatte einen Kontext | |
Tatsächlich sei Breivik aber eben gerade nicht als „das Böse“ vom Himmel | |
gefallen. „Er ist das Produkt einer Gesellschaft und muss einem breiteren | |
Kontext zugeordnet werden“, betont Eriksson: „Wir müssen darüber reden, | |
warum diese Art von Gewalt geschieht und wie diese mit einer | |
nationalistischen und rechtsextremen Tradition in Norwegen und Europa | |
zusammenhängt“, die ihrerseits wieder nur Teil einer wachsenden | |
faschistischen Szene sei. | |
„Wenn Terror zu Tode geschwiegen wird“, überschrieb eine norwegische | |
Pädagogikzeitschrift eine andere Untersuchung zur Aufarbeitung der | |
Breivik-Taten. Ihr Fazit: Der 22. Juli sei in Schulen entweder ganz tabu | |
oder werde völlig entpolitisiert. | |
„Gleichzeitig begegnen Jugendlichen täglich im Internet den Botschaften, | |
mit denen Breivik radikalisiert wurde und die die seinen wurden“, warnt | |
Kerstin von Brömssen: Angesichts dessen und vor dem Hintergrund der | |
aktuellen politischen Landschaft in Europa sei es unverzichtbar, diese | |
Zusammenhänge aufzudecken. Ansonsten könnten der Hass und die | |
Konspirationstheorien eines Breivik ungestört weiterleben. Und Nachahmer | |
inspirieren. | |
1 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] /!5328081/ | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
## TAGS | |
Norwegen | |
Anders Breivik | |
Terrorismus | |
Amoklauf | |
Rechtsextremismus | |
Rechtsradikalismus | |
Adolf Hitler | |
Anders Breivik | |
Anders Breivik | |
Zensur | |
Terror | |
München | |
Amoklauf | |
Anders Breivik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
10 Jahre nach dem Attentat von Utøya: „Sie hat gelernt, damit zu leben“ | |
Jede Person muss Verantwortung übernehmen, um Hass entgegenzutreten, sagt | |
Laila Gustavsen. Ihre Tochter überlebte das Utøya-Attentat schwer verletzt. | |
Festnahme Offizier USA: Rassist soll Anschläge geplant haben | |
Ein Offizier der US-Küstenwache hat offenbar Anschläge in großem Stil | |
geplant. Der Mann soll demokratische Politikerinnen und Journalisten im | |
Visier gehabt haben. | |
Neues Buch von Karl Ove Knausgård: Rückkehr ins 21. Jahrhundert | |
Leseglück is over. Knausgård flicht in sein neues Werk „Kämpfen“ neben d… | |
Familiengeschichte eine Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ ein. | |
Urteil zu Andres Breivik' Haft: Da gibt es nichts zu klagen | |
Die Haftbedingungen des rechten Massenmörders sind nicht zu beanstanden, | |
urteilt ein Gericht. Seine Isolation sei aus Sicherheitsgründen | |
erforderlich. | |
Breiviks Haftbedingungen in Norwegen: Was heißt menschlich behandeln? | |
Ein Gericht verhandelt erneut über die Haftbedingungen von Anders Behring | |
Breivik. 2011 hatte der Rechtsextremist 77 Menschen ermordet. | |
Versuchte TV-Zensur in Finnland: Gehackt? Oder hackt's? | |
Der finnische Ministerpräsident Juha Sipilä setzt das öffentlich-rechtliche | |
Fernsehen unter Druck. Mit Erfolg – bis die Geschichte auffliegt. | |
Klaus Theweleit über mordende Männer: „Körperliche Lust nur durch Gewalt“ | |
Nizza, Würzburg, München, Ansbach: Immer haben junge Männer gemordet. | |
Warum? Die Täter eint eine Grundstörung, sagt Kulturtheoretiker Klaus | |
Theweleit. | |
Kommentar Ermittlungen in München: Das Problem, nach rechts zu schauen | |
Die Ermittler zur Münchener Mordtat legten sich früh auf eine Amoktat fest | |
– zu früh. Die Möglichkeit rechtsradikalen Terrors wurde ausgeblendet. | |
Amokläufer als popkulturelle Figuren: Identität Rambo | |
Jugendliche Täter, wie der von München, sind fasziniert vom Typ des | |
männlichen Einzelkämpfers. Dieses Schema ist auch in der Popkultur präsent. | |
Norwegischer Attentäter Anders Breivik: Provokation mit Hitlergruß | |
Der Rechtsextremist Anders Breivik will bessere Haftbedingungen einklagen. | |
Beim Verfahren wandte er sich Journalisten zu und erhob den rechten Arm. |