# taz.de -- Früherer NPD-Mann erneut vor Gericht: Zu viele Verzögerungen | |
> Maik Schneider zündete eine Flüchtlingsunterkunft an. Seine Verurteilung | |
> zu neuneinhalb Jahren Haft war ein Signal – das nun zu verpuffen droht. | |
Bild: Maik Schneider (Mitte) zündete 2015 eine Asylunterkunft in Nauen an | |
POTSDAM taz | Maik Schneider ist schon früh ins Potsdamer Landgericht | |
gekommen an diesem Mittwoch. Er setzt sich erst einmal in die Kantine, | |
plaudert dort mit seinen Anwälten. Dann schlendert er in den Saal 6, mit | |
einer kleinen Aktentasche unter dem Arm. | |
Es ist mal wieder Verhandlungstag für den früheren NPD-Mann. Seit mehr als | |
zwei Jahren schon wird vor dem Landgericht gegen den 31-Jährigen | |
verhandelt, inzwischen im zweiten Prozess. Mit anderen Rechtsextremen soll | |
er 2015 eine geplante Asylunterkunft, eine Turnhalle, im brandenburgischen | |
Nauen abgebrannt haben. Für Schneider sind die Termine inzwischen Routine. | |
An diesem Mittwoch aber ist etwas anders: Schneider kommt als freier Mann | |
ins Gericht, erstmals ohne Handschellen. | |
Am vergangenen [1][Donnerstag hatte das Oberlandesgericht Brandenburg | |
seinen Haftbefehl aufgehoben]. Die Richter monierten „mehrere vermeidbare | |
Verfahrensverzögerungen durch die Justiz“. Eine Inhaftierung stehe deshalb | |
nicht mehr im Verhältnis zu Schneiders Recht auf persönliche Freiheit. | |
Schneider kam noch am Nachmittag frei, ohne Auflagen. | |
Sein Anwalt Sven Oliver Milke holte ihn aus der JVA Wulkow ab, fuhr ihn zu | |
seiner Mutter in einen Vorort von Nauen. Schneider habe schon Weihnachten | |
alle Sachen zusammengepackt, so der Anwalt. Die Freilassung sei bei dem | |
Verfahrensablauf nun wirklich nicht überraschend gekommen. Die | |
Gerichtsentscheidung habe „ganz eindeutig“ so fallen müssen, so Milke. „… | |
war ein Elfmeter ohne Torwart.“ | |
## Richter glaubte Schneider nicht | |
Öffentlich sorgte diese indes für Furore. Von einem „Tiefpunkt der | |
Rechtsstaatlichkeit“, sprach die Brandenburger Grünen-Fraktionschefin | |
Ursula Nonnenmacher. Eine „Symbolfigur“ der rechtsextremen Szene komme so | |
frei. In Brandenburg kämen Straftäter auf freien Fuß, weil die Justiz | |
unterbesetzt sei, klagte CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben. Justizminister | |
Stefan Ludwig (Linke) sprach von einem „bedauerlichen“ Fall. | |
Tatsächlich hatte Schneider mit seiner Tat im Jahr 2015 überall im Land | |
Schlagzeilen gemacht. Bundesweit gab es damals Proteste gegen Geflüchtete, | |
auch Gewalt und Brandanschläge auf Unterkünfte. In Nauen war es gleich eine | |
ganze Serie von Straftaten. Eine Stadtverordnetenversammlung wurde | |
gesprengt, ein Dixi-Klo auf der Baustelle einer Asylunterkunft angezündet, | |
das Linkspartei-Büro attackiert, zwei Autos mit polnischen Kennzeichen | |
angezündet. [2][Und dann brannte die Turnhalle], die vorübergehend | |
Geflüchtete beherbergen sollte. Übrig blieben nur eine Ruine und 3,5 | |
Millionen Euro Schaden. Einige Monate später fasste die Polizei Schneider, | |
damals NPD-Stadtverordneter, und fünf Mittäter. | |
Vor Gericht gestand Schneider die Tat. Er habe „ein Zeichen“ setzen wollen | |
– die Turnhalle aber nur anrußen, nicht abbrennen wollen. Die Richter | |
glaubten ihm nicht und [3][verurteilten den NPD-Mann zu acht Jahren Haft], | |
dazu kamen anderthalb Jahre für das frühere Schmieren von Hakenkreuzen. Es | |
war eine der bundesweit härtesten Strafen damals – und ein Signal: Gewalt | |
gegen Flüchtlinge ist keine Bagatelle, der Staat zeigt hier Härte. | |
## Schleppender Prozess | |
Nun aber droht genau dieses Signal konterkariert zu werden. Denn schon im | |
März 2018 hatte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen Schneider kassiert. | |
Ein Schöffe hatte am ersten Prozesstag Schneider angeranzt, ob er | |
tatsächlich den „Quatsch“ glaube, den er hier erzähle. Schneiders | |
Befangenheitsantrag gegen den Schöffen hätte nicht abgelehnt werden dürfen, | |
befand der Gerichtshof. Und ordnete einen komplett neuen Prozess gegen den | |
Rechtsextremisten an. | |
Dieser läuft nun seit Oktober – und startete schon mit Verspätung: Nach | |
taz-Informationen dauerte es bereits Wochen, bis das Protokoll des ersten | |
Prozesses durch die Richter unterzeichnet wurde. Und auch der neue Prozess | |
verläuft nur schleppend, teils mit längeren Pausen zwischen | |
Verhandlungstagen. Schneider saß nun aber bereits seit fast drei Jahren in | |
U-Haft – bei der ein Beschleunigungsgebot gilt. Schneiders Anwalt stellte | |
deshalb Antrag auf Haftentlassung. Und das Oberlandesgericht stimmt zu: Um | |
mindestens sechs Monate sei das Verfahren „vermeidbar“ verzögert worden. | |
Dies sei Schneider nicht weiter in Haft zuzumuten. | |
Am Mittwoch nun gibt sich Schneider entspannt. Im Gerichtssaal kaut er | |
Kaugummi, lehnt sich zurück. Er genieße die Zeit mit seiner kleinen | |
Tochter, sei nun mit Behördengängen beschäftigt, sagt er in einer | |
Verhandlungspause. Diesmal werde alles besser kommen für ihn, glaubt er. | |
Anders als beim „absolut nicht objektiven“ ersten Prozess. | |
## Richter als Zeuge | |
Im Saal sitzt Schneider an diesem Tag just jenem Mann gegenüber, wegen dem | |
der frühere NPD-Funktionär unter anderem jetzt in Freiheit ist: Theodor | |
Horstkötter, der Richter aus dem ersten Prozess. Horstkötter ist als Zeuge | |
geladen, berichtet über das Geständnis von Schneider im ersten Prozess – | |
weil der 31-Jährige diesmal schweigt. Warum er den befangenen Schöffen | |
damals weiter im Prozess beließ und warum er so lange gebraucht haben soll, | |
das Prozessprotokoll zu unterzeichnen, ist kein Thema. | |
Horstkötter und seine Mitrichter hatten den Ausruf des Schöffen damals als | |
„verständliche Unmutsäußerung“ eingeordnet. Und beim verspäteten | |
Prozessprotokoll hatte der Richter nach taz-Informationen das | |
Oberlandesgericht auf die hohe Arbeitsbelastung hingewiesen: Gleich mehrere | |
Haftverfahren mit hoher Dringlichkeit hätten sich damals geballt. Er und | |
andere Richter sollen gar auf Urlaube verzichtet haben. Tatsächlich, so | |
heißt es in Justizkreisen, habe das Oberlandesgericht im Fall Schneider mit | |
neuer Strenge entschieden. | |
Der ganze Komplex setzt nun Brandenburgs Justizminister Ludwig unter Druck. | |
Schon am Dienstag musste er in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im | |
Landtag wegen der Schneider-Freilassung vorsprechen. Erneut sprach Ludwig | |
von einem „ärgerlichen Einzelfall“. Eine Überlastung an den Brandenburger | |
Gerichten gebe es aber nicht. Auch seien dort bereits 250 neue Stellen | |
eingeplant. | |
## Justiz in Brandenburg überlastet | |
Schon zuletzt aber ließ das Oberlandesgericht einen Mörder frei, wegen zu | |
langer Verfahrensdauer. Und schon 2015 demonstrierten 250 Richter und | |
Staatsanwälte in Potsdam für mehr Personal. 2017 erneuerten die | |
Gerichtspräsidenten in einem Brandbrief die Forderung: Gebe es nicht mehr | |
Stellen, seien die Verfahren kaum mehr zu bewältigen. | |
Brandenburg ist damit indes nicht allein. Bundesweit beklagen Gerichte, sie | |
seien überlastet. Strafverfahren dauerten immer länger und würden immer | |
komplexer, sagt der Richterbund. Dies gelte gerade bei Fällen mit | |
Auslandsbezügen oder Internetkriminalität. Die Große Koalition will hier | |
gegensteuern: Mit einem „Pakt für den Rechtsstaat“ soll es 2.000 neue | |
Stellen in der Justiz geben. Noch zuletzt aber wurden laut Richterbund | |
bundesweit rund 50 Tatverdächtige im Jahr wegen zu langer Verfahrensdauer | |
aus der Haft entlassen. So wie jetzt Maik Schneider. | |
Der Fall des Rechtsextremen ist vor allem für Nauen bitter. Die rechte | |
Anschlagsserie hatte die Kleinstadt vor Berlin aufgewühlt. Bis heute sind | |
einige Taten unaufgeklärt: so etwa Bombenbauanleitungen, die plötzlich in | |
Nauener Briefkästen steckten, ein versuchter Brandanschlag auf das Auto des | |
örtlichen Linken-Chefs oder die zerstochenen Reifen des Wagens eines | |
Vereins, der sich für Geflüchtete einsetzt. | |
## Neues Urteil nicht absehbar | |
Und Schneider, gelernter Erzieher, gehörte damals zu den Anheizern: Er | |
organisierte Anti-Asyl-Kundgebungen, bewegte sich seit Jahren unter | |
Kameradschaftlern, saß seit 2008 für die NPD im Stadtparlament. Als | |
Brandstifter kam ihm die Polizei indes erst spät auf die Spur. Der | |
Verfassungsschutz hatte schließlich sein Handy überwacht, einen Peilsender | |
in das Rücklicht seines VW-Busses eingebaut – und kam ihm so auf die | |
Schliche. Geschah etwa auch der Anschlag unter den Augen des | |
Geheimdienstes, fragte Schneiders Anwalt Milke. Im Innenministerium wird | |
das vehement verneint: Die Überwachung sei erst danach erfolgt. | |
Schneiders Freilassung sei „schon sehr komisch“, ärgert sich nun Nauens | |
Bürgermeister Manuel Meger (Ländliche Wählergemeinschaft). Dass dies wegen | |
Verfahrensverzögerungen geschehe, sei „ernüchternd“. Es bleibe die Frage, | |
„welche Wendung dieses Verfahren noch nimmt“. Seit Schneiders Verhaftung | |
sei Ruhe eingekehrt in Nauen, so Meger. „Ich würde mir wünschen, dass das | |
so bleibt.“ | |
Auch wenn Schneider nun auf freiem Fuß ist: Noch wird weiterverhandelt | |
gegen ihn. Das neue Urteil ist indes noch nicht absehbar. Wahrscheinlich | |
aber ist schon jetzt, dass der Schuldspruch gegen den Rechtsextremen | |
diesmal geringer ausfällt – auch wegen der langen Verfahrensdauer. | |
Schneider setzt genau darauf, wie er in einer Prozesspause sagt: Er hofft | |
sogar, dass sie so gering ausfällt, dass die Resthaft am Ende zur Bewährung | |
ausgesetzt wird – und er gar nicht mehr hinter Gitter muss. | |
9 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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fallen. |