| # taz.de -- Friedenspreis für Salman Rushdie: Hirngespinst aus der Opiumpfeife | |
| > Salman Rushdie wurde der Friedenspreis des deutschen Buchhandels | |
| > verliehen. In seiner Rede verteidigte er die Meinungsfreiheit in alle | |
| > Richtungen. | |
| Bild: Applaus für Salman Rushdie bei seiner Ankunft in der Frankfurter Paulski… | |
| An all diejenigen, die sich wünschen, einmal in der Frankfurter Paulskirche | |
| live dabei zu sein: vergessen Sie’s. Ist wie beim Fußball, | |
| Stadionatmosphäre hin oder her, man sieht so gut wie nichts, von der | |
| Fernsehübertragung hat man wirklich mehr. Hinzu kommt, dass von den | |
| Presseplätzen aus die Redner am Pult hinter Palmwedeln im üppigen | |
| Blumengesteck nur zu erahnen sind. Doch das nur am Rande. | |
| Wichtiger bei solchen Veranstaltungen als die Reden selbst sind die | |
| Reaktionen der Anwesenden. Oft gibt es viel zu klatschen, wenn sich alle | |
| einig sind. Und Salman Rushdie fordert in seiner Dankesrede alle | |
| unmissverständlich auf, die Meinungsfreiheit erbittert zu verteidigen. Er | |
| wendet sich dabei ausdrücklich an die Verleger und Verlegerinnen als den | |
| „wichtigsten Wächtern der Meinungsfreiheit“. | |
| Ein erhebender Moment seiner Rede, zumal an einem Ort, an dem einst die | |
| Zensur abgeschafft wurde, wie der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef | |
| in seiner Begrüßung anmerkt. Rushdie fügt hinzu, dass das eben auch gelte, | |
| wenn das Gesagte uns beleidige. Für diesen Nachsatz gibt es deutlich | |
| weniger Applaus als zuvor, was die harten [1][Diskussionen während der | |
| Messe rund um die Äußerungen von Slavoj Žižek bei der Eröffnung] und die | |
| [2][verschobene Preisverleihung an die palästinensische Autorin Adania | |
| Shibli] spiegelt. | |
| Die Zeremonie in der Paulskirche sieht auch ZDF-Einspieler vor, die dem | |
| Preisträger in der ersten Reihe die [3][Messerattacke auf ihn im August des | |
| vergangenen Jahres abermals vor Augen führen, was man unsensibel finden | |
| kann. Rushdie hat den Anschlag schließlich nur knapp überlebt] und ist | |
| seitdem auf einem Auge blind. Sein Konterfei mit dem einem abgedunkelten | |
| Brillenglas wurde zum Signet dieser 75. Frankfurter Buchmesse. Neben dem | |
| halbblinden Preisträger prangen auf Werbeträgern die Worte „Erzählerische | |
| Weitsicht“. Unfreiwilliger Humor von der Sorte, die Rushdie gefallen | |
| könnte. Dass er den Schalk im Nacken hat, wissen alle, die ihn und/oder | |
| sein Werk kennen. | |
| Friedlich dem Namen nach | |
| Der Name Salman, von dem in der Paulskirche alle hören, dass man ihn auf | |
| dem zweiten „a“ betont, wurzele im Substantiv salamat, was Friede heiße. | |
| Sein Name bedeute also „friedlich“, erzählt [4][Salman Rushdie bei der | |
| Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels]. Tatsächlich sei | |
| er ein sehr stiller, braver, fleißiger Junge gewesen, friedlich dem Namen | |
| nach, friedlich von Natur aus, fügt er hinzu. | |
| Er sagt nicht, dass dieser Preis für ihn 34 Jahre zu spät kommt, und im | |
| Jahr 1989, als Chomeini ihn mittels einer Fatwa zum Tode verurteilte, ein | |
| mutiges Statement gewesen wäre. Selbstverständlich sagt er das nicht, er | |
| ist ein höflicher Mensch, und womöglich kommt der Preis für Rushdie | |
| rechtzeitig. Denn er, 1947 in Bombay geboren, ist alt geworden, wirkt | |
| angeschlagen und nicht vollständig wiederhergestellt. | |
| Am Abend zuvor absolviert er seinen einzigen öffentlichen Auftritt bei | |
| einer Literaturgala im Congress Center der Messe. Ein Pflichttermin, so | |
| scheint’s. Rushdie antwortet zwar pointiert, aber auch ein wenig | |
| pflichtschuldig. Den jubelnden Applaus des Publikums wedelt er nach kurzer | |
| Zeit routiniert weg. Ganz ähnlich macht er das in der Paulskirche am | |
| nächsten Tag. Der bekannteste Schriftsteller der Welt braucht keinen | |
| Beifall mehr, wiewohl er sich am Ende seiner Rede sehr ernsthaft und | |
| herzlich für die ihm nach dem Angriff im vergangenen Jahr zuteilgewordene | |
| Solidarität bedankt. Auch das hätte man ihm schon 34 Jahre vorher | |
| gewünscht. | |
| Literarische Traditionen | |
| In seiner Rede benennt Rushdie für ihn wichtige literarische Traditionen, | |
| wie die Fabeln des Panchatantra, und träumt von einem fabelhaften | |
| Friedenspreis: „Mir gefällt übrigens der Gedanke, dass der Friede selbst | |
| der Preis ist, dass die Jury Magisches kann, gar Fantastisches – eine Jury | |
| weiser Wohltäter, so unendlich mächtig, dass sie einmal im Jahr und | |
| keinesfalls öfter einen einzigen Menschen und keinesfalls mehr mit Frieden | |
| für ein ganzes Jahr belohnen darf.“ | |
| Zuvor hat er zugegeben, dass ihm Frieden angesichts der Kriege in der | |
| Ukraine und im Nahen Osten wie „ein dem Rauch der Opiumpfeife entsprungenes | |
| Hirngespinst“ vorkomme. Er habe nicht geglaubt, dass er Zeiten wie diese | |
| einmal erleben müsse, sagt er später und bezieht das auf die | |
| Meinungsfreiheit, die Freiheit des Wortes. | |
| Dabei lässt er sich vor keinen Karren spannen, prangert Cancel Culture auf | |
| allen Seiten an und kritisiert auch Menschen, die sich für eine „neue Art | |
| von Bien-pensant-Zensur“ aussprächen. Eine Zensur, die sich den Anschein | |
| des Tugendhaften gebe. Seiner Meinung nach gerät die Freiheit von links wie | |
| rechts unter Druck, von den Jungen wie den Alten. Das habe es so bislang | |
| noch nicht gegeben und werde durch neue Kommunikationsformen wie das | |
| Internet noch komplizierter, da gut gemachte Webpages mitsamt ihren | |
| böswilligen Lügen gleich neben der Wahrheit stünden, weshalb es vielen | |
| Menschen schwerfalle, das eine vom anderen zu unterscheiden. | |
| Zuvor lobt sein Freund und Laudator Daniel Kehlmann ihn über den Klee und | |
| spricht dabei schöner Weise auch von Rushdies grandioser | |
| Rundumgebildetheit, die sich nicht um bildungsbürgerliche Grenzen schert. | |
| Rushdie kennt sich mit allem aus, sei es Geschichte oder Klatsch, Politik | |
| oder Tischtennis, und darüber hinaus noch mit den Stones und U2, Netflix, | |
| Star Wars und Barbie. Er weiß einfach, was läuft. | |
| Vor 34 Jahren nicht besprochen | |
| Kehlmann ist es auch, der in seiner vergnüglichen Laudatio darauf hinweist, | |
| dass Rushdie nach dem Mordaufruf vor 34 Jahren auch hierzulande nicht so | |
| wohlgelitten war, wie es jetzt alle gern hätten. Er erinnert etwa ans | |
| „Literarische Quartett“, das damals darauf verzichtete, „Die satanischen | |
| Verse“ zu besprechen, weil man mutmaßte, es handele sich doch eher um eine | |
| politische als um eine literarische Angelegenheit. Kehlmann versichert, der | |
| Feststellung von Ian McEwan sei in ihrer Schärfe nichts hinzuzufügen. Der | |
| sprach damals davon, dass das offizielle England ganz anders reagiert | |
| hätte, wenn die Fatwa zum Beispiel gegen Dame Iris Murdoch ausgerufen | |
| worden wäre. | |
| An anderer Stelle nennt Kehlmann den Geehrten eine „veritable | |
| Rushdie-Romanfigur“, und ein bisschen sieht dieser inzwischen wirklich so | |
| aus. Für seinen Laudator ist er „unbestritten einer der großen Erzähler der | |
| Literaturgeschichte und der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit | |
| von Kunst und Rede in unserer Zeit“. Vor allem aber sei er ein weiser, | |
| neugieriger, heiterer und gütiger Mensch und somit der würdigste Träger, | |
| den es für diese Auszeichnung, die ja als Friedenspreis ausdrücklich nicht | |
| nur künstlerische, sondern auch humanistische Größe auszeichne, überhaupt | |
| hätte geben können. | |
| Rushdie bekommt den Friedenspreis aus den Händen der Vorsteherin des | |
| Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, „für seine Unbeugsamkeit, | |
| seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt | |
| bereichert“, wie es im Urkundentext heißt. Dass er sich seinen Kampf für | |
| die Freiheit des Wortes nicht selbst ausgesucht hat, macht Rushdie in | |
| seiner Dankesrede deutlich. Das Schicksal in Form islamistischer | |
| Fundamentalisten hat ihm diese Rolle aufgedrängt. Er selbst hätte sich | |
| beileibe ein friedlicheres Leben gewünscht. Und wir ihm auch. | |
| 22 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Shirin Sojitrawalla | |
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