# taz.de -- Friedensforscherin über den Ukrainekrieg: „Ziviler Widerstand is… | |
> Mit gut organisiertem sozialen Protest könnte die Ukraine Russland | |
> stoppen, sagt Konfliktexpertin Dudouet. Deutschland solle solche Methoden | |
> fördern. | |
Bild: Ukrainer demonstrieren vor russischen Militärfahrzeugen am 20. März in … | |
taz: Frau Dudouet, im Kiewer Vorort Butscha und anderswo haben russische | |
Soldaten Zivilisten massakriert. Sie sagen, ziviler Widerstand ist | |
effektiver als militärischer. Ist das nicht naiv? | |
Véronique Dudouet: Ich kann gut nachvollziehen, warum das naiv erscheint. | |
Unsere Forschung zeigt aber eindeutig, dass friedlicher Widerstand selbst | |
gegen die skrupellosesten und repressivsten Regime erfolgreich sein kann. | |
Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass eine nachhaltige Lösung von | |
Konflikten niemals militärisch sein kann – darum braucht es zivile | |
Alternativen. | |
Mit welchen friedlichen Mitteln könnte sich die [1][Ukraine] denn Ihrer | |
Meinung nach wehren? | |
Das können zum Beispiel Massendemonstrationen sein, wie wir sie schon in | |
einigen von den Russen eingenommenen Städten gesehen haben. Dort haben die | |
Menschen gezeigt, dass die Invasoren nicht willkommen sind. Diese Methoden | |
haben wahrscheinlich die Moral der russischen Soldaten gesenkt. Es gab auch | |
einige eher symbolische, aber sehr wirkungsvolle Formen des Widerstands wie | |
das Austauschen von Straßenschildern und die Verwendung von | |
Verkehrsschildern, um die einmarschierende Armee zu beleidigen oder | |
abzulenken. Eine weitere effiziente Taktik war mehrmals, dass ukrainische | |
Zivilisten mit Menschenketten russische Panzer stoppten. Das stärkt auch | |
die Entschlossenheit des ukrainischen Volks. Der Boykott russischer Waren | |
ist ebenfalls ein Beispiel dafür. So wird die Besatzung auch viel teurer. | |
Es ist schwer vorstellbar, dass das die russische Armee aufhalten würde. | |
Ich glaube nicht, dass der zivile Widerstand, wie er jetzt organisiert ist, | |
allein den Krieg oder die Besatzung beenden wird, aber er kann das Regime | |
des Besatzers dazu bringen, sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen und | |
einen Kompromiss zu finden. Dafür müsste die Regierung leistungsfähige | |
Systeme der friedlichen Verteidigung entwickeln. In den baltischen Staaten | |
etwa gibt es offizielle Doktrinen zur gewaltlosen Verteidigung. Diese | |
Methoden erfordern eine Menge Vorbereitung und Schulung der Bevölkerung, | |
damit sie die Prinzipien versteht, die dahinter stehen: beispielsweise, | |
dass das Töten feindlicher Soldaten den Krieg nicht beendet, sondern ihre | |
Kameraden vom Desertieren abhalten kann. | |
Gibt es Belege dafür, dass so ein ziviler Widerstand eine militärische | |
Invasion wirklich aufhalten kann? | |
Die Friedensforscherinnen [2][Erica Chenoweth und Maria Stephan] haben alle | |
gewaltfreien Bewegungen für Demokratie, Selbstbestimmung und gegen | |
Besatzung seit 1900 untersucht. Sie kamen zu dem Schluss, dass die | |
Erfolgschancen bei gewaltfreiem Widerstand 50 Prozent höher waren als bei | |
bewaffnetem. Die Wissenschaftlerinnen erklären das damit, dass gewaltfreie | |
Verteidigung viel mehr Menschen mobilisieren kann und wirkungsvollen | |
Dissens innerhalb der gegnerischen Sicherheitskräfte verursachen kann. In | |
Palästina zum Beispiel hat die erste Intifada in den späten Achtzigerjahren | |
zum Osloer Friedensprozess ab 1993 geführt – aufgrund der gewaltfreien | |
Mittel, die Palästinenser gegen die israelische Besatzung einsetzten. | |
Manche Nahostexperten sagen, dass eher die zunehmenden Angriffe von | |
Palästinensern in Israel die israelische Regierung zu den Verhandlungen | |
bewegten. Dass viele Palästinenser ihre Stromrechnung nicht bezahlten, habe | |
dazu kaum beigetragen. | |
Zu Beginn war die Intifada völlig unbewaffnet, mit klaren Anweisungen der | |
politischen Führung, friedlichen Widerstand zu leisten. Die Palästinenser | |
boykottierten zum Beispiel israelische Produkte. Einige weigerten sich, | |
ihre Steuern an die israelischen Behörden zu zahlen. All dies war wichtig, | |
um zu zeigen, dass man nicht mit der herrschenden Macht zusammenarbeitet. | |
Viele Israelis wurden verletzt, von Israel ernannte Bürgermeister oder | |
Polizisten wurden von anderen Palästinensern ermordet. War die erste | |
Intifada wirklich friedlich? | |
Es gab einige gewalttätige Proteste wie das Werfen von Steinen durch | |
frustrierte Jugendliche, aber das war nicht Teil einer gezielten Strategie. | |
Bewaffnete Gruppen wie die Hamas wurden während der Intifada gegründet, | |
spielten aber keine große Rolle bei dem Aufstand. | |
Aber war die Intifada tatsächlich erfolgreich? Der Gazastreifen und das | |
Westjordanland sind bis heute besetzt. | |
Das stimmt. Aber ohne die Intifada hätte es den Friedensprozess in Oslo und | |
die Einrichtung der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht gegeben. Dem | |
palästinensischen Volk ist es durch die Intifada gelungen, von Israel als | |
Verhandlungspartner anerkannt zu werden. So etwas wird auch die Ukraine | |
brauchen. | |
Als Mitte März drei osteuropäische Regierungschefs mit der Bahn Kiew | |
besuchten, soll die Stadt nicht so intensiv beschossen worden sein. | |
Das ist ein wirklich gutes Beispiel. In vielen Bürgerkriegen etwa | |
begleiteten internationale Teams gewaltfreie Demonstranten. Das bietet eine | |
gewisse Form des Schutzes, denn niemand würde diese wichtigen | |
internationalen Vertreter töten. Ihre Präsenz könnte auch Zufluchtsorte von | |
Ukrainern schützen. | |
Wie stehen Sie zu den Waffenlieferungen westlicher Länder an die Ukraine? | |
Ich bin der Meinung, dass wir die weitere Militarisierung des Konflikts | |
nicht verstärken sollten. Wenn wir Waffen schicken, ist das die Botschaft, | |
die wir aussenden. | |
Aber was ist die Alternative? | |
Wir brauchen mehr solche Aktionen wie den Besuch der drei osteuropäischen | |
Regierungschefs in Kiew. Wir könnten Menschen entsenden, die Zeugen der | |
Verbrechen werden können, die von Russland begangen werden. Wir können | |
Finanzmittel, Schulungen und andere Ressourcen bereitstellen, um den | |
Ukrainern zu helfen, ihre Fähigkeiten zu massenhaftem zivilem Ungehorsam | |
und gewaltfreiem Widerstand auszubauen. | |
Was halten Sie davon, in Reaktion auf den Ukrainekrieg für 100 Milliarden | |
Euro die Bundeswehr aufzurüsten? | |
Selbst wenn nur 1 Prozent dieser Milliarden für Bemühungen zur | |
Unterstützung des friedlichen Widerstands und diplomatischer Lösungen | |
eingesetzt würde, wäre das effektiver. Ich glaube nicht, dass es klug ist, | |
massiv in militärische Mittel zu investieren. | |
19 Apr 2022 | |
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[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[2] https://cup.columbia.edu/book/why-civil-resistance-works/9780231156820 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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