# taz.de -- Friedensbewegung und Ukraine-Krieg: Pazifisten, die Waffen fordern | |
> Friedensaktivist:innen haben es derzeit nicht leicht. Sollten sie | |
> ihre Ideale deswegen jetzt aufgeben? Nein. Zumindest nicht komplett. | |
Bild: Friedensengel, bei der Großdemonstration gegen den russischen Angriffskr… | |
Der letzte Sonntag im Februar war ein überraschend schöner Tag. Die Sonne | |
schien am winterklaren Himmel über dem Tiergarten in Berlin und | |
[1][Hunderttausende drängten sich dort zwischen Brandenburger Tor und | |
Siegessäule]. Zu Fuß oder mit dem Rad, mit Kindern und Hunden und mit | |
blau-gelben Fahnen. Es war nicht laut. Irgendwo wurden Reden gehalten, | |
irgendwo gab es eine Bühne mit Musik, aber die war so weit weg, dass man | |
nur wenig davon mitbekam. Es war eher ein gemeinsames Rumstehen. Ein | |
Zusammenstehen. Gegen den Krieg, den Russland wenige Tage zuvor in der | |
Ukraine begonnen hatte. Für den Frieden. | |
Es war wie in den großen Zeiten der Friedensbewegung. Wie 2003, als [2][mit | |
einer 35 Kilometer langen Menschenkette] gegen den Irakkrieg protestiert | |
wurde. Wie 1983, als in Bonn eine halbe Million Menschen gegen die | |
Nachrüstung der Nato mit Pershing-II-Atomraketen demonstrierten. Als BAP | |
im dortigen Hofgarten ihr [3][Kriegsdienstverweigerungslied „Stell dir | |
vüür“] rockten und später am Abend Tausende den Refrain immer aufs Neue | |
wiederholend zum Bahnhof zogen. Weil sie vorstellbar schien, diese bessere | |
Welt ohne Waffengewalt. | |
Fast 40 Jahren später war es den Friedensbewegten erneut gelungen, ein | |
massives Zeichen zu setzen. Und dennoch war etwas anders. Unübersehbar. Da | |
gab es Demonstrant:innen, die auf Plakaten mit einer Friedenstaube „Waffen | |
für die Ukraine“ forderten. Und die mitlaufen durften, ohne anzuecken. | |
Nun ist es nichts Neues, dass „die“ Friedensbewegung extrem breit | |
aufgefächert ist. Manchmal unerträglich breit. Das war schon in den 80er | |
Jahren so. „Ich bin gegen den Frieden“, [4][schrieb damals zum Beispiel | |
Liedermacher Heinz Rudolf Kunze] und begründete das sehr schlüssig so: „Für | |
den Frieden sind ja alle, oder zumindest so viele, daß einige darunter | |
sind, mit denen ich ums Verrecken nicht einer Meinung sein kann.“ Heinz | |
Rudolf Kunze, mittlerweile vom linksintellektuellen Barden zum älteren | |
weißen Mann mutiert, der so viel Unsinn erzählt, dass man ums Verrecken | |
nicht mehr mit ihm einer Meinung sein kann, traf damals einen wunden Punkt. | |
## Die neuen Pazifisten | |
Es gab da viele, für die die weiße Taube nicht mehr als ein modisches | |
Accessoire war. Andere, die versuchten, mit ihrer vorbildlich friedlichen | |
Haltung die schnelle Mark zu machen. Und nicht zu vergessen diejenigen, die | |
den Kampf für den Frieden vor allem dafür nutzen, mit dem Finger auf die | |
Fehler des Westens, der imperialistischen Amerikaner zu zeigen, aber jede | |
Kritik am damals noch sowjetischen Moskau zurückwiesen. | |
Letztere gibt es heute wie damals. Und man möchte wirklich nicht mit ihnen | |
in einen Topf geworfen werden. Es war also noch nie so ganz einfach, sich | |
als Pazifist nicht von der einen oder anderen Seite vereinnahmen zu lassen. | |
Aber Friedensaktivisten, die mehr Waffen fordern, das ist wirklich etwas | |
Neues. | |
Irritierend daran ist vor allem: Man kann sie sogar verstehen. Niemand | |
möchte im Ernst der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung absprechen. | |
Waffen sind dabei natürlich hilfreich. | |
[5][Für Pazifisten sind das wahrlich keine leichten Zeiten]. Wobei das auch | |
egal ist. In der Ukraine werden Häuser, Städte, Menschenleben zerstört. Da | |
muss man nicht rumjammern, bloß weil das eigene Weltbild in Scherben liegt. | |
Aber soll man die Ideale deswegen gleich an den Nagel hängen? Da hängt | |
schon diese alte Armeejacke, auf die ein befreundeter Künstler [6][das | |
Label „Deserteur“] genäht hat. Gelegentlich streife ich sie über. Sie wä… | |
nicht wirklich, aber sie hilft beim Nachdenken. Und beim Festhalten an der | |
Idee, dass, wenn man den Krieg schon nicht verhindern kann, es immer noch | |
wichtig ist, sich für diejenigen einzusetzen, [7][die sich nicht daran | |
beteiligen wollen]. | |
Die vor der Gewalt flüchten, um keine Opfer zu werden. Aber auch keine | |
Täter an der Front. Egal ob Frau, ob Kind, ob Mann. Egal ob Russe oder | |
Ukrainer. Stell dir vor, es ist Krieg und jemand läuft weg, warum auch | |
immer. [8][Dann sollten alle Türen offen stehen]. | |
Es ist nicht viel. Es ist nur ein letzter Rest von pazifistisch motivierter | |
Humanität, den man in Zeiten des Krieges einfordern kann. Nein, muss. | |
24 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Pazifismus-in-Zeiten-des-Krieges/!5837894 | |
[2] //!799450/ | |
[3] https://www.bap.de/songtext/stell-dir-vueuer/ | |
[4] https://werkzeug.heinzrudolfkunze.de/texte/texte/ichbingegendenfrieden.html | |
[5] /Pazifismus-in-Zeiten-des-Krieges/!5885293 | |
[6] http://deserteur.eu/ | |
[7] /Deserteure-in-der-Ukraine/!5839358 | |
[8] /Aufnahme-russischer-Deserteure/!5880272 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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