# taz.de -- Pazifismus in Zeiten des Krieges: Frieden schaffen mit mehr Waffen? | |
> Bei der Friedensdemonstration in Berlin wurden auch Waffenlieferungen an | |
> die Ukraine begrüßt. Hat sich der Pazifismus überholt? | |
Bild: Sind die weißen Tauben müde? Demonstrant:innen am Sonntag vor dem Brand… | |
„Stand with Ukraine!“, stand auf den Plakaten bei der Friedensdemonstration | |
[1][am Sonntag im Berliner Tiergarte]n. „Stop War!“, in vielen Sprachen. | |
„Warum nicht einfach Frieden?“ Und auf ein paar der hochgehaltenen Plakate | |
stand: [2][Waffen für die Ukraine]! | |
Ein Aufruf zur Aufrüstung bei einer Friedensdemo? Das hätte es vor wenigen | |
Jahren mit Sicherheit nicht gegeben. Schon weil Träger:innen solcher | |
Plakate hätten befürchten müssen, dass sie friedfertig, aber bestimmt des | |
Platzes verwiesen werden. Hier aber wurden sie nicht nur geduldet. Im | |
Gegenteil, sie gehörten dazu, waren Teil eines vielstimmigen Gesamtbildes – | |
und alles andere als ein Randphänomen. | |
„Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet der Krieg. Wenn die Ukraine | |
aufhört zu kämpfen, gibt es keine Ukraine mehr“, stand auf einem Plakat. | |
[3][Ein Bild davon hat am Sonntag die Initiative campact getwittert], die | |
die Friedensdemonstration initiiert hat. | |
Die Forderung nach Waffenlieferungen ist nichts Neues in der | |
gesellschaftlichen Linken. Schon [4][1968 forderte der SDS Waffen für den | |
Vietcong]. Und in den 1980ern [5][sammelte die taz mehrere Millionen Mark | |
für Waffen für El Salvador]. Aber Pazifist:innen konnten mit so einer | |
Strategie der Gewalt nie etwas anfangen. | |
## Schwer erträglich für Pazifist:innen | |
Und jetzt geht so eine Forderung einfach so durch auf einer Friedensdemo? | |
Darf hochgehalten werden neben einer weißen Taube auf blauen Grund, die | |
doch immer für den einen, klaren Weg stand: Frieden schaffen ohne Waffen? | |
Es gibt noch eine Parole, die jeder pazifistisch Angehauchte stets im Kopf | |
hat: Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Vielleicht liegt genau | |
darin die Erklärung für den scheinbaren Widerspruch. Denn was die | |
Hunderttausenden im Berliner Tiergarten einte, war offenbar gar nicht in | |
erster Linie der Wunsch nach Frieden, sondern vor allem als | |
Minimalkompromiss die Abwesenheit von Krieg. Und wenn sich die nur über | |
Waffengewalt erreichen lässt, weil der Gegner, weil Putin durch Gespräche, | |
durch Diplomatie, durch Sanktionen schlichtweg nicht erreichbar ist, dann … | |
Für Pazifist:innen ist es schwer erträglich, diesen Gedanken zu Ende zu | |
führen. Anhänger:innen der reinen Lehre muss er wie ein Verrat des | |
Ideals vorkommen. Denn wer dieses in einer solchen Extremlage aufgibt, | |
könnte ja auch gleich denjenigen recht geben, die Pazifist:innen für | |
weltfremde Naivlinge halten. | |
Wer aber schon immer davon ausging, dass kein einziges Weltbild Antworten | |
auf alle Lagen bieten kann, wird schweren Herzens zum Schluss kommen, dass | |
die Ukraine eine der berühmten Ausnahmen von der Regel sein könnte. Sein | |
müsste. Ist. Selbst wenn die Waffenlieferungen nicht einmal ein Kriegsende | |
garantieren, sondern nur das Recht der Ukrainer:innen auf Verteidigung | |
erhalten. | |
Ausnahme heißt aber eben auch: Die Regel an sich gilt weiter. Genauso wie | |
weiterhin gilt, dass Diplomatie der Königsweg zur Lösung aller | |
zwischenstaatlichen Konflikte bleiben muss. Alles andere würde auf direktem | |
Weg in die Barbarei führen. | |
## Ist die deutsche Unterstützung kriegsentscheidend? | |
[6][Reden ist immer besser als Schießen]. Zaudern ist immer angebrachter | |
als vorschnelle Eskalation. Zwar werfen nun viele der Bundesregierung vor, | |
zu lange an dem Diktum festgehalten zu haben, keine Waffen in Krisengebiete | |
zu liefern. Aber glaubt tatsächlich jemand, dass sich der offensichtlich | |
kriegswillige Putin von einem Einmarsch in die Ukraine hätte abhalten | |
lassen, wenn die Bundesrepublik ein paar Wochen früher Raketen geliefert | |
hätte? | |
Glaubt irgendwer, dass die deutsche Unterstützung kriegsentscheidend sein | |
könnte im Kampf gegen eine hochgerüstete russische Armee? Gegen eine Armee, | |
die – wenn überhaupt – nur von denen militärisch zu schlagen wäre, die | |
jedes Risiko eingingen? Also auch das eines dritten Weltkrieges? | |
Geht es also nicht vor allem mal wieder um die Sehnsucht, moralisch auf der | |
richtigen Seite zu stehen? Bisher ohne Waffenlieferungen – künftig mit? | |
Sicher ist: Wer im militärischen Dagegenhalten den einzigen Weg sieht, der | |
wird genauso daneben liegen, wie jetzt die Hardcore-Pazifist:innen. Genau | |
deshalb sind beeindruckende Friedensdemonstrationen wie am Sonntag in | |
Berlin nicht überholt. Sondern unerlässlich. | |
28 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-gegen-Ukraine-Krieg-in-Berlin/!5834938 | |
[2] https://twitter.com/HenningFlaskamp/status/1497928047470600193/photo/2 | |
[3] https://twitter.com/campact/status/1497961966475874307 | |
[4] /Wir-alle-diskutierten-die-Stadtguerilla-Sogar-jeder-Schueler/!583679/ | |
[5] /taz-sammelte-Kohle-fuer-Knarren/!5032854 | |
[6] /Ukraine-Krieg/!5837788 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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