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# taz.de -- Protest gegen Ukraine-Krieg in Berlin: Ein Signal in Blau-Gelb
> Hunderttausende gehen gegen Putins Krieg auf die Straße. Das ist auch ein
> Zeichen der Solidarität für alle, die nach Berlin fliehen.
Bild: Die Farben des Tages
Berlin taz | Was für ein Zeichen! Nach Polizeiangaben sind in Berlin
100.000 Menschen gegen [1][Putins Krieg in der Ukraine] auf die Straße
gegangen, nach Angaben der Veranstalter waren es 500.000. Eine halbe
Million, wann hat Berlin zuletzt eine solche Demonstration gesehen?
Putin greift ein freies Land an, und Berlin verwandelt sich in ein
blau-gelbes Menschenmeer. Diese Bilder werden im Gedächtnis bleiben. Sie
sind nicht nur ein Zeichen der Ermutigung für die Menschen, die in Kiew und
Charkiw gegen russische Panzer kämpfen. Sie zeigen auch den
Hunderttausenden, die auf der Flucht Richtung Westen sind: Ihr seid in
dieser Stadt willkommen.
Auch für die politische Diskussion in Deutschland bedeutet dieser 27.
Februar eine Wende. Während im Bundestag über die Regierungserklärung von
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) debattiert wird, erklären Eltern am
Neptunbrunnen ihren Kindern, dass Weiß-Rot-Weiß die Farben der
belarussischen Demokratiebewegung bedeuten. Für die Kids dürfte der
Sonntagsspaziergang zum Großen Stern auch die Verarbeitung der Bilder
erleichtern, die sie seit Donnerstag Abend für Abend im Fernsehen oder in
den sozialen Medien sehen.
## Berlin rückt zusammen
Es scheint, als seien unter den Raketenangriffen, den Panzergranaten und
seit Sonntag auch der Drohung Putins mit Atomwaffen nicht nur die
Ukrainerinnen und Ukrainer zusammengerückt, sondern auch die Menschen in
Berlin. Auch wenn auf vielen Schildern „Mir“ stand, war das nicht nur eine
Friedenskundgebung, sondern auch eine Demonstration für eine freie Ukraine.
Die vielen blau-gelben Fahnen und Wimpel, die nicht nur bei der
ukrainischen Demo am Neptunbrunnen getragen wurden, sind auch ein Hinweis
darauf, dass die Berlinerinnen und Berliner spüren: Da kämpft ein Land
nicht nur für sich selbst, sondern für den Frieden und für Demokratie in
ganz Europa.
Die Älteren mag das erinnert haben an die Solidarität, die nach der
Verhängung des Kriegsrechts 1981 in Polen die Stadt erfasst hatte.
Zehntausende polnische Oppositionelle waren damals nach West-Berlin
geflüchtet und mit offenen Armen empfangen worden. Sie waren
Freiheitshelden im Kampf gegen das wahre Gesicht eines kommunistischen
Regimes, die im „Schaufenster des Westens“ Zuflucht gesucht hatten.
Was aber, wenn sich der Krieg in der Ukraine in die Länge zieht und nicht
Zehntausende wie 1981, sondern Hunderttausende in die Stadt kommen? Was,
wenn die Benzinpreise auf 2,50 Euro steigen und auch eine
Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke nicht mehr
ausgeschlossen wird? Wird die Solidarität auch die Krisenzeiten überstehen?
Vielleicht muss man sich dann an diesen Sonntag erinnern und die
Botschaften, die er auch von der Politik über die Parteigrenzen hinweg
bereithielt. „Berlin hat ein starkes Zeichen gesetzt“, schrieb die
Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auf Facebook unter dem
Hashtag #standwithukraine. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) schrieb:
„Solidarität mit den Ukrainer*innen – und allen in Russland, die mutig
gegen diesen schändlichen Krieg protestieren.“
Nicht nur die Berlinerinnen und Berliner setzen also ein Zeichen der
Solidarität, sondern auch die politisch Verantwortlichen. Gleichzeitig sind
inzwischen die Vorbereitungen für die Aufnahme von Flüchtlingen angelaufen.
Bis Sonntag waren rund 240 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine vom Landesamt
für Flüchtlingsangelegenheiten registriert worden. Mit weiteren müsse
gerechnet werden, sagte der Sprecher des Landesamtes, Sascha Langenbach.
Sie können unter anderem mit den Fernzügen der Deutschen Bahn umsonst bis
Berlin fahren.
Unter denen, die im Ankunftszentrum in Reinickendorf ankamen, seien auch
Menschen, die nach einem Besuch von Verwandten oder Freunden in Berlin
„gestrandet“ seien und nicht zurückreisen könnten, so Langenbach. Bereits
am Freitag waren 90 Ukrainer und Ukrainerinnen aufgenommen worden, am
Samstag 120 und am Sonntag bis zum Mittag etwa 30 Flüchtlinge.
## „Barbarischer Akt“
Ihnen stünden nun zwei Optionen offen: entweder das normale Asylverfahren
oder Abwarten, bis die Bundesregierung eine Entscheidung über den künftigen
Aufenthaltsstatus von ukrainischen Kriegsflüchtlingen trifft. Berlins
Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) hatte zuvor den Bund aufgerufen,
aufenthalts- und arbeitsrechtliche Fragen schnell zu klären: „Der Bund muss
klarstellen, auf welcher rechtlichen Basis diese Menschen hier aufgenommen
werden.“ Den Einmarsch Russlands in die Ukraine nannte die Senatorin einen
„barbarischen Akt“.
Auch Brandenburg bereitet sich vor. [2][Frankfurts Oberbürgermeister René
Wilke] stellt zunächst 400 Betten zur Verfügung. Wilke sagte im Inforadio
des RBB: „Ich habe den Eindruck, dass die Ereignisse den Menschen hier doch
sehr nahe gehen und auch spürbar ist, dass Menschen Hilfe brauchen.“
Allerdings hatte es in Brandenburg auch andere Töne gegeben. So hatte der
[3][SPD-Landrat aus Märkisch-Oderland, Gernot Schmidt], den russischen
Präsidenten Wladimir Putin in einer Art Ergebenheitsadresse nach Seelow
eingeladen, ohne die Ukraine auch nur mit einem Wort zu erwähnen.
Stattdessen sprach sich Schmidt gegen „ein weiteres Vorrücken der Nato nach
Osten aus“. Erst nach dem Einmarsch in der Ukraine ruderte der Landrat
zurück und erklärte nun, [4][auf eine Gedenkveranstaltung auf den Seelower
Höhen verzichten zu wollen].
Klare Worte findet dagegen Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke
(SPD). Er sprach von einer „riesigen Solidarität“ in seinem Land. An
Russland richtete er die Worte: „Herr Präsident Putin, stoppen Sie das
Morden, stoppen Sie den Krieg!“
## Parallelen zu 1981
„Für eure und unsere Freiheit“, hatte der polnische Historiker und
Freiheitskämpfer Joachim Lelewel als Parole ausgegeben, als polnische
Freischärler im Novemberaufstand 1830 den Kampf gegen die russischen
Besatzer aufnahmen. Was er meinte: Wir führen unseren Kampf auch für andere
in Europa. Auch während der Streiks der Solidarność, ohne die es den Fall
der Mauer nicht gegeben hätte, war die Losung wieder aufgegriffen worden.
Nun sagt die polnische Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk: „Der
Angriff auf eine freie Ukraine ist ein Angriff auf Europa“.
Die Helden der Solidarność 1981 und die Flüchtlinge, die in den kommenden
Tagen und Wochen zu Tausenden nach Berlin und Brandenburg kommen werden,
haben also viel miteinander zu tun. Viele von Letzteren sind die Frauen und
Kinder der Männer, die sich mit Molotowcocktails russischen Panzern in den
Weg stellen. Sie kämpfen auch für uns.
„Berlin. Stadt der Freiheit“: Lange war das nur noch ein Slogan des
Stadtmarketing gewesen. Nun ist es über Nacht zur bitteren Wahrheit
geworden. Die Berlinerinnen und Berliner haben am Sonntag gezeigt, dass sie
sich dieser Wahrheit stellen.
27 Feb 2022
## LINKS
[1] /Russlands-Ueberfall-auf-die-Ukraine/!5835009
[2] https://www.inforadio.de/rubriken/interviews/2022/02/25/frankfurt-oder-gut-…
[3] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/02/landrat-schmidt-brief-putin-se…
[4] https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/politik/2022/02/gernotschmidt-landrat-…
## AUTOREN
Uwe Rada
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