# taz.de -- Folgen von US-Abzug: Ein neues Kapitel in Syrien | |
> Die Entscheidung des US-Präsidenten, Soldaten von der türkisch-syrischen | |
> Grenze abzuziehen, hat schwere Folgen. Wer verfolgt welche Interessen? | |
Bild: US-Soldaten in der Sicherheitszone an der syrisch-türkischen Grenze Anfa… | |
Es geht um wenige Dutzend Soldaten, doch mit dem Abzug des US-Militärs von | |
der türkisch-syrischen Grenze hat [1][Präsident Donald Trump] ein neues | |
Kapitel des Syrienkonflikts aufgeschlagen. Eine [2][türkische | |
Militäroffensive] ins kurdisch kontrollierte Nordostsyrien könnte nun | |
jederzeit kommen. „Alle Vorbereitungen für den Einsatz sind abgeschlossen“, | |
teilte das türkische Verteidigungsministerium am Dienstag mit. Die | |
Verlegung der US-Soldaten, die dem Einmarsch im wahrsten Sinne des Wortes | |
im Weg standen, lenkt die Aufmerksamkeit auf einen kaum beachteten | |
Teilkonflikt des Syrienkriegs: die umstrittenen Gebiete östlich des | |
Euphrats. | |
Dort haben kurdische Kräfte im Schatten des Syrienkriegs unter Führung der | |
Partei PYD einen Quasistaat aufgebaut: mit eigener Verwaltung und | |
Streitkräften, den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF). Die Kinder | |
lernen nicht nach dem ideologisch durchtränkten Curriculum des syrischen | |
Regimes, sondern nach neuen, von den kurdischen Machthabern erstellten | |
Lehrplänen. Die sogenannte „Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien“ | |
umfasst etwa ein Drittel des syrischen Staatsgebiets, ist international | |
vernetzt und unterhält sogar inoffizielle Vertretungen im Ausland – etwa in | |
Berlin. | |
Das Kurdengebiet ist neben [3][Idlib], wo sich weiter Anti-Assad-Rebellen | |
halten, das zweite große Gebiet, das sich der Kontrolle von Damaskus | |
entzieht. Den Rest des Landes haben Regierungstruppen mit russischer | |
Unterstützung zurückerobert. Die Kurden kontrollieren aber mit den Städten | |
Rakka und Dair al-Saur, die sie von der Terrororganisation „Islamischer | |
Staat“ befreit haben, auch zwei mittelgroße urbane Zentren. Doch nicht alle | |
Gebiete unter PYD-Kontrolle sind mehrheitlich kurdisch besiedelt. Rakka | |
etwa ist mehrheitlich arabisch. Auch an der Grenze zur Türkei gibt es | |
Landstriche, in denen Kurden in der Minderheit sind. | |
Syriens Präsident Baschar al-Assad will ganz Syrien wieder unter seine | |
Kontrolle bringen. Die Kurden aber wollen für ihre Unabhängigkeit kämpfen. | |
Auch wenn sie keinen eigenen Staat fordern, wollen sie ihre Autonomie | |
behalten und ihre Streitkräfte nicht auflösen. Eine politische Lösung | |
dieses großen Teilkonflikts in Syrien liegt in weiter Ferne. | |
## Die wichtigsten Player im Überblick | |
## Die Türkei | |
Für Ankara ist klar: Hinter der Grenze zu Syrien regiert mit der | |
syrisch-kurdischen PYD ein Ableger der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei | |
Kurdistans. Die PKK kämpft seit 1984 für die Abspaltung oder Autonomie der | |
Kurdengebiete in der Türkei – was erklärt, dass die Türkei einen kurdischen | |
Quasistaat in Nordsyrien mit allen Mitteln verhindern will. Präsident Recep | |
Tayyip Erdoğan fordert die Einrichtung einer Pufferzone zwischen den | |
syrischen Kurdengebieten und der Türkei. Mit gemeinsamen Patrouillen im | |
syrischen Grenzgebiet haben Ankara und Washington im September begonnen. | |
Nun aber droht Ankara wieder mit einer großangelegten Militäraktion. Am | |
Dienstag schickte die Regierung weitere Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge | |
an die Grenze. Zudem waren Transporter mit Panzern in Richtung Şanlıurfa | |
unterwegs. Unklar ist indes, wie weit die Türkei vordringen würde, wenn es | |
zu einem Einmarsch käme. Erdoğan hat von einer bis zu 35 Kilometer tiefen | |
Zone entlang der syrisch-türkischen Grenze zwischen dem Euphrat und dem | |
Irak gesprochen. Mit der Besetzung eines solch großen Gebiets dürfte jedoch | |
auch das türkische Militär überfordert sein. Wahrscheinlich ist, dass sich | |
die Armee erst auf ein rund 120 Kilometer langes Grenzgebiet zwischen Tal | |
Abjad und Ras al-Ain konzentrieren wird. | |
## Die USA | |
Andere sollen die vertrackte Situation ausklamüsern: Das ist ein Leitmotiv | |
der Syrienpolitik von US-Präsident Donald Trump. „Es ist Zeit, dass wir da | |
rauskommen“, bekräftigte er am Montag sein Ziel, US-Soldaten nach dem Sieg | |
gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) aus Syrien | |
abzuziehen. Es war eines von Trumps zentralen Wahlkampfversprechen, | |
Soldaten aus den Konflikten in der Region zurückzuholen. Dabei sind ohnehin | |
nur noch zwischen 1.000 und 2.000 US-Soldaten im Nordosten Syriens | |
stationiert. Am Montag räumten einige Dutzend US-Soldaten ihre Stellungen | |
in Tal Abjad und Ras al-Ain, was allerdings nicht einen kompletten US-Abzug | |
aus Nordostsyrien bedeutet, sondern vor allem als grünes Licht gewertet | |
wurde für einen Einmarsch der türkischen Armee in das von Kurden | |
kontrollierte Gebiet. Die USA stehen den Plänen Erdoğans skeptisch | |
gegenüber, jedoch machten sie klar, dass sie weder die Kurden beschützen | |
noch eine türkische Offensive unterstützen werden. | |
## Die Kurden | |
Gegen eine Offensive der türkischen Armee hätten die syrischen Kurden kaum | |
eine Chance, auch wenn die Selbstverwaltung mit den SDF über eine | |
schlagkräftige Truppe verfügt. Für sie steht das gesamte kurdische | |
State-Building-Projekt in Syrien auf dem Spiel. Dementsprechend kämpferisch | |
gibt sich SDF-Sprecher Mustapha Bali: Man werde „nicht zögern, jeden | |
Angriff von türkischer Seite in einen umfassenden Krieg entlang der Grenze | |
zu verwandeln, um uns und unser Volk zu verteidigen“. | |
Die YPG-Miliz, die wichtigste Einheit des SDF-Bündnisses, war maßgeblich am | |
Kampf gegen den IS beteiligt, der seit März als besiegt gilt. Die YPG | |
fungierte dabei als Bodentruppe der US-geführten Militärkoalition gegen die | |
Dschihadisten. Die kurdische Führung fühlt sich nun verraten von den USA. | |
Trump hat deutlich gemacht, dass das Schicksal seiner ehemaligen | |
Verbündeten für ihn keine Priorität hat. Die Kurden seien zum Teil | |
„natürliche Feinde“ der Türkei, sagte er am Montag. Gleichzeitig warnte e… | |
US-Regierungsvertreter die Türkei allerdings vor einem „Massaker“ an den | |
Kurden. | |
## Russland | |
Erstaunlich wenig Kritik an den türkischen Einmarschplänen kommt aus | |
Moskau. Aus dem Kreml hieß es am Montag, die Türkei habe ein Recht auf | |
Selbstverteidigung, gleichzeitig sagte ein Sprecher, dass Syriens | |
territoriale Integrität gewahrt bleiben müsse. Die russische Regierung hat | |
das Assad-Regime bei der Rückeroberung der von Rebellen gehaltenen Gebiete | |
seit 2015 militärisch stark unterstützt. | |
Seit April nun stoßen russische und syrische Truppen in die Provinz Idlib | |
vor, die noch immer von Anti-Assad-Rebellen gehalten wird. Allerdings ist | |
die Türkei mit eigenem Militär sowie mit verbündeten protürkischen Milizen | |
in Idlib präsent. Beobachter mutmaßen, dass es zu einem Deal kommen | |
könnte: Während die Türkei gegen die Kurden östlich des Euphrats vorgeht, | |
zeigt sie sich zu einem Rückzug aus Idlib bereit. Das würde Moskau und | |
Damaskus ermöglichen, die Provinz vollständig zurückzuerobern. | |
## Das Assad-Regime | |
Seit Beginn des Syrienkrieges 2011 hat sich die Regierung in Damaskus aus | |
dem großen, vergleichsweise dünn besiedelten Gebiet östlich des Euphrats | |
zurückgezogen. Das ermöglichte den Kurden, dort weitgehend autonom den | |
Aufbau eigener politischer Strukturen voranzutreiben. Doch von seinem Ziel, | |
das gesamte syrische Staatsgebiet wieder unter Kontrolle zu bringen, hat | |
das Assad-Regime nie abgelassen. Obwohl der angekündigte türkische | |
Einmarsch in Nordsyrien die Kurden deutlich schwächen würde, verurteilte | |
die syrische Regierung die Pläne. | |
Vizeaußenminister Faisal Mekdad sagte der Zeitung al-Watan, sein Land werde | |
keine „Besetzung syrischen Bodens“ akzeptieren. Die Kurden rief er auf, | |
sich mit der Assad-Regierung zu versöhnen. Verhandlungen zwischen Damaskus | |
und der kurdischen Führung über eine politische Lösung waren im vergangenen | |
Jahr ergebnislos zu Ende gegangen. Hauptstreitpunkte: der angestrebte | |
Autonomiestatus der Kurden und die Zukunft der kurdischen Milizen. | |
8 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Vorwuerfe-gegen-Donald-Trump/!5632173 | |
[2] /Geplanter-Einmarsch-in-Syrien/!5628477 | |
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## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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