# taz.de -- Vorwürfe gegen Donald Trump: „Dolchstoß in Rücken der Kurden“ | |
> Der von US-Präsident Donald Trump angeordnete Rückzug des US-Militärs aus | |
> Nordostsyrien stößt auch bei Trump-Unterstützern auf massive Kritik. | |
Bild: Präsident Donald Trump am 7. Oktober im Weißen Haus in Washington | |
NEW YORK taz | Ob er die Kurden schützen wolle? „Das sind natürliche Feinde | |
der Türkei“, antwortete Donald Trump am Montagmittag mit spitzer Stimme im | |
Roosevelt-Raum des Weißen Hauses. Zu dem Zeitpunkt waren Ankaras Soldaten | |
bereit für den durch Trumps abrupten Rückzug der US-Truppen vorbereiteten | |
Einmarsch in den Nordosten Syriens. | |
Ein Sprecher der von der kurdischen Miliz YPG angeführten Syrischen | |
Demokratischen Streitkräfte (SDF), die zuletzt Washingtons Bodentruppe und | |
wichtigster Alliierter im dortigen Kampf gegen den IS war, sprach von einem | |
„Dolchstoß in den Rücken“. Und im US-Kongress kritisierten Demokraten und | |
Republikaner in seltener Einigkeit Trumps Alleingang. | |
Selbst der evangelikale Prediger Pat Robertson, einer der einflussreichsten | |
Ideologen in Trumps Welt, stimmte in den Chor ein. „Der Präsident, der | |
erlaubt hat, dass Khashoggi in Stücke geschnitten wurde, ohne dass das | |
irgendwelche Auswirkungen hatte, erlaubt jetzt, dass Christen und Kurden | |
von den Türken massakriert werden“, sagte er. | |
[1][Am Vortag hatte Trump bei einem Telefonat mit dem türkischen | |
Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan den sofortigen Rückzug der US-Truppen aus | |
dem umkämpften Gebiet erklärt]. Der US-Präsident tat es gegen den erklärten | |
Willen seiner Berater in Washington und ohne Rücksprache mit den | |
internationalen Alliierten, an deren Spitze die USA in den zurückliegenden | |
Jahren den Kampf gegen den IS in Syrien koordiniert haben. | |
## Der US-Rückzug sei „kurzsichtig und verantwortungslos“ | |
„Er hat all unsere Gewinne gegen den IS zunichte gemacht“, klagte am | |
Montagmorgen der republikanische Senator Lindsey Graham auf Trumps | |
Haussender Fox News. Der Senator aus South Carolina ist ein 150-prozentiger | |
Trumpist. Selbst an Trumps Versuchen, die Ukraine und China zu drängen, | |
Dreck über den Demokraten Joe Biden zu suchen, findet Graham nichts | |
auszusetzen. Aber den Rückzug aus Syrien nennt er „kurzsichtig und | |
verantwortungslos“ und fürchtet, dass er eine Wiederauferstehung des IS | |
auslösen könnte. | |
Zusammen mit dem demokratischen Senator Chris Van Hollen droht Graham der | |
Türkei Sanktionen und eine Aussetzung ihrer Nato-Mitgliedschaft für den | |
Fall an, dass türkische Truppen die kurdische YPG angreifen. | |
Auch Senatschef Mitch McConnell, ein anderer bedingungsloser | |
Trump-Ja-Sager, lehnt den Rückzug ab. Er nennt ihn „voreilig“. Es würden | |
nur „Russland, der Iran und das Assad-Regime davon profitieren“, und das | |
Risiko steige, dass „der IS und andere terroristische Gruppen | |
zusammenfinden“. | |
Und Trumps ehemalige UN-Botschafterin Nikki Haley erklärt in einem | |
Interview mit der BBC, die Kurden seien „ausschlaggebend“ im Kampf gegen | |
den IS gewesen, mit ihrem Rückzug überließen die USA diese Alliierten „dem | |
Tod“. | |
Besonders scharf reagieren die langjährigen Syrien-Experten Washingtons. | |
Der ehemalige Syrien-Entsandte für Barack Obama und für Donald Trump, Brett | |
McGurk, bezeichnet den Rückzug als „Ermöglichung einer türkischen | |
Invasion“. Auf Twitter mahnt McGurk vor der „Entwertung des amerikanischen | |
Handshake“ und davor, dass die Konsequenzen der „Unzuverlässigkeit des Oval | |
Office weit über Syrien hinaus wirken“ werden. | |
## Die USA stehen mal wieder als unzuverlässig da | |
Leon Panetta, Ex-CIA-Chef und Ex-Verteidigungsminister, erinnert daran, | |
dass die SDF für die Bewachung von zigtausenden IS-Gefangenen in Syrien | |
zuständig ist. Und warnt in einem Interview mit dem TV-Sender PBS, dass | |
Trump nicht nur die eigene nationale Sicherheit durch das Wiedererstarken | |
des IS gefährde, sondern auch das Signal aussende: „Vertraut den USA | |
nicht.“ | |
Für Kurden in dem Vierländereck von Türkei, Iran, Irak und Syrien ist es | |
allerdings nicht der erste Verrat der USA. Washington ist in den letzten | |
Jahrzehnten sowohl unter demokratischen als auch republikanischen | |
Präsidenten einen vielfach wechselnden Schlingerkurs gefahren und hat dabei | |
mehr immer wieder vorübergehend kurdische Aufständische für seine | |
Interessen genutzt und sie anschließend in tödlichen Gefahren | |
alleingelassen. | |
Jeremy Konyndyk, der unter Obama zuständig für humanitäre Krisen – unter | |
anderem in Syrien – war, nannte den Rückzug am Montag „unglaublich | |
unverantwortlich und destabilisierend“ und warnte sowohl vor politischen | |
Konsequenzen als auch vor „enormen humanitären Auswirkungen“ in Nordsyrien. | |
Dort würden jetzt „Hunderttausende von Vertriebenen und Überlebende des | |
Horrors der IS-Ära den Risiken neuer Gewalt zwischen türkischen und | |
SDF-Kräften ausgesetzt“. | |
Ankara will einen Teil der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge aus der | |
Türkei in die syrische Grenzregion umsiedeln. Konyndyk sieht darin die | |
Gefahr neuer Vertreibungen. | |
Trump hingegen, der durch das bevorstehende Impeachmentverfahren im | |
Repräsentantenhaus politisch angeschlagen ist, beharrte darauf, dass er in | |
Syrien das Richtige tut. Der Rückzug aus Syrien war ein | |
Wahlkampfkampfversprechen an seine Basis. | |
Inzwischen behauptet der US-Präsident im Widerspruch zur Einschätzung | |
seiner Diplomaten und militärischen Berater, dass der IS erfolgreich | |
„zerschlagen“ sei. Sollte der wiederauferstehen, wähnt Trump die USA in | |
sicherer Entfernung und fügt hinzu: „Sollten sie uns irgendwie nahe kommen, | |
werden wir den IS wieder zerschlagen.“ Bis es so weit kommt, will er den | |
Kampf gegen den IS anderen überlassen. | |
## Trump flüchtet sich in wüste Drohungen gegen Ankara | |
Noch vor einem Jahr klang der US-Präsident anders. Da pries er bei einer | |
Pressekonferenz in der UNO die Allianz mit den Kurden: „Wir haben | |
zigtausende Kurden verloren, die gegen den IS gekämpft haben. Sie sind für | |
uns und mit uns gestorben.“ | |
Heute erklärt Trump: „Ich stehe in Syrien auf niemandes Seite.“ Und er will | |
keine Verpflichtungen erkennen. „Die Kurden“, sagt er, „haben mit uns | |
gekämpft. Aber wir haben ihnen massive Mengen an Geld und Material | |
gegeben.“ | |
Am späten Montagvormittag allerdings, als ein Sturm der Entrüstung durch | |
Washington tobt und selbst das Verteidigungsministerium Ankara vor | |
militärischen Operationen in Syrien warnt, rückt Trump dann doch ein wenig | |
von Erdoğan ab – auf seine Weise: „Sollte die Türkei etwas tun, das ich in | |
meiner großen und unvergleichlichen Weisheit (sic! d. Red.) als tabu | |
betrachte“, twitterte der US-Präsident, „werde ich die Ökonomie der Türk… | |
total zerstören und auslöschen.“ | |
8 Oct 2019 | |
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[1] /Geplanter-Einmarsch-in-Syrien/!5628477 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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