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# taz.de -- Türkischer Einmarsch in Syrien: Kurden fehlen strategische Freunde
> Mit dem Einmarsch ändert sich das Kräfteverhältnis in Syrien. Vermutlich
> wird nun das kurdische Autonomiegebiet vereinnahmt.
Bild: Ein Mann feiert die Übernahme einer syrischen Provinz durch das türkisc…
Es war die Nacht, in der sich in Syrien alle bisherigen politischen und
militärischen Parameter verändert haben. Die Auswirkungen gehen weit über
Syrien hinaus. Ausgelöst wurde das Ganze vom [1][Rückzug der US-Truppen im
Nordosten] des Landes, zunächst aus dem unmittelbaren Grenzgebiet, später
kam die Order, ganz abzuziehen. Eine Kettenreaktion war die Folge: Während
die türkischen Truppen vorrückten, riefen die Kurden die Regimetruppen
Assads zur Hilfe, diese aufzuhalten. Zwischen den Fronten wird nun
wahrscheinlich die kurdische Autonomie zermahlen.
Ob es dann noch eine massive militärische Konfrontation zwischen den
Assad-Verbänden und der türkischen Armee geben wird, ist eher fraglich.
Zwar spricht die staatliche Assad-Propaganda davon, syrischen Boden gegen
die Türkei verteidigen zu wollen. Das dürfte aber eher eine
Argumentationsvorlage für die Kurden sein, damit diese die Assad-Truppen
wieder in ihre Gebiete hineinlassen, als Bollwerk gegen die Türkei.
Fakt ist: Assads Truppen allein sind viel zu schwach, um gegen die
türkische Armee anzutreten. Sie hängen komplett von russischer
Luftunterstützung ab und am Boden von schiitischen Miliztruppen, die vom
Iran kontrolliert werden. Ohne den Iran und Russland ist Assad eine
Nullgröße. Und das wahrscheinlichste Szenario ist, dass sowohl Russland als
auch der Iran die Konfrontation vermeiden und mit der Türkei einen Deal
eingehen. Im Moment wird es ihnen allen darum gehen, ihre Positionen in
Syrien auszubauen und dieses kurdische Geschenk anzunehmen, ohne sich
gegenseitig allzu sehr auf die Füße zu treten.
Wie es mit den [2][Kurden in Syrien] weitergeht, ist wenig absehbar. Das
ist für die Kurden ein aus purer Verzweiflung geborener Deal und der ist
zunächst nur militärischer Natur. Es existiert bisher kein Deal über die
weitere politische kurdische Existenz in Syrien.
Einmal mehr wurde deutlich, dass die Kurden keine wirklichen strategischen
Freunde haben, sondern immer nur als temporäre taktische Bündnispartner
herhalten müssen. Deswegen wurden sie immer wieder in ihrer Geschichte
ausgenutzt und am Ende fallen gelassen. Wenn Staaten die Wahl haben
zwischen ihrem strategischen Verhältnis zu einer der Regionalmächte wie der
Türkei oder dem Iran auf der einen und den Kurden als nichtstaatlichen
Akteur auf der anderen Seite, werden sie im Zweifel immer auf die
Regionalmacht setzen.
## Mehr als nur die Kurdenfrage
Doch die neuesten Entwicklungen streifen weit mehr als nur die Kurdenfrage.
Das Vakuum, das mit dem Rückzug der US-Truppen entsteht, wird sofort von
anderen gefüllt, in diesem Fall von der Türkei, dem Assad-Regime, Russland
und dem Iran. Es wird immer deutlicher: Die Zeit der Supermacht USA in der
Nahostregion läuft ab. Es sind vor allem die großen Regionalstaaten, deren
Rolle jetzt immer wichtiger wird, sei es die Türkei, der Iran oder
Saudi-Arabien.
Sie lassen sich im Falle der Türkei von ihren Bündnispartnern im Westen
nicht reinreden, wenn sie ihre nationale Sicherheit in Gefahr sehen oder
die Möglichkeit haben, ihre Einflusszonen auszuweiten. Nicht mehr gibt
Washington den Ton an, sondern Ankara, Teheran und Riad.
Das ist die wichtigere Entwicklung, wenngleich manche Kommentatoren
Russland als den großen Gewinner sehen, so, als lebten wir noch in der
bipolaren Welt des Kalten Kriegs. Die letzten Jahre in der Nahostregion
waren zuallererst vom Aufstieg der Regionalmächte auf Kosten der
Supermächte geprägt. Russland versucht mit diesen Regionalmächten
unterschiedlich zu paktieren und seine eigene Agenda durchzusetzen. So ist
Putin jetzt als Staatsgast nicht zufällig gerade in Saudi-Arabien, pflegt
seine Kampfpartnerschaft mit den Iranern in Syrien und hält sich
gleichzeitig die Brücken zur Türkei offen. Er schmiedet Zweckbündnisse in
einem multipolaren Nahen Osten, er macht das, was ihm nützlich erscheint.
Die Regionalstaaten haben auch ihre Furcht vor US-Interventionen verloren.
Sie wissen ganz genau, dass sie unter dem [3][US-Präsidenten Donald Trump]
keine ernsthaften amerikanischen militärischen Initiativen zu befürchten
haben, sondern nur schlimmstenfalls Sanktionen. Das gibt ihnen Freiraum, zu
schalten und zu walten, wie sie wollen. Das wurde in den letzten Monaten
immer wieder mit dem Iran deutlich und jetzt mit der Türkei.
Und es gibt eine weitere Lektion, die über die Nahostregion hinausgeht: Auf
die USA als Bündnispartner ist in Zeiten Trumps kein Verlass. Der ehemalige
präsidiale US-Sondergesandte der Anti-IS-Koalition, Brett McGurk, der in
dieser Funktion eng mit den Kurden zusammengearbeitet hatte und der letzten
Dezember zurückgetreten ist, hat das sehr eingängig zusammengefasst. Die
Lektion sei, sagte er: „Wenn du in einen Brunnen steigst, dann nimm bloß
kein amerikanisches Seil.“
14 Oct 2019
## LINKS
[1] /Folgen-von-US-Abzug/!5628604
[2] /Kurden-in-Syrien/!5632887
[3] /Donald-Trump/!t5204455/
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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