# taz.de -- Folgen der Zinswende: Europa droht ein heißer Herbst | |
> Die EU hat die Inflation zu lange schleifen lassen, vor allem bei den | |
> Energiepreisen. Das rächt sich nun. | |
Bild: Die Lebensmittelpreise steigen deutlich, auch auf diesem Markt in Frankre… | |
BRÜSSEL taz | Nicht 2, nicht 3, sondern 6,1 Prozent – so hoch lag die | |
Inflationsrate in der EU im ersten Quartal 2022. In einigen Ländern wie | |
Estland ist sie sogar auf fast 20 Prozent hochgeschnellt – weit entfernt | |
vom 2-Prozent-Ziel, das sich die Europäische Zentralbank gesetzt hat. | |
Schnelle Besserung ist nicht in Sicht, trotz der nun angekündigten | |
Zinswende. Denn die [1][Inflation] wird vor allem von den Energiepreisen | |
angetrieben. Und die EU tut sich schwer, etwas gegen die Preisexplosion bei | |
Gas, Öl und Strom zu tun. Sie heizt sie sogar selbst an. | |
So stieg der Ölpreis nach der Ankündigung des EU-Gipfels, ein Ölembargo | |
gegen Russland einzuführen. Die Märkte hätten den Importstopp zwar | |
teilweise eingepreist, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, fügte | |
dann aber hinzu: „Natürlich können die Preise auch deutlich nach oben | |
gehen.“ | |
Seit Jahresbeginn sind die Ölpreise schon um mehr als die Hälfte nach oben | |
geschnellt. Ähnlich kritisch ist die Lage beim Gas. Auf dem Gasmarkt hat | |
die Preisexplosion sogar schon vor dem Krieg in der Ukraine und der | |
Sanktionspolitik begonnen. Doch die EU fand kein Gegenmittel. | |
## Angst vor der „Greenflation“ | |
Schon vor dem Ukrainekrieg, im Oktober 2021, befassten sich die Staats- und | |
Regierungschefs auf einem Gipfeltreffen in Brüssel mit der | |
Energiepreiskrise. Spanien und Frankreich verlangten einen Preisdeckel, | |
auch die Forderung nach einer Reform des europäischen Energie- und | |
Strommarkts wurde laut. | |
Der Strompreis richtet sich nämlich nach der Preisentwicklung beim | |
teuersten Energieträger, derzeit Gas. Deshalb ist der Strom selbst in jenen | |
Ländern teuer, die ihn relativ billig selbst produzieren. Doch die EU | |
konnte sich bis heute nicht auf durchgreifende Reformen einigen. | |
Zu mehr als einer Ausnahmegenehmigung für Spanien und Portugal hat es nicht | |
gereicht. Bis Ende Mai 2023 dürfen beide Länder zusammen Zuschüsse im Wert | |
von knapp 8,5 Milliarden Euro an Stromerzeuger auszahlen und so die | |
Energiepreise deckeln, entschied die EU-Kommission. | |
Für zusätzlichen Preisdruck sorgt die Klimapolitik. Mit dem „European Green | |
Deal“ und Maßnahmen wie dem Emissionshandel will die EU dafür sorgen, dass | |
Gas und Öl teurer, grüne Energien hingegen billiger werden. Das ist gut | |
fürs Klima, hilft jedoch nicht gegen die Inflation. | |
In Fachkreisen geht schon die Angst von der „Greenflation“, der „grünen | |
Inflation“, um. Die EU hat dafür zwar noch keine Beweise gefunden. Experten | |
weisen jedoch darauf hin, dass Öl- und Gasfirmen in den USA ihre | |
Investitionen zurückfahren, denn sie finden keine Geldgeber mehr. Dadurch | |
sinkt das Angebot, der Preis steigt. | |
## Gegenmaßnahmen bergen neue Risiken | |
Der EZB sind die Hände gebunden. Auf die Entwicklung am Energiemarkt hat | |
sie keinen Einfluss, außerdem unterstützt EZB-Chefin Christine Lagarde den | |
„Green Deal“. Wenn sie nun gegensteuert, so geht sie ein neues Risiko ein: | |
Für einige EU-Länder könnte die Schuldenlast zu groß werden. | |
Mit steigenden Zinsen wächst nämlich auch der Schuldendienst, den | |
hochverschuldete Staaten wie Italien oder Griechenland leisten müssen. Eine | |
neue Eurokrise droht zwar noch nicht, doch die „Spreads“, also die | |
Zinsdifferenzen in der Eurozone, steigen wieder. | |
Die EU hat zu lange gezögert und die Inflation laufen lassen. Nun klingeln | |
alle Alarmglocken. Zentrale Politikziele wie die Preisstabilität, der | |
Klimaschutz und die (Anti-)Russland-Politik lassen sich kaum noch | |
miteinander vereinbaren. Europa droht ein heißer Herbst. | |
10 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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