# taz.de -- Förderung von Weiterbildung: Heil kündigt bezahlte Bildungszeit an | |
> Bis zu zwölf Monate sollen sich Beschäftigte bezahlt weiterbilden können. | |
> Das soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Kritik kommt vom | |
> Mittelstand. | |
Bild: Arbeitsminister Heil will einen „neuen Werkzeugkasten für Weiterbildun… | |
BERLIN dpa | Mit einer neuen Bildungszeit und anderen Angeboten will | |
Arbeitsminister [1][Hubertus Heil (SPD)] Beschäftigte in Deutschland fit | |
für den Wandel in den Unternehmen machen. „Wir werden nach österreichischem | |
Vorbild eine [2][Bildungszeit in Deutschland] ermöglichen“, sagte Heil der | |
Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Für Bildungszeit, eine | |
Ausbildungsgarantie und weitere Schritte solle in den nächsten Wochen ein | |
Weiterbildungsgesetz im Bundeskabinett beschlossen werden. Der Deutsche | |
Gewerkschaftsbund forderte stärkere Hilfen für Geringverdienende als | |
geplant. | |
In Österreich können Beschäftigte für maximal ein Jahr eine berufliche | |
Auszeit für eine Aus- oder Weiterbildung nehmen – oder eine | |
Bildungsteilzeit für bis zu zwei Jahre. Wer so eine „Bildungskarenz“ nimmt, | |
kann ein Weiterbildungsgeld bekommen. | |
Auch in Deutschland sollen sich Beschäftigte laut Heil künftig ein Jahr | |
bezahlt weiterbilden können. Voraussetzung solle eine Verständigung von | |
Arbeitgeber und –nehmer sein. „Das lässt sich auch als Bildungsteilzeit in | |
zwei Jahren organisieren“, so Heil. Die Bundesagentur für Arbeit solle | |
Unterhalt zahlen wie Arbeitslosengeld (Alleinstehende: 60 Prozent, mit | |
Kind: 67 Prozent des Einkommens). DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel | |
kritisierte die Dauer der Bildungszeit und –teilzeit als „leider zu kurz“. | |
Umstiege und Neuorientierungen würden so nicht wirklich möglich. | |
## Fahrten von Azubis werden übernommen | |
Teil des neuen Gesetzes soll eine Ausbildungsgarantie sein. Heil sagte, | |
jeder junge Mensch solle die Chance auf eine Ausbildung haben. „Dafür | |
fördern wir etwa die Mobilität und Berufsorientierung von jungen Menschen.“ | |
Heute fänden Unternehmen in Regionen mit Vollbeschäftigung oft kaum Azubis. | |
„In strukturschwachen Regionen schreiben sich junge Menschen, die einen | |
Ausbildungsplatz suchen, die Finger wund.“ Helfen soll | |
Mobilitätsunterstützung für Praktika. | |
„Wenn jemand beispielsweise im nördlichen Ruhrgebiet keine | |
Ausbildungsstelle findet, es aber in Köln die Möglichkeit gibt, ein | |
Praktikum zur Berufsorientierung zu absolvieren, dann unterstützen wir das | |
durch Übernahme von Unterkunfts- und Mobilitätskosten“, kündigte Heil an. | |
Bei Azubis würden Kosten für Familienheimfahrten übernommen. | |
## 771 Millionen Euro für neues Gesetz | |
Das Weiterbildungsgesetz soll bei der Bundesagentur für Arbeit bis 2026 mit | |
771 Millionen Euro zu Buche schlagen. 190 Millionen Euro sollen vom Bund | |
dazukommen. Beiträge und Steuern seien dagegen durch mehr Beschäftigung zu | |
erwarten. Gewerkschafterin Piel zeigte sich insgesamt eher skeptisch. „Heil | |
setzt mit seinem Gesetzentwurf wichtige Akzente“, sagte sie zwar. „Ob das | |
tatsächlich für den Schub bei der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung | |
reicht, ist noch ungewiss.“ Für die Förderung Geringverdienender forderte | |
Piel einen Mindestbetrag – Aus- und Weiterbildung dürften nicht an zu wenig | |
Geld scheitern. | |
Heil betonte: „Deutschland braucht nicht nur Master, sondern auch Meister.“ | |
Viele junge Menschen wüssten gar nicht, welche „tollen Berufe“ es gebe. Der | |
Arbeitsminister setzt sich deshalb für Änderungen schon in der Schule ein. | |
„Ich wünsche mir, dass wir an allen Schulen in Deutschland möglichst ab der | |
fünften Klasse verpflichtend Berufsorientierung haben.“ | |
Unterm Strich soll laut Heil ein „ganz neuer Werkzeugkasten“ für | |
Weiterbildung stehen. Fördermöglichkeiten würden vereinfacht. „Man sichert | |
die Fachkräftebasis, weil in vielen Branchen neue Qualifikationen gefragt | |
sein werden“, sagte Heil. Deutschland müsse „Weiterbildungsrepublik“ | |
werden. Wenn Unternehmen im Wandel große Teile der Belegschaft | |
weiterqualifizieren müssen, solle ein Qualifizierungsgeld helfen. | |
## Alle Potenziale ausschöpfen | |
Oft würden händeringend Arbeits- und Fachkräfte gesucht. „Ob im Handwerk, | |
in der Pflege, am Bau – das ist faktisch in jeder Branche ein großes | |
Thema“, sagte Heil. Fachkräftemangel dürfe nicht zur Wachstumsbremse | |
werden. Ab 2025 gingen die Babyboomer Stück für Stück in den Ruhestand. | |
Gleichzeitig verließen heute rund 45.000 Schülerinnen und Schüler Jahr für | |
Jahr die Schule ohne Abschluss. | |
Künftig müssten alle Potenziale im Inland ausgeschöpft werden. „Hier müss… | |
wir alle Register ziehen“, sagte Heil. Dazu gehöre auch, die | |
Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern sowie Menschen mit Handicap und | |
Ältere noch stärker am Erwerbsleben zu beteiligen. | |
## Einwanderungsgesetz im März | |
„Deutschland braucht zusätzlich qualifizierte Zuwanderung“, sagte der | |
Minister. Heil warb für das geplante neue Einwanderungsgesetz. Im Kabinett | |
solle es Anfang März grünes Licht für den Entwurf geben. Eckpunkte hatte | |
die Koalition im November vorgelegt. Das Ziel: Anders als heute sollen | |
verstärkt Nicht-EU-Bürgerinnen und –Bürger ohne anerkannten Abschluss ins | |
Land kommen dürfen. | |
„Die Möglichkeiten für qualifizierte Einwanderung werden | |
entbürokratisiert“, erläuterte Heil. Vor allem sollten Visa zur | |
Arbeitsaufnahme schneller erteilt werden. „Zudem bekommen Menschen, die | |
eine Ausbildung in ihrem Heimatland erworben haben, die Möglichkeit, in | |
Deutschland zu arbeiten.“ Hier geht es zentral um weit schnellere | |
Berufsanerkennungen. | |
Eine weitere, neue Säule: eine Chancenkarte. Mit ihr sollen Menschen nach | |
einem Punktesystem nach Deutschland kommen. „Dazu schlagen wir die | |
Kriterien Qualifizierung, Berufserfahrung, Alter, Sprachkenntnisse oder | |
auch Deutschlandbezug vor“, sagte Heil. „Wenn man entsprechende Punkte aus | |
dem Kriterienkatalog erfüllt, steht einem der deutsche Arbeitsmarkt offen.“ | |
## Mittelständler sehen Plan für bezahlte Bildungszeit kritisch | |
Heil kündigte über das reine Gesetz hinaus eine „Anwerbestrategie von Staat | |
und Wirtschaft“ an. Fachkräfteeinwanderung dürfe nicht nur hingenommen | |
werden. „Wir müssen sie wollen, organisieren und gezielt in anderen Ländern | |
dafür werben.“ An die Adresse der Union gerichtet sagte Heil: „Ich erwarte | |
von CDU und CSU, dass sie sich zu qualifizierter Einwanderung bekennen.“ | |
Ein breiter Konsens der Demokraten sei wünschenswert. | |
Der Plan der Bundesregierung für bezahlte Weiterbildungszeiten für | |
Beschäftigte stößt im Mittelstand auf Skepsis. Die mittelständischen | |
Unternehmen profitierten zwar angesichts des akuten Fachkräftemangels von | |
der Weiterbildung, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands | |
mitteständischen Wirtschaft, Markus Jerger, den Zeitungen der | |
Funke-Mediengruppe. „Ein Gesetz, das eine Weiterbildungs-Auszeit bis zu | |
einem Jahr ermöglicht, geht aber völlig an der betrieblichen Realität | |
vorbei. Solange nicht die Finanzierung, der Ersatz für den ausfallenden | |
Mitarbeiter und die Frage der Rückkehr an den Arbeitsplatz geklärt sind, | |
ist ein solches Gesetz mit dem Mittelstand nicht zu machen.“ | |
17 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Gesetz/!5899920 | |
[2] /Nationale-Weiterbildungsstrategie/!5781845 | |
## TAGS | |
Bildungssystem | |
Hubertus Heil | |
Bildungsministerium | |
Arbeitnehmer | |
Arbeitnehmerrechte | |
Hubertus Heil | |
Weiterbildung | |
Hubertus Heil | |
Bildungssystem | |
Rentenpolitik | |
Zuwanderung | |
Arbeitslosigkeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Weiterbildung und Arbeitsrealität: Ungenutzte Bildungszeit | |
Die von Hubertus Heil vorgeschlagene Bildungszeit ist ein schöner Ansatz. | |
Nur häufig steht die Unternehmenskultur der Weiterbildung im Weg. | |
Bildungszeit für Weiterbildung: Es braucht mehr als Youtube | |
Bei der Weiterbildung setzt Deutschland bisher nur auf Quantität. Um etwas | |
zu bewirken, müssen die Angebote intensiver und besser zugänglich sein. | |
Heils bezahlte Bildungszeit: Utopie Bildungszeit | |
Ein Jahr bezahlter Urlaub für berufliche Weiterbildung? Zu schön, um wahr | |
zu sein. Schon lässt der Finanzminister den Traum platzen. | |
Deutsches Schulbarometer: Schulen fehlen Lehrer*innen | |
Besonders Schulen in sozialen Brennpunkten finden nicht genug Fachkräfte. | |
Bildungsverbände kritisieren, die Landespolitik habe das Problem | |
verschlafen. | |
Sozialwissenschaftler über Rente mit 70: „Kein Sachzwang, das Rentenalter an… | |
Die Diskussion um das Renteneintrittsalter blende manches aus, sagt Florian | |
Blank von der Hans-Böckler-Stiftung. Er fordert, mehr über die Gestaltung | |
von Arbeit zu sprechen. | |
Politik und Fachkräftemangel: Deutschland sucht Personal | |
Die Bundesregierung will mit einer „Fachkräftestrategie“ gegen den | |
Arbeitskräftemangel vorgehen. Mehr Frauen und Zuwanderer sollen in den | |
Jobmarkt. | |
Nationale Weiterbildungsstrategie: Update für Beschäftigte | |
Geringqualifizierte Menschen nehmen seltener an Weiterbildungen teil. Eine | |
Nationale Bildungsplattform soll das nun ändern. |