| # taz.de -- Weiterbildung und Arbeitsrealität: Ungenutzte Bildungszeit | |
| > Die von Hubertus Heil vorgeschlagene Bildungszeit ist ein schöner Ansatz. | |
| > Nur häufig steht die Unternehmenskultur der Weiterbildung im Weg. | |
| Bild: Wenn Weiterbildungsangebote angenommen werden sollen, muss Entfaltungsspi… | |
| Die von Arbeitsminister Hubertus Heil geplante [1][Bildungszeit] wäre – | |
| wenn das [2][Finanzministerium] nicht zuvorgekommen wäre – spätestens in | |
| den meisten Unternehmen selbst gescheitert. Konkret an den dort | |
| vorherrschenden Unternehmenskulturen. Denn Weiterbildung ist viel zu oft | |
| keine Sprosse der Karriereleiter, sondern sie verkommt zur Posse im | |
| Angesicht der firmenintern bestimmenden Strukturen. Ein Realitäts-Check | |
| zeigt, warum das so ist. | |
| Per Gesetz – und das ist weitgehend viel zu wenig bekannt – haben 27 | |
| Millionen Arbeitnehmende in Deutschland Anspruch auf Bildungsurlaub. | |
| Dahinter verbergen sich fünf bis zehn Tage bezahlte Freistellung für als | |
| Bildungsurlaub anerkannte Weiterbildungen – von Führungskräftetraining über | |
| Sprachkurse bis [3][Burn-out-Prävention]. Kurz: zertifizierte Auszeiten, | |
| die Arbeitnehmende ganz individuell fachlich, persönlich und gesundheitlich | |
| fördern. | |
| Trotzdem nehmen nur rund 2 Prozent der Anspruchsberechtigten ihr Recht auf | |
| Bildungsurlaub aktuell in Anspruch – und das, obwohl es das Gesetz zum | |
| Beispiel in Hamburg bereits seit 1974 gibt. Warum ist das so? Als | |
| Mitgründerin des mittlerweile größten [4][Aufklärungs- und Buchungsportals | |
| für gesetzlichen Bildungsurlaub] in Deutschland bin ich täglich mit | |
| weiterbildungsinteressierten Arbeitnehmer:innen im Austausch, die sich | |
| nicht trauen, ihr Recht auf „Bildungsurlaub“ in Anspruch zu nehmen. | |
| Ein entscheidender Grund dafür ist der oftmals große Unterschied zwischen | |
| extern groß gelobter und intern klein gelebter Unternehmenskultur. Zwar | |
| wird in der Arbeitswelt oft das Märchen vom lebenslangen Lernen erzählt, | |
| doch das fristet eher einen Dornröschenschlaf – während die Prinzessin oder | |
| der Prinz zum Wachküssen sich ganz schön vergaloppiert hat. | |
| ## Angst vor den Chef:innen | |
| In der Held:innengeschichte von Unternehmen heißt es nämlich leicht: | |
| „Wir sind offen gegenüber Weiterbildung!“ Die externe Unternehmenskultur | |
| steht damit gut da. Allerdings zeigt sich hinter geschlossenen Bürotüren | |
| oft ein ganz anderes Bild. Die Forderung nach Förderung kommt dort oft gar | |
| nicht gut an, und die auf diese Weisen geprägte interne Unternehmenskultur | |
| reguliert somit den Weiterbildungsmarkt. | |
| Es gibt also firmenkulturelle Hindernisse, die es erschweren, für das | |
| eigene Recht auf Weiterbildung einzustehen. Fehlendes Vertrauen und | |
| mangelhafte Kommunikation sind hier zentral zu nennen. Um Weiterbildungen | |
| wahrzunehmen, braucht es die Zustimmung des Unternehmens. Wir beobachten | |
| allerdings sehr stark, dass viele Beschäftigte sich schon gar nicht erst | |
| trauen, den Dialog mit ihren Chef:innen aufzunehmen, um über ihre | |
| individuellen (Weiterbildungs)Bedürfnisse zu sprechen. | |
| Wer aber nichts anspricht, dem kann man auch nichts absprechen. Was beim | |
| Ansprechen hemmt, ist, dass zu viele Arbeitgebende in Weiterbildungen immer | |
| noch viel zu oft Fehlzeit statt Förderung sehen. Damit begünstigen sie eine | |
| Fehlinterpretation von Leistung als Präsenz statt Produktivität. Ein | |
| weiterer Grund, der Mitarbeitende zögern lässt, eine Fortbildung in | |
| Erwägung zu ziehen, ist die generelle Überlastung. | |
| Zu viele Arbeitnehmende sind oft am Limit und möchten in dieser | |
| Ausnahmesituation ihr Team nicht allein lassen beziehungsweise diesem noch | |
| mehr Arbeit zumuten. Das ist verständlich. Leider ist der Ausnahmefall zu | |
| oft die Regel. Wer als Unternehmen wirklich will, dass | |
| Weiterbildungsangebote angenommen werden, muss ein Arbeitsumfeld schaffen, | |
| das Entfaltungsspielraum bietet. | |
| ## Sozialer Druck und Neid | |
| Nicht selten wirkt auch der Mangel an Gönnungskultur als Hindernis auf dem | |
| Weg zur Weiterbildung. Leider ist es so, dass viele Kolleg:innen | |
| einander Weiterbildungen nicht gönnen oder sich schnell benachteiligt oder | |
| abgehängt fühlen. Dieser soziale Druck erhöht die Hürde, nach Weiterbildung | |
| zu fragen – und ist eine „Red Flag“ im Hinblick auf eine gesunde | |
| Arbeitskultur in einem Unternehmen. | |
| Statt Misstrauen brauchen wir ein Team-Miteinander, eine „Gönnungskultur“ … | |
| in der jede:r Einzelne weiß, dass sie oder er nicht zu kurz kommen wird. | |
| Wichtigster Schlüssel dafür auch hier wieder: transparente Kommunikation | |
| von oben. Die Message der Unternehmen sollte dabei sein: „Wir wollen deine | |
| Weiterentwicklung. Und die der anderen.“ | |
| Nun reicht es nicht, Weiterbildung am Reißbrett zu planen. Oftmals sind | |
| Intention und Illusion nämlich leider dasselbe. Unternehmen müssen | |
| verinnerlichen, dass lebenslanges Lernen Vorteile für die betriebsinterne | |
| Kultur, die [5][Personalgewinnung und -bindung] und den zukünftigen Erfolg | |
| hat. Denn ohne einen Kulturwandel in vielen Unternehmen wird Weiterbildung | |
| leider oftmals weiter eine theoretische Option bleiben. | |
| ## Wir müssen aktiv „Zeit machen für Bildung“ | |
| Um die Weiterbildungsfreundlichkeit der Unternehmen zu steigern, braucht es | |
| eine Kommunikationspflicht über das „Recht auf Weiterbildung“. Denn nur | |
| wenn Unternehmen betriebsintern offen über Weiterbildung kommunizieren – | |
| zum Beispiel in Feedbackgesprächen, Intranet oder sogar schon in | |
| Stellenanzeigen –, wird eine weiterbildungsfreundliche Unternehmenskultur | |
| geschaffen. | |
| Zum anderen sollten sich Unternehmen auf messbare Weiterbildungs-KPIs | |
| öffentlich festlegen. Der Key Performance Indicator bezeichnet in der | |
| Betriebswirtschaftslehre Kennzahlen, anhand derer die Leistung von | |
| Aktivitäten in Unternehmen ermittelt wird. Weiterbildungs-KPIs festzulegen | |
| bedeutet nun, Weiterbildungsziele konkret zu definieren und daran Erfolg | |
| und Misserfolg tatsächlich messbar zu machen. | |
| Nur so bekommt das Thema die notwendige Relevanz. Denn es ist nicht einfach | |
| nur „Zeit für Bildung“, sondern wir müssen aktiv „Zeit machen für Bild… | |
| in den Unternehmenskulturen – erst dann kann eine neue Bildungszeit | |
| anbrechen. Sonst bleibt es Einbildung. Ein Märchen ohne Happy End. | |
| 14 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Foerderung-von-Weiterbildung/!5909681 | |
| [2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bildungszeit-finanzministerium-s… | |
| [3] /Essay-ueber-Burn-out-Erkrankung/!5682414 | |
| [4] https://www.bildungsurlauber.de/ | |
| [5] /Deutschland-fuer-Fachkraefte-unattraktiv/!5918453 | |
| ## AUTOREN | |
| Lara Körber | |
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