# taz.de -- Heils bezahlte Bildungszeit: Utopie Bildungszeit | |
> Ein Jahr bezahlter Urlaub für berufliche Weiterbildung? Zu schön, um wahr | |
> zu sein. Schon lässt der Finanzminister den Traum platzen. | |
Bild: Gibt uns Hubertus Heil ein Jahr Bildungsurlaub? Leider ist die Fantasie �… | |
Da soll doch keiner sagen, dass von der Regierungspartei SPD keine | |
gesellschaftlichen Impulse mehr ausgingen. Gut, ich meine jetzt nicht Olaf | |
„Ich muss erst ganz doll und lang überlegen, ob ich der Ukraine rechtzeitig | |
vor der Frühjahrsoffensive der Russen [1][Panzer liefern] soll – oder doch | |
erst so spät, dass sie nicht ihr ganzes Territorium zurückerobern können, | |
was Putin als freundliches diplomatisches Angebot sicher zu schätzen weiß“ | |
Scholz. | |
Sorry, das musste kurz raus. Aber ich wollte ja über positive | |
sozialdemokratische Impulse schreiben. Eine Woche Heilfasten auf Rügen, ein | |
zweiwöchiger Kurs in Entspannungstechniken zur Burnoutprävention oder | |
Englisch für den Berufsalltag? Dafür gibt es bezahlten Extraurlaub. Auch | |
jetzt schon, es gibt sogar einen Anspruch auf [2][fünf Tage Bildungsurlaub] | |
im Jahr – nur wird der bisher von gerade mal 2 Prozent der | |
Arbeitnehmer:innen genommen. | |
Viele wissen gar nichts von dem Angebot, viele Arbeitgeber stehen kräftig | |
auf der Bremse, und zwei Bundesländer, nämlich Sachsen und Bayern, machen | |
gar nicht mit. Jetzt will Arbeitsminister [3][Hubertus Heil] den | |
Bildungsurlaub gesetzlich verankern und ausweiten: Ein Jahr lang bezahlte | |
Weiterbildung für alle Arbeitnehmer:innen, in Teilzeit sollen sogar | |
bis zu zwei Jahre möglich sein, nach österreichischem Vorbild. | |
Klingt toll, oder? Ich habe schon Fantasien davon, wie wir zwei | |
inspirierende Bildungsteilzeitjahre in Italien verbringen: Ich schreibe und | |
verbessere mein Italienisch, der Mann gibt Kreativkurse und erwirbt eine | |
Zusatzqualifikation in einer regionalen, fast vergessenen Drucktechnik … | |
## Selbständige müssen zugucken | |
Leider aber ist die Fantasie „ein Ort, wo es hineinregnet“, wie der | |
Schriftsteller Italo Calvino mal so hübsch gesagt hat. Habe ich letztes | |
Jahr im Bildungsurlaub in Bologna gelernt. Selbstverständlich waren die | |
paar Tage Intensivkurs viel zu kurz, um wirkliche Sprachfortschritte zu | |
machen. Und auch das im Weiterbildungsgesetz entworfene | |
Bildungszeitparadies hat Regenlöcher: | |
Zwei Jahre reichen für eine komplette berufliche Umorientierung nicht aus, | |
das letzte Jahr muss man sich dann irgendwie zusammenstückeln, vom Amt oder | |
aus eigenen Ressourcen, wer es sich leisten kann. Und wer kann das schon? | |
In meinem Fall ist der Mann leider auch selbstständig, also einer von rund | |
[4][8 Prozent aller Erwerbstätigen] in Deutschland, die von der SPD | |
beharrlich ignoriert werden, so auch bei diesem neuen Gesetz. | |
Aber immerhin tut sich überhaupt was in der | |
Acht-Stunden-Arbeiten-bis-zur-Rente-Mühle. Man hat ja zu Jahresanfang viel | |
gelesen über den Trend zum „Quiet Quitting“, also eine Art innere | |
Emigration im Job, Modell [5][Christine Lambrecht] quasi. Und über die | |
vielen Menschen, die trotz Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit ihre | |
Arbeit gekündigt haben, aus Überforderung und weil sie mehr von ihrem Leben | |
haben wollen als Meetings und Abgabefristen, Modell Jacinda Ardern. | |
Kürzer und flexibler arbeiten, öfter mal den Job wechseln, das soll künftig | |
kein Privileg mehr sein für finanziell abgesicherte Akademiker:innen, | |
sondern es soll für alle gelten, die irgendwo fest angestellt sind. Hm, in | |
meine Fantasie regnet es schon wieder rein: Gilt das dann auch für | |
Lehrer:innen, die in Berlin ja meist nicht verbeamtet sind? Ich stelle mir | |
vor, wie die Kunstlehrerin meiner Kinder drei Monate weg ist – | |
Aquarellieren in der Toskana. | |
Oder der Mathelehrer und Klassenleiter sich für ein Jahr verabschiedet, um | |
sich in aller Gründlichkeit der theoretischen Informatik zu widmen. Oder | |
der gesamte Deutschunterricht in der Grundschule nur noch auf Schmalspur | |
stattfindet, weil von zwölf Lehrkräften drei krank sind, zwei in Elternzeit | |
und drei in Bildungszeit? | |
Aber es ist müßig, sich mit Löchlein in der Heil’schen | |
Weiterbildungsfantasie zu beschäftigen, wenn der Finanzminister gleich das | |
ganze Dach abreißt. Wie am Freitag bekannt wurde, will [6][Christian | |
Lindner] das Weiterbildungsgesetz „aus haushaltspolitischen Gründen“ | |
stoppen. Na gut, bleibe ich halt im Homeoffice. Wenigstens regnet es hier | |
nicht rein. | |
23 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Waffenlieferungen-an-die-Ukraine/!5908520 | |
[2] https://www.dgb.de/urlaub/++co++fe6281e0-b9eb-11e5-a576-52540023ef1a | |
[3] /Foerderung-von-Weiterbildung/!5909681 | |
[4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Ta… | |
[5] /Ruecktritt-von-Christine-Lambrecht/!5906264 | |
[6] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/finanzministerium-stoppt-offenbar-vo… | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
## TAGS | |
Hubertus Heil | |
Bildung | |
Kolumne Der rote Faden | |
Fachkräftemangel | |
Weiterbildung | |
Hubertus Heil | |
Weiterbildung | |
Bildungssystem | |
Baden-Württemberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Weiterbildung und Arbeitsrealität: Ungenutzte Bildungszeit | |
Die von Hubertus Heil vorgeschlagene Bildungszeit ist ein schöner Ansatz. | |
Nur häufig steht die Unternehmenskultur der Weiterbildung im Weg. | |
Bildungszeit für Weiterbildung: Es braucht mehr als Youtube | |
Bei der Weiterbildung setzt Deutschland bisher nur auf Quantität. Um etwas | |
zu bewirken, müssen die Angebote intensiver und besser zugänglich sein. | |
Förderung von Weiterbildung: Heil kündigt bezahlte Bildungszeit an | |
Bis zu zwölf Monate sollen sich Beschäftigte bezahlt weiterbilden können. | |
Das soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Kritik kommt vom Mittelstand. | |
Lobbyist der Woche: Gegner des Bildungsurlaubs | |
„Überflüssig und teuer“: Der Chef des badem-württembergischen | |
Arbeitgeberverbandes wettert gegen freie Tage für die Bildung. | |
Arbeitgeber-Vize über Stipendien: "Wir spüren den Fachkräftemangel schon" | |
Der OECD-Bildungsbericht bescheinigt Defizite. Die Organisation fordert | |
mehr Stipendien von der Wirtschaft. Doch einen zentralen Stipendientopf | |
lehnt sie ab, sagt Arbeitgeber-Vize Gerhard Braun. |