Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Filmpreis für „Quo Vadis, Aida?“: Keine europäische Kultur oh…
> Jasmila Žbanićs überwältigendes Srbenica-Drama „Quo Vadis, Aida?“ gew…
> den europäischen Filmpreis. Die Gala fand pandemiebedingt im Stream
> statt.
Bild: Jasna Djuricic als Aida in einer Szene des Siegerfilms „Quo Vadis, Aida…
Europas Vielfalt auf fünf Narrative herunterzukochen ist haarig. Wofür
steht die Kultur des Kontinents, welche Geschichten will und muss sie
erzählen: Steckt sie in Paolo Sorrentinos „Die Hand Gottes“, ein Kabinett
des Grotesken, in dem sich eine fußballverrückte Coming-of-Age-Story
entwickelt? Hat sie mit dem Thema Altersdemenz zu tun, droht sie also
vielleicht, im Vergessen zu verschwinden, gleich Florian Zellers
Protagonisten [1][Anthony Hopkins in „The father“?]
Ist sie nicht-binär und hat Sex mit Autos, so wie die [2][Hauptfigur in
„Titane“?] Spielt sie sich in einem Abteil auf einer langen Zugreise von
Moskau nach Murmansk und zwischen einer Finnin und einem wodkagetränkten
Russen ab, im Liebesfilm „Compartment No 6“? Oder muss sie sich mit dem
Massaker von Srbenica auseinandersetzen, so wie Jasmila Žbanićs
überwältigendes Drama [3][„Quo Vadis, Aida?“]?
Zum zweiten Mal wurden die European Film Awards in diesem Jahr notgedrungen
auf ein Streaming-Event reduziert. Die Leere, das Fehlen von Publikum (bis
auf einige im Dunklen harrende Nominierte und Preisträger:innen) und die
garantiert europaweit zu spürende Unbehaglichkeit mit der aktuellen
Pandemiesituation spiegelte sich im Setting.
Die Moderatorin Annabelle Mandeng wirkte etwas verloren in der glänzenden,
schlichten Kulisse der Berliner „Arena“, ihre mit einem leichten Lächeln
vorgetragenen, aber generischen Ansagen und Glückwunsche wurden weder von
Showeinlagen, noch von Gags unterbrochen: Es gäbe zwar etwas zu feiern,
schien die Veranstaltung auszusagen, aber wir können die Party ja eh nicht
steigen lassen.
Dennoch bahnte sich die berühmte nordisch-slawische Komik ihren Weg, wenn
etwa eine Filmquiz-Clique aus Tallin die Nominierten in der Kategorie
„European Comedy“ ankündigt, und den Beteiligten dabei das Lächeln
schwerzufallen schien. Es gewann der Film „Ninjababy“, in dem die
ungewollte Schwangerschaft einer jungen Frau zunächst (von ihr und dem
überraschten One Night Stand-Vater) mit Ausrufen wie „Nein!“ „Aargh!“ …
„Oh Shit!“ kommentiert wird.
## Gezeichnete Geschichten
Doch Comics helfen: Die norwegische Regisseurin Yngvild Sve Flikke hat mit
ihrem Realfilm eine Graphic Novel adaptiert, und lässt das menschliche
Zellenbündel, jenes titelgebende, im Bauch der quirligen Rakel lebende,
gezeichnete „Ninjababy“, immer wieder das Geschehen mitbestimmen – so wie
es tatsächlich bei einer Schwangerschaft ist.
Der beste Dokumentarfilm griff ebenfalls auf animierte Hilfe zurück. Er
heißt laut der Gemeinschaft aus 4.200 Akademiemitgliedern „Flee“ und stammt
vom dänisch-französischen Dokumentarfilmer Jonas Poher Rasmussen. „Flee“,
der darüber hinaus die Auszeichnung als bester Animationsfilm gewann,
erzählt die Geschichte eines afghanischen Geflüchteten, und zwar als
ruhige, zurückhaltende Animation.
Dass sich mit Zeichnungen Dinge zuweilen anrührender und eindringlicher
darstellen lassen als durch Realfilme, ist ein Fakt, der auch bei ernsten,
gar monströsen Geschichten verstärkt von Nutzen ist. Und Flucht oder
Migration sind bekanntlich aus ganz unterschiedlichen Gründen Kernthemen
Europas – neben „Flee“ spielten sie in nominierten Werken wie „Pleasure…
in dem eine Schwedin ihr Glück in der Pornoindustrie der USA versucht, oder
im weitesten Sinn im Roadmovie „Compartment No 6“ eine Rolle.
## Bonbonbunt und gallebitter
Emerald Fennells bonbonbunte und gallebittere, feministische
Rape-Revenge-Geschichte „Promising Young Woman“ wurde mit dem
Nachwuchspreis „European Discovery-Prix Fipresci“ ausgezeichnet – das The…
Gleichberechtigung scheint sich jedenfalls, nicht nur angesichts der
Frauenquote bei den nominierten Filmen, inzwischen eingenistet zu haben.
Claudia Roths erster offizieller Show-Auftritt als Kulturstaatsministerin
begann passend mit einer dementsprechenden Flachserei. Kann ein Mann
überhaupt das Land führen, fragte Moderatorin Mandeng, und Roth antwortete:
Keine Angst, es sind viele Frauen um ihn herum. Er ist unter Kontrolle.
Bei der Ankündigung der Hauptkategorie „European Film 2021“ sitzen später
in einem Einspielfilm aus Norwegen vier Samen in dicken Jacken und
Bommel-Pelzmützen um ein kleines Feuer im Schnee und stellen sich als
„Kautokeinos Filmenthusiasten“ vor – bei einer Einwohner:innenzahl von
unter 2900 kein schlechter Schnitt: Diese vier haben immerhin alle fünf
eingangs erwähnten Filme gesehen, hoffentlich im einzigen
„Schneemobil-Drive-In-Kino“ der Welt, in dem Kautokeinos alljährliches
„Samisches Filmfestival“ stattfindet.
Ihr fundiertes Gespräch über die Kandidaten steckt voller wahrer und hoch
emotionaler Beobachtungen zu den Storys. Der „beste Film Europas“, dessen
Macherinnen sich auch über den Regie- und den Schauspielpreis freuen
können, heißt kurz darauf jedenfalls „Quo Vadis, Aida?“, und stellt sich
somit deutlich einer qualvollen Vergangenheit, die bis in die Gegenwart
schmerzt. Europäische Kultur lässt sich eben nicht ohne die Traumata des
Kontinents vermitteln.
12 Dec 2021
## LINKS
[1] /Spielfilm-ueber-Demenz/!5791540
[2] /Nachruf-Guenter-Grass/!5012763
[3] /Filmfestspiele-in-Venedig/!5709406
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Film
Kino
Europa
Claudia Roth
Feminismus
Europäischer Filmpreis
Kunstbetrieb
Spielfilm
Spielfilm
Europäischer Filmpreis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Feministische Filmarbeit: Gegen die Ressentiments
Das Internationale Frauen Film Fest lädt zu Panelgesprächen.
Wegbereiterinnen im männlich dominierten Film waren zu Gast.
Europäischer Filmpreis: Dem Wahnsinn der Welt begegnen
In Reykjavik wurden die European Film Awards verliehen. Ruben Östlunds
„Triangle of Sadness“ räumte gleich vierfach ab.
Spielfilm von Kaouther Ben Hania: Ein Visum als Tattoo
Mehr Satire als Flüchtlingsdrama ist der Spielfilm „Der Mann, der seine
Haut verkaufte“. Die Regisseurin Kaouther Ben Hania bricht mit Erwartungen.
Regisseurin Ducournau über Film „Titane“: „Der wandelnde Todestrieb“
Die Regisseurin Julia Ducournau gewann mit ihrem Film „Titane“ die Goldene
Palme in Cannes. Sie spricht über weibliche Filmteams und Emanzipation.
Spielfilm zu Srebrenica-Massaker im Kino: Die Stunden vor der Katastrophe
Die bosnische Regiesseurin Jasmila Žbanić erzählt in ihrem Film „Quo vadis,
Aida?“ eindringlich vom Massaker von Srebrenica. Leichen zeigt sie keine.
Gala der European Film Awards in Berlin: Warum wir uns abschießen müssen
Bei der sehr kleinen Gala der 33. European Film Awards siegte Tomas
Vinterbergs Tragikomödie „Rausch“. Paula Beer wurde als beste
Schauspielerin geehrt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.