# taz.de -- Spielfilm zu Srebrenica-Massaker im Kino: Die Stunden vor der Katas… | |
> Die bosnische Regiesseurin Jasmila Žbanić erzählt in ihrem Film „Quo | |
> vadis, Aida?“ eindringlich vom Massaker von Srebrenica. Leichen zeigt sie | |
> keine. | |
Bild: Übersetzerin Aida (Jasna Đuričić) zwischen Blauhelmen und serbischen … | |
Es beginnt mit einer quälend langsamen Kamerafahrt über die Gesichter von | |
vier Menschen. Zwei jüngere Männer, ein älterer Mann und eine Frau, auf | |
Polstermöbeln aus den 1980er Jahren, starrend. Es könnte eine Familie sein. | |
Haben sie sich gerade gestritten? Eine schlimme Nachricht bekommen? Ist | |
ihnen einfach langweilig? Haben sie was verbrochen? Alles denkbar, möglich, | |
bis eine schwarze Blende die Kamerafahrt unterbricht und die Zeile „Europa, | |
Bosnien – Juli 1995“ erscheint. | |
Welche Rolle die Familie darin spielt, erfahren wir erst im Laufe des | |
[1][Spielfilms „Quo vadis, Aida?“, den die bosnische Regisseurin Jasmila | |
Žbanić über das Massaker von Srebrenica gedreht hat und der in diesem Jahr | |
für den Auslands-Oscar nominiert war]. Historisch ist das Massaker von | |
Srebrenica sowohl Höhepunkt der serbischen Verbrechen an den Bosniaken als | |
auch Wendepunkt in der internationalen Politik. | |
Schon mit der beschriebenen bedrückenden Eingangsszene zwingt die | |
Regisseurin ihre Zuschauer, den Opfern und den Tätern direkt und ständig | |
ins Gesicht zu gucken. Und dieses Motiv zieht sich durch den ganzen Film. | |
Durch die beeindruckend starken Schauspieler bestärkt, fordert er einen | |
immerzu auf: Guck dir jede Grübchenbewegung genau an, jedes | |
Augenbrauenverhalten, jedes Grinsen in den Mundwinkeln, jede | |
Ausdruckslosigkeit in den Augen und jedes Lippenzusammenkneifen. | |
Ein ums andere Mal wird einem dadurch vermittelt, dass jeder Einzelne seine | |
ganz eigene Rolle spielt, ob niederländischer Blauhelmsoldat, serbischer | |
Freischärler oder bosnischer Gymnasialschullehrer, jeder Einzelne | |
hinterlässt eine Spur in der Geschichte. Und in den Gesichtern von allen | |
ist diese Geschichte zu lesen. | |
Im Mittelpunkt von Žbanić’ Films steht Aida, eine Lehrerin aus Bosnien, die | |
für die niederländischen Blauhelmsoldaten in der UN-Schutzzone Srebrenica | |
aus dem Bosnischen ins Englische übersetzt. Der Film beginnt am 11. Juli | |
1995, dem Tag, an dem die serbischen Milizen unter dem Kommando von Ratko | |
Mladić Srebrenica einnehmen und die bosnischen Einwohner sich vor der | |
großen Lagerhalle, wo die Blauhelmsoldaten stationiert sind, in Sicherheit | |
bringen wollen. | |
## Die Kamera immer auf ihrem Gesicht | |
Žbanić erzählt die Geschichte von wenigen Tagen, vom Einmarsch bis zur | |
Exekution der Tausenden Männer. Sie erzählt, wie innerhalb von Stunden die | |
Situation für die Geflüchteten immer erdrückender und beklemmender wird und | |
wie Aida versucht, ihre privilegierte Situation zu nutzen, um wenigstens | |
ihre Familie zu retten. | |
Die Kamera immer auf ihrem Gesicht, das der [2][Schauspielerin Jasna | |
Đuričić, die ihre Rolle so furios spielt, dass sie kaum zu sprechen | |
braucht. In ihrer Mimik spiegelt sich das ganze Drama der Bosniaken], die | |
sich in dieser Situation von allen Europäern im Stich gelassen fühlen – bis | |
heute. | |
Eine der großen Stärken des Films ist, dass dieses Drama nicht nur in den | |
Gesichtern der Opfer gezeigt wird. Dass sich die niederländischen | |
Blauhelmsoldaten, die mit dem Schutz der UN-Enklave beauftragt waren und | |
erschütternd scheiterten, in einer ähnlich hilflosen Situation befanden, | |
zeigt sich im Gesicht des Bataillonskommandeurs Thomas Karremans. | |
Dessen schiere Überforderung und das Changieren zwischen nackter Angst und | |
Obrigkeitsergebenheit, wenn er mit dem serbischen Oberbefehlshaber Mladić | |
verhandelt, paart sich mit der Verzweiflung, von seinen Vorgesetzten im | |
Stich gelassen zu werden, die die angekündigten Nato-Kampfflugzeuge nicht | |
losschicken, um die serbischen Stellungen zu bombardieren. | |
## Niederländer mit Magenproblemen | |
Doch anders als Aida kämpft Karremans nicht bis zum Schluss. Während die | |
serbischen Milizen die unter seinem Schutz stehenden Flüchtlinge in Busse | |
und auf Lkws verladen und zur Erschießung fahren, schließt er sich in | |
seinem Büro ein. Er hat Magenprobleme. | |
Das Wenigste von dem, was Žbanić zeigt, ist erfunden. Auch diese Szene | |
nicht. Auch die Rolle der Übersetzerin gab es, nur war es ein Mann. Hasan | |
Nuhanović, einer der wichtigsten Zeugen im Prozess gegen den wegen | |
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Den Haag | |
verurteilten Mladić. | |
Die Entscheidung, diese Rolle mit einer Frau zu besetzen, begründet sie | |
damit, dass es vor allem Frauen sind, die von den Geschehnissen heute | |
berichten können und bis heute um die Wahrheit und die Erinnerung an das | |
Verbrechen kämpfen. Für ihre ermordeten Ehemänner, Söhne, Väter, Onkel, | |
Großväter und Cousins. | |
## Beklemmung und Betroffenheit | |
Man könnte dem Film vorwerfen, dass er überwältigt, dass er zu sehr | |
emotionalisiert. Aber wer wollte das tun, angesichts dessen, dass noch | |
heute in Westeuropa der wohl meistgesagte Satz über den Krieg im ehemaligen | |
Jugoslawien lautet: „Es war alles so kompliziert, ich hab irgendwann nicht | |
mehr durchgeblickt.“ | |
Und die Lage in Bosnien noch viel dramatischer ist: Erst vor einigen Tagen | |
war in Bosnien beschlossen worden, die Leugnung des Genozids an den | |
Bosniaken unter Strafe zu stellen. Ein Akt der Verzweiflung, weil serbische | |
Politiker und Nationalisten nicht aufhören, das schwerste Kriegsverbrechen | |
in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs kleinzureden und zu leugnen. | |
Žbanić erzählt die Geschichte so eindringlich, dass Beklemmung und | |
Betroffenheit entsteht, ohne dass sie dafür Leichen zeigen muss. Es ist die | |
Erzählung der wenigen Stunden, in denen dieses Massaker noch zu verhindern | |
gewesen wäre. Hätten die zuständigen UN-, Nato- und andere Befehlshaber den | |
Tätern damals nur sehr genau ins Gesicht geguckt. Und hätte man unter den | |
Blauhelmsoldaten Leute zu Oberkommandierenden gemacht, die so handeln, dass | |
sie sich danach selbst noch ins Gesicht gucken können. | |
5 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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