Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jahrestag Genozid von Srebrenica: Eine Kämpferin, die nicht vergis…
> Vor 27 Jahren wurden im bosnischen Srebrenica über 8.000 muslimische
> Männer und Jungen ermordet – auch der Sohn und Ehemann von Munira
> Subašić.
Bild: Am Gedenktag tragen Trauernde in Potočari die Überreste von 50 weiteren…
Sarajevo taz | Wenn Munira Subašić aus dem Fenster ihres Büros blickt,
schaut sie auf ein Meer aus weißen Pfählen – die 7.000 Grabstätten von
Potočari. Hier sind die Opfer des Genozids begraben, die am [1][11. Juli
1995 ganz in der Nähe im ostbonischen Ort Srebrenica ermordet] wurden. Vor
Kurzem hat die Organisation Mütter von Srebrenica, die das Andenken an die
Opfer fortführt, hier ihren Sitz eröffnet. Subašić ist eine von ihnen. Wie
so viele [2][andere Frauen] hat sie vor 27 Jahren nicht nur ihren Ehemann,
sondern auch ihren Sohn verloren.
Die quirlige 77-Jährige ist trotz dieses Schicksalsschlags eine Kämpferin.
Sie schaffte es, viele der Traumatisierten in ihrer Organisation zu
vernetzen, und rüttelt als Vorsitzende auch immer wieder die Öffentlichkeit
mit ihren Aktionen und Reden auf. Sie begleitete die
Kriegsverbrecherprozesse vor dem UN-Tribunal in Den Haag und war auch beim
endgültigen [3][Urteil gegen Ratko Mladić], der als einer der
Verantwortlichen des Massakers gilt, anwesend. Aber abgeschlossen ist für
sie das Kapitel Srebrenica damit nicht.
„Die Täter sind bis auf wenige frei und leben ein normales Leben“, sagte
einmal ihre vor drei Jahren gestorbene Mitstreiterin Hadidža Mehmedović.
„Wir können das nicht.“
Als vor 27 Jahren die serbischen Truppen unter General Ratko Mladić das in
einem engen Tal liegende Städtchen einnahmen, flohen die beiden Frauen mit
ihren Familien und mehr als 40.000 Menschen zur ehemaligen Batteriefabrik
in den nur wenige Kilometer entfernten Ort Protočari, wo die Truppen der
Vereinen Nationen damals ihren Stützpunkt hatten. Subašićs Mann Hilmo und
der jüngere der beiden Söhne, der 17-jährige Nermin, blieben noch einen Tag
bei ihr. Vahidin, ihr älterer Sohn, war mit anderen Männern schon in die
Wälder geflohen.
Ihr Mann und Nermin wurden von den serbischen Soldaten abgeführt. Beide
wurden ermordet, von ihrem Sohn wurden Jahre später nur zwei Knochen in
unterschiedlichen Massengräbern gefunden. Die Täter verscharrten die
Überreste der Opfer an unterschiedlichen Orten zwischen den Hügeln, um die
Spuren zu verwischen. Dem älteren Sohn gelang es damals, sich in die Stadt
Tuzla ins befreite Gebiet durchzuschlagen.
## Suche nach Antworten
Wenn sie über den Tod von Nermin spricht, bricht Subašićs Stimme. „Ich
konnte zwei Knochen meines Sohnes begraben. Wir Frauen von Srebrenica
stehen dennoch aufrecht. Wir Frauen haben unsere Kinder ohne Revanche und
Hass erzogen.“ Aber immer noch nicht will ihr in den Kopf, „warum vor fast
30 Jahren der Nachbar getötet hat, warum Lehrer ihre Schüler ermordeten“.
Sie erinnert sich gern an das Leben vor dem Krieg: „Wir haben doch so
normal zusammengelebt. In meinem Wohnhaus gab es Bosniaken, Serben, Kroaten
und Juden“, erzählt sie. „Wir haben uns gegenseitig zu den Familienfesten
besucht, unser Trauzeuge war ein Serbe.“ Was dann passiert sei? „Darauf
habe ich noch keine Antwort.“
Doch den Besuchern der Gedenkstätte in Protočari beantwortet die
Überlebende geduldig deren Fragen. Für Montag werden anlässlich des
Gedenktages viele Trauernde erwartet. Auch dieses Jahr werden wieder Opfer
auf dem Grabfeld beigesetzt, deren Überreste im letzten Jahr zwischen den
Hügeln von Srebrenica gefunden wurden.
## Parallelgesellschaft in Srebrenica
Bisher hätten nur die sogenannten Frauen in Schwarz, also serbische
Oppositionelle aus Belgrad, dem Friedhof in Potočari einen Besuch
abgestattet. Von der normalen serbischen Bevölkerung aus der Region –
Srebrenica liegt im serbisch dominierten Teilstaat der Republika Srpska –
sei noch niemand gekommen. In Srebrenica lebten zwei Gesellschaften, die
nichts miteinander zu tun hätten. Der Bürgermeister, ein Serbe, tue alles,
um ein Miteinander der Bevölkerungsgruppen zu erschweren.
„Wir können die Toten nicht zurückholen, aber wir müssen gemeinsam leben�…
sagt Subašić. Sie selbst habe Kontakte zu serbischen Frauen. Sie kenne alle
Organisationen und Gruppen in der serbischen Teilrepublik. „Doch diese
Frauen können nicht sprechen, sie werden von der Polizei kontrolliert, sie
haben Angst, offen zu reden.“
Ihr Plan, dass die Mütter von Srebrenica gemeinsam mit serbischen Frauen
nach Den Haag fahren, wo die Kriegsverbrecherprozesse stattfinden, sei
deshalb gescheitert. „Nicht Hass, sondern Liebe ist die Botschaft der
Frauen von Srebrenica“, sagt Subašić.
11 Jul 2022
## LINKS
[1] /25-Jahre-nach-dem-Genozid-von-Srebrenica/!5694371
[2] /Kriegsverbrechen-in-Ex-Jugoslawien/!5776709
[3] /Kommentar-Urteil-im-Fall-Mladic/!5462450
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Bosnien und Herzegowina
Ratko Mladić
Genozid
Srebrenica
GNS
Spielfilm
Lesestück Recherche und Reportage
Srebrenica
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spielfilm zu Srebrenica-Massaker im Kino: Die Stunden vor der Katastrophe
Die bosnische Regiesseurin Jasmila Žbanić erzählt in ihrem Film „Quo vadis,
Aida?“ eindringlich vom Massaker von Srebrenica. Leichen zeigt sie keine.
25 Jahre nach dem Genozid von Srebrenica: Die nicht vergessen können
Remzija Suljić ist 72 Jahre alt, Emina Krdzic war damals, als es geschah,
ein Baby. Beide Frauen eint die Präsenz einer furchtbaren Vergangenheit.
25. Jahrestag des Massakers in Srebrenica: Der Krieg im Klassenzimmer
Was junge Bosnier*innen in der Schule über Kriegsverbrechen lernen,
hängt stark von der Schule ab. Das Bildungssystem vertieft die Gräben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.