# taz.de -- Europäischer Filmpreis: Dem Wahnsinn der Welt begegnen | |
> In Reykjavik wurden die European Film Awards verliehen. Ruben Östlunds | |
> „Triangle of Sadness“ räumte gleich vierfach ab. | |
Bild: Bekam den Preis als „European Actress“: Vicky Krieps als Sissi in „… | |
In den Worten der Gastgeber:innen: „It’s like the Oscars. But all the films | |
are foreign“. Ulkiger kann man die European Film Awards mit ihren Tücken | |
und Stärken wohl kaum beschreiben. Das isländische Moderator:innenteam, das | |
am Samstagabend in der opulenten „Harpa“-Konzerthalle in Reykjavik durch | |
die 35. Preisverleihung führte, schoss damit den Vogel ab: | |
Eben, die Europäische Filmakademie mit 4.000 Mitgliedern (die Oscar Academy | |
zählt knapp 10.000, die Deutsche Filmakademie über 2.000) spricht nicht die | |
gleiche Sprache. Sie repräsentiert ein heterogenes „Europa“, das sich zwar | |
Mühe gibt, als Einheit zu wirken – und doch von den Realitäten eines | |
brutalen Krieges, unterschiedlicher Wirtschaftsvoraussetzungen und | |
Kulturhintergründen eingeholt wird. | |
Dass dennoch vor allem ein Film als Sieger des Abends hervorging, liegt wie | |
üblich in der Natur der Sache: Man kann dem riesigen Mitgliederkomplex zwar | |
alle nominierten Filme zur Verfügung stellen. Dass tatsächlich alle alles | |
schauen, ist dennoch nie garantiert. Schließlich haben die Menschen im | |
besten, das bedeutet im (beim prekären Kulturbetrieb raren) | |
Vollbeschäftigungsfall, noch anderes zu tun. | |
[1][Ruben Östlunds „Triangle of Sadness“] hatten jedenfalls viele gesehen … | |
und ehrten die Satire mit den Hauptpreisen „European Film“, „European | |
Director“ und „European Screenwriter“. Zudem freute sich der | |
kroatisch-dänische Schauspieler Zlatco Burić über einen Preis als „European | |
Actor“ – er hatte in Östlunds schwankender Göbelorgie einen sardonischen | |
Oligarchen gegeben, der aus Scheiße Gold macht: „I sell shit“ erklärt er … | |
Film zu seinem Berufsfeld. | |
## Internationaler Cast | |
Östlunds Werk, das beim Filmfestival in Cannes die Goldene Palme bekam, und | |
international suffiziente Einspielergebnisse erzielt, ist in vielerlei | |
Hinsicht und trotz seiner sich nach „The Square“ etwas wiederholenden | |
Provokationen eines, auf das man sich einigen kann: Dem Wahnsinn der Welt | |
lässt sich anscheinend nur noch mit galligem Humor beikommen. | |
Dass Östlunds Cast mit Burić, der Schweizerin Sunny Melles, der Dänin Vicki | |
Berlin, dem Briten Harris Dickinson, der Filipina Dolly de Leon, der | |
Deutschen Iris Berben, der Südafrikanerin Charlbi Dean und dem Schweden | |
Henrik Dorsin tatsächlich einen melting pot darstellte, passt zudem zur | |
Intention der EFA. | |
Und es schien angesichts des andauernden Kriegs so zwingend wie tragisch, | |
dass „Mariupolis 2“ des [2][litauischen Regisseurs Mantas Kvedaravičius] | |
als „Europäischer Dokumentarfilm“ geehrt wurde: Kvedaravičius starb im | |
April 2022 bei einem russischen Angriff, als er versuchte, aus Mariupolis | |
zu flüchten. Sein Vermächtnis, das die Fortsetzung eines Stadtportraits von | |
2016 ist, steht damit auf mehreren Ebenen für die Unbarmherzigkeit und das | |
Unrecht dieses Kriegs. | |
Dass darüber hinaus sämtliche „ukrainische Produzent:innen“ symbolisch mit | |
einem Preis geehrt wurden, passt ebenso zum EFA-Versuch, global politisch | |
zu sein, wie ein Nachhaltigkeitspreis für den „Green Deal“ der EU | |
Kommission. | |
Die luxemburgisch-deutsche Schauspielerin Vicky Krieps, die wegen Krankheit | |
virtuell zugeschaltet wurde, nahm ihren Award als „European Actress“ im mit | |
Krokodilen bedruckten Onesie entgegen, und widmete den Preis „allen Frauen | |
auf dieser Welt, deren Wunden man nicht sieht“. [3][Ihre versatile | |
Darstellung von Kaiserin Elisabeth in Marie Kreutzers „Corsage“] steht für | |
die Facetten einer so mächtigen wie ohnmächtigen Frauenfigur. | |
## Margarethe von Trottas Lebenswerk geehrt | |
Auch die Laudatio auf Margarethe von Trotta, deren Lebenswerk geehrt wurde, | |
erinnerte an die steinigen Wege von Regisseurinnen. Dass der Debütpreis | |
„European Discovery“ an Laura Samanis „Small Body“ ging, verankerte dar… | |
hinaus ein weiteres klassisches Frauen-Körper-Thema im Preisreigen: Das | |
Drama erzählt vom Trauma einer jungen Mutter, die versucht, ihr | |
totgeborenes Baby zu bestatten. | |
Im nächsten Jahr kehrt die Preisverleihung wieder zurück nach Berlin. Dass | |
die europäischen Wunden, Traumata und Dringlichkeiten bis dahin verheilt | |
sind, ist leider nicht zu erwarten. | |
11 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Satire-Triangle-of-Sadness-im-Kino/!5884017 | |
[2] /Litauischer-Regisseur-ueber-Tschetschenien/!5126940 | |
[3] /Film-Corsage-in-den-Kinos/!5862588 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Europäischer Filmpreis | |
Filmpreis | |
Island | |
Oscarverleihung | |
Filmfestival | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
70. Filmfestspiele von San Sebastián: Die Nöte der Jugend heute | |
So beeindruckende Vielfalt war noch nie. Zur 70. Ausgabe der Filmfestspiele | |
von San Sebastián hatte das spanische Kino einen starken Auftritt. | |
Abschluss der Filmfestspiele Cannes 2022: Lachen mit Marx | |
Die Filmfestspiele von Cannes endeten mit einer Goldenen Palme für Ruben | |
Östlund. Eine solide Entscheidung in einem durchwachsenen Jubiläumsjahr. | |
Filmpreis für „Quo Vadis, Aida?“: Keine europäische Kultur ohne Trauma | |
Jasmila Žbanićs überwältigendes Srbenica-Drama „Quo Vadis, Aida?“ gewann | |
den europäischen Filmpreis. Die Gala fand pandemiebedingt im Stream statt. |