Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Faszination Autobahnblockade: Alle Räder stehen still
> Eine Handvoll Menschen reicht, um eine Autobahn zu blockieren und
> Aufmerksamkeit zu erregen. Doch reicht das, um Wandel zu bewirken?
Bild: „Die letzte Generation“ steht auf: Blockade der A100 in Berlin am 31.…
Räumen wir zu Beginn diesen schönen Sendeplatz für die KollegInnen des
Spartensenders „Bild.tv“: Die saßen in dieser Woche wie üblich in trauter
Runde zusammen, um sich gegenseitig ihrer Ressentiments zu vergewissern. Es
ging um die Autobahnblockierer. Nach einigen Sätzen, in denen die Worte
„Wohlstandsverwahrlosung“ und „spätrömische Dekadenz“ fielen, gaben m…
Gäste zu, dass sie klammheimliche Sympathie mit der Aktion haben.
„Wie radikal muss man sein, um etwas zu verändern?“, fragte die Moderatorin
in die Runde. „So radikal wie die“, sagt die Ex-Bunte-Chefin, und auch der
„Bild.tv“-Chef erzählte von seiner Tochter, die ihm diese Frage stelle.
Wie kann es sein, dass so viele Menschen von den Blockaden der Autobahn
fasziniert sind?
Es ist faszinierend, weil es so wenig braucht, um den Alltag zu
unterbrechen, der sonst alternativlos erscheint. Weniger als zehn Menschen
setzen sich auf die Straße – und der Verkehr bricht zusammen. Eine
beeindruckende Effektivität, vor allem, wenn man sie mit dem Zustand
vergleicht, in dem sich die Klimabewegung nach zwei Jahren Pandemie
befindet.
## Mit dem eigenen Körper
Wie misst man den Erfolg einer Bewegung? Es scheint, als sei weder die Zahl
der DemonstrantInnen noch der Applaus, den sie bekommen, der entscheidende
Gradmesser. Es hat der Klimabewegung nichts gebracht, von Olaf Scholz und
Angela Merkel umarmt zu werden. Als 1,4 Millionen Menschen am 20. September
2019 auf die Straße gingen, bekamen sie ein Klimapaket, das seinen Namen
nicht verdiente.
Für die [1][Bewertung] der Blockaden ist ein anderer Maßstab brauchbarer:
Disruption.
Noch haben die Autobahnblockaden [2][außer Aufmerksamkeit] wenig erreicht.
Aber Selbstwirksamkeit, also die Erfahrung, mit dem eigenen Körper einen
Unterschied zu machen, ist eine bleibende Erfahrung, nicht nur für die
Beteiligten. Und auch die ZuschauerInnen des Spektakels trennen sehr wohl
zwischen Form und Inhalt. Man kann die Blockaden falsch finden, aber selbst
die Statements von AutofahrerInnen im Stau beginnen oft mit der
Einschränkung: „Ich find’s ja richtig, dass die demonstrieren, aber …“
Meist wurde [3][kritisiert], dass die Blockaden die Falschen treffen
würden. Dabei wurde eine Strohpuppe aus dem Schrank geholt, die aus der
Benzinpreisdebatte bekannt ist: Es ist die alleinerziehende
Krankenschwester, die nun im Stau stehe (als würde sie normalerweise
problemlos über die leere Berliner Stadtautobahn düsen). Auch SPD-General
Kevin Kühnert berief sich auf sie und [4][kritisierte die Aktion]: Bei
einem regulären Streik in einem Betrieb richte sich die Aktion gegen den
Arbeitgeber, sagte er. Hier bestreike man sich gegenseitig.
## Eine einfache Rechnung
Natürlich sollten die Blockierer der einzelnen gestressten Autofahrerin
nicht mit Überheblichkeit begegnen. Doch mit dem Vergleich erklärt Kühnert
unfreiwillig, warum der Protest erfolgreich ist: In der Klimakrise gibt es
nicht nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dieser Streik richtet sich nicht
gegen einen eindeutigen Gegner, sondern gegen den fossilen Irrsinn des
Alltags, unter dem auch die Krankenschwester leidet.
Enden wir deshalb mit einem Gedankenexperiment, eigentlich ist es eine
Rechenaufgabe: Wenn es in Deutschland etwa 2.260 Autobahnausfahrten gibt
und man für eine Blockade 7 Menschen braucht – warum demonstriert man noch
vor dem Kanzleramt?
12 Feb 2022
## LINKS
[1] /Aktivistinnen-blockieren-A100/!5833367
[2] /Blockade-der-A100/!5830738
[3] /Gruener-Agrarminister-zu-Klimaprotesten/!5831002
[4] https://twitter.com/KuehniKev/status/1491833841367101441?s=20&t=P0Xbk53…
## AUTOREN
Kersten Augustin
## TAGS
Autobahn
Lebensmittelverschwendung
Kolumne Materie
Ziviler Ungehorsam
Schwerpunkt Klimaproteste
Kolumne Materie
Letzte Generation
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Ziviler Ungehorsam
Lebensmittelrettung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Billig mit dem Zug nach Sylt: Hurra, es ist Klassenfahrt
Sylt hat wegen des Neun-Euro-Tickets Angst vor dem Ansturm des Pöbels. Das
gab's schon öfter – unser Autor war dabei. Und stellt nun die Klassenfrage.
Aktivistin über die „Letzte Generation“: „Die größtmögliche Störung�…
Die Blockaden der Klimaaktivist:innen der „Letzten Generation“ gehen
weiter. Aimée van Baalen über die Symbolik, Ziele und Grenzen der Aktionen.
Klima als wahlbestimmendes Thema: Eigene Anschauung hilft
Der Klimawandel wird in Europa zu einem stärker wahlbestimmenden Thema,
zeigt eine Studie. Allerdings abhängig von der sozialen Lage.
Grüner Agrarminister zu Klimaprotesten: Özdemir gegen Autobahnblockaden
Der Agrarminister kritisiert die Forderung, Supermärkte zum Spenden nicht
verkaufter Lebensmittel zu verpflichten. Aktivisten widersprechen.
Bundesweite Autobahnblockaden: Am Ort des zivilen Ungehorsams
Seit Wochen blockieren Besetzer:innen bundesweit Autobahnen. Damit
wollen sie auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen.
Blockade der A100: Fiese, feine Nadelstiche
Der Protest der „letzten Generation“ zeigt Wirkung – er erhält mehr und
mehr Aufmerksamkeit. Doch nun braucht es mehr als Blockaden: Inhalte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.