# taz.de -- Etappensieg für Demonstranten: Billiger Busfahren in Brasilien | |
> Der Protest zeigt Wirkung: Die Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr | |
> in Brasilien werden zurückgenommen. Das schafft neue Probleme. | |
Bild: Protest in der brasilianischen Stadt Niteroi: „Auch ihr in den Uniforme… | |
RIO DE JANEIRO taz | Auf den ersten Blick haben die Demonstranten einen | |
großartigen Sieg errungen. In São Paulo und Rio de Janeiro werden die | |
Fahrpreiserhöhungen für Busse und Bahnen zurückgenommen. Dies war die | |
wichtigste und zugleich einzig konkrete Forderung der Protestbewegung, die | |
Brasilien seit Wochen in Atem hält. | |
Unwillig traten die Bürgermeister der beiden größten Städte Brasiliens am | |
Mittwoch Nachmittag vor die Presse und verkündeten ihr Einlenken. Die Lage | |
im Land war unhaltbar geworden. Sieben Prozent Tariferhöhung für marode und | |
überfüllte Busse und Bahnen hatte ein Fass zum Überlaufen gebracht. | |
Unzählige Demonstrationen, brutale Polizeieinsätze und schließlich eine | |
Viertelmillion Menschen auf den Straßen veränderten das Kräfteverhältnis in | |
einem Land, in dem die Menschen meist lieber am Kneipentisch murren und die | |
Politik den ungeliebten Politikern überlassen. | |
Trotz des Etappensieges gingen die Demonstrationen auch am Mittwochabend | |
weiter. Allein in der Metropole São Paulo gab es vier Protestzüge, im | |
Großraum von Rio de Janeiro gingen Tausende auf die Straße. Lange Zeit | |
blieb es friedlich, später kam es zu den üblichen Auseinandersetzungen mit | |
der Polizei. Einige feierten das erreichte Ziel, andere hielten sich an die | |
Parole, dass es nicht nur um Buspreise, sondern um Rechte geht. Sie fordern | |
mehr Ausgaben für Bildung und Gesundheit und prangern die Milliardenkosten | |
für WM und Olympische Spiele sowie die korrupte, intransparente | |
Regierungsform an. | |
Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das Entgegenkommen der Stadtregierungen | |
als Mogelpackung. Rios Bürgermeister Eduardo Paes sagte unumwunden, dass | |
die Einnahmeausfälle der privaten Busunternehmen in Höhe von mindestens 100 | |
Millionen Euro jährlich „an anderer Stelle im Haushalt eingespart“ werden | |
müssten. Ohne zu sagen, wo er sparen wolle, verglich der rechte Politiker | |
die Höhe des Verlusts mit der jährlichen Finanzierung von Familienkliniken | |
durch den Stadthaushalt. | |
## Teuer und schlecht | |
Es wird also nur neu gerechnet, ohne zu hinterfragen, warum die wunderbare | |
Stadt am Zuckerhut ebenso teure wie schlechte Verkehrsmittel hat. | |
Offiziellen Zahlen zufolge geben die Menschen mit einem Familieneinkommen | |
von bis zu 1.000 Euro in Rio fast zehn Prozent ihres Geldes für | |
Transportmittel aus, doppelt so viel wie im Landesdurchschnitt. Zudem lag | |
die gesamte Tariferhöhung in den vergangenen zehn Jahren ein Drittel über | |
der Inflationsrate. | |
Unter den Aktivisten macht sich jetzt die Sorge breit, wie es weitergehen | |
soll. Für Donnerstag ist ein nationaler Aktionstag angesetzt, er wird auf | |
alle Fälle beibehalten, so die Beschlusslage mehrerer Plena in Rio de | |
Janeiro. Doch für eine euphorische Stimmung reicht es nicht. Viele meinen, | |
das Problem sei nicht nur, nun neue konkrete und erfüllbare Forderungen zu | |
stellen. Die Bewegung selbst droht an Kontur zu verlieren. | |
Indiz dafür sei der radikale Diskurswechsel, den Regierungspolitiker und | |
vor allem die Medien nach dem eindrucksvollen Protestmontag vollzogen hat. | |
Statt von Randalierern und Chaoten zu sprechen, sind die Demonstranten über | |
Nacht zu Bürgern geworden, die – so Präsidentin Dilma Rousseff – „unsere | |
Demokratie gestärkt“ haben. Die rechte Presse kritisiert nur noch die | |
Gewalt und macht sich ansonsten schon zum Fürsprecher der Bewegung. | |
## Radikale Forderungen ausgeblendet | |
Ganz unauffällig gibt sie dabei mittlerweile auch die Themen vor: Immer | |
wieder werden Bilder mit der Nationalflagge gezeigt, auf Schildern wird nur | |
noch ganz allgemein „Korruption“ kritisiert, in Zitaten beschweren sich die | |
Demonstranten vor allem über die Inflation, die hohen Steuern oder die | |
Misswirtschaft. Radikale Forderungen, die die herrschenden Zustände und die | |
sozialen Ungerechtigkeiten hinterfragen, werden ausgeblendet. | |
Andere sehen es optimistischer, die Bewegung sei nun mal sehr breit und | |
vielfältig. Und den Medien gelinge es nicht immer, zu manipulieren, schon | |
gar nicht, wenn die Situation außer Kontrolle geraten ist. Viele setzten | |
auch darauf, dass erfolgreiches Demonstrieren ansteckend ist. Irgendwann | |
müsse ja die Politisierung der Leute beginnen. | |
20 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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