Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unruhen in Brasilien: Rechte okkupieren Linken-Protest
> Auch Ultrarechte mischen bei den Protesten in Brasilien mit – und
> profitieren von Streitereien bei den Linken. Die Präsidentin macht einen
> halbgaren Vorschlag.
Bild: Eindeutig, was dieser Mann mit Dilma-Rousseff-Maske vom Gesprächsangebot…
RIO DE JANEIRO/SÃO PAULO taz | Die Protestwelle in Brasilien verliert an
Intensität. Präsidentin Dilma Rousseff kündigte am Freitag einen „großen
Pakt“ an, um die kritisierten Zustände insbesondere bei öffentlichen
Dienstleistungen zu verbessern. Sie versprach mehr Geld für Bildung,
Gesundheit und den öffentlichen Nahverkehr. Doch scheint dies die Gemüter
nicht zu beruhigen.
Die Linke diskutiert über die Zielsetzung der Bewegung, es gibt erste
Spaltungen. Die Sorge nimmt zu, dass der Protest von rechts unterwandert
und seine Ausrichtung verdreht wird. Die Debatte hatte die Bewegung für
Nulltarif (Movimento Passe Livre – MPL) am Freitag ausgelöst. Die Gruppe,
die mit ihrer Forderung nach Rücknahme der Buspreiserhöhungen die
Massenbewegung auslöste, kündigte ihren Rückzug an. Sie begründete dies mit
Anfeindungen von Vertretern linker Parteien und Gewerkschaften bei den
Demos.
Demonstranten waren gewaltsam angegriffen worden, die mit Parteiflaggen
unterwegs waren. Augenzeugen machen Skinheads und Nazigruppen für die
Übergriffe verantwortlich. Von roten Fahnen dominierte Blöcke der
Linksparteien, zu denen auch PT-Gruppen zählen, wurden vielfach ausgebuht.
„Wir sind parteilos, aber nicht gegen Parteien“, schrieb der MPL. Die
kleine Gruppe war 2005 in Porto Alegre entstanden und tritt für kostenlosen
öffentlichen Nahverkehr und das Ende der Dominanz privater Busunternehmen
ein. MPL-Mitglieder kritisierten, dass zunehmend rechte und inkohärente
Forderungen dominierten.
Einen Tag später revidierte der MPL ihre Haltung. Nach dem großen Erfolg,
die Regierenden zur Rücknahme der Tariferhöhungen gezwungen zu haben, werde
jetzt für den Nulltarif gekämpft. Soziale Bewegungen hatten argumentiert,
die Mobilisierung dürfe nicht den Rechten überlassen werden.
Themen der klassischen sozialen Bewegungen waren stets in der Minderheit.
Kaum ein Plakat wandte sich gegen die Zwangsräumungen in Armenvierteln für
die WM und die Olympischen Spiele, plädierte für eine Landreform oder
unterstützte Indígenas im Kampf gegen Großgrundbesitzer. Die Proteste
werden von jungen Studenten aus der Mittelschicht getragen, die kaum
politisiert sind.
## Schutz korrupter Politiker befürchtet
Konsens war bisher die Kritik am miserablen und teuren Nahverkehr sowie die
Forderung nach mehr Geld für Bildung und Gesundheit. Jetzt ist Umfragen
zufolge „Korruption“ das wichtigste Thema. In São Paulo war am Samstag zu
beobachten, dass Demonstranten dabei sehr wohl konkret werden können.
30.000 junge Menschen forderten Nein zu „PEC 37“. Den Verfassungszusatz
will das Parlament bald verabschieden. Die Abstimmung war für Mittwoch
geplant, sie wurde aber vertagt. Die Befugnisse der Staatsanwaltschaft
sollen durch die Neuregelung beschränkt werden. Die Demonstranten fürchten,
korrupte Politiker würden dann nicht verfolgt.
Die Protestbewegung hat inzwischen auch Rückhalt bei der rechten Presse.
Nachdem insbesondere der dominierende TV-Sender „Globo“ wegen
Diskriminierung von Demonstranten kritisiert worden war, änderte das rechte
Leitmedium seine Linie. Aus Chaoten wurden über Nacht jetzt demokratische
Bürger. In Nachrichtensendungen und Fußballübertragungen wird beteuert, es
werde alles über die Proteste berichtet, auch über die Repression durch die
Polizei. Gezeigt werden aber vor allem Forderungen, die sich gegen
Rousseffs Mitte-links-Regierung richten.
Diffuse rechte und linke Positionen sind das Problem der Proteste, aber vor
allem der Regierungschefin. Erschwerend kommt hinzu, dass Rousseff in ihren
zwei Amtsjahren viele ihrer linken Basis gegen sich aufgebracht hat. Von
den klassischen Themen der Arbeiterpartei blieben nur Armutsbekämpfung und
soziale Gerechtigkeit. Ansonsten geht es um Wirtschaftswachstum um jeden
Preis. Statt Menschenrechte und Ökologie werden die industrielle
Landwirtschaft und die Autoindustrie gefördert. Die Linke identifiziert
sich nicht mehr mit Rousseff, doch auf Regierungsebene steht die einzige
realistische Alternative rechts. So stellt sich die Frage, was die
Demonstranten erreichen wollen. Missstände beheben oder die rechte
Opposition stärken, die nur darauf wartet, wieder an die Macht zu kommen?
23 Jun 2013
## AUTOREN
Andreas Behn
Sebastian Erb
## TAGS
Skinheads
Nazis
Brasilien
Fußball-WM
Dilma Rousseff
Öffentlicher Nahverkehr
Fußballweltmeisterschaft
Brasilien
Protest
Brasilien
Brasilien
Dilma Rousseff
Brasilien
Brasilien
Brasilien
Brasilien
Confed Cup
Protest
## ARTIKEL ZUM THEMA
Grenzen des brasilianischen Modells: Generalstreik für Nachhaltigkeit
Wirtschaftliche Missstände in Brasilien bleiben bestehen – trotz im
internationalen Vergleich guter Wirtschaftsdaten. Die Gewerkschaften rufen
zum Protest auf.
Debatte Proteste in Brasilien: Der brasilianische Frühling
Korruption, verfehlte Verkehrspolitik und ein überholtes
Gesellschaftskonzept: Die Brasilianer protestieren gegen ein Bündel von
Problemen.
Proteste in Brasilien: Aufstand der Vernetzten
In Brasilien gehen Hunderttausende meist junge Leute auf die Straße. Ihren
Protest organisieren sie vor allem auf Facebook oder via „WhatsApp“.
Proteste in Brasilien: Referendum mögen nicht alle
Brasiliens Präsidentin hat ein Referendum über eine Verfassungsversammlung
vorgeschlagen. Entrüstung und Widerstand kommt nicht nur von der
Opposition.
Kommentar Proteste in Brasilien: Flucht nach vorn
Brasiliens Präsidentin Dilma Rouseff hat die Initiative vorerst
zurückgewonnen. Jetzt wird sich zeigen, wie ernst es die Demonstranten
meinen.
Brasilien in Aufruhr: Präsidentin setzt auf Referendum
Dilma Rousseff verspricht, die Korruption zu bekämpfen und mehr Demokratie
zu wagen. Die rechte Opposition schäumt, während der Protest auf der Straße
weitergeht.
Proteste in Brasilien: „The Games must go on“
Im Land, das 2014 die Fußball-WM ausrichten will, herrscht auf vielen
Straßen blankes Chaos. Noch wil die FIFA keine Konsequenzen ziehen.
Kommentar Unruhen Brasilien: Wir haben euch nichts mitgebracht
Der brasilianische Alltag ist untragbar geworden. Deshalb gehen viele
erstmals auf die Straße. Politische Konzepte fehlen.
Gewalt bei Protesten in Brasilien: Volksfest gegen den Staat
In Brasilien protestieren mehr als eine Million Menschen gegen Korruption.
Bei Kämpfen mit der Polizei werden Hunderte verletzt.
Protest do Brasil: Weg mit der Corrupção!
Während des zweiten Confed-Cup-Spiels der Seleção wird vor dem Stadion
geknüppelt. Das Team sympathisiert mit dem Protest, die Fronten verhärten
sich.
Etappensieg für Demonstranten: Billiger Busfahren in Brasilien
Der Protest zeigt Wirkung: Die Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr
in Brasilien werden zurückgenommen. Das schafft neue Probleme.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.