# taz.de -- Erste Sitzung des Ausschusses: Die Sendung mit der Maut | |
> Eine unüblich hohe Entschädigungssumme und undokumentierte Treffen – die | |
> erste Sitzung des Mautausschusses offenbart Denkwürdiges. | |
Bild: Steht auf Risiko, aber nicht auf Risikoanalysen: Verkehrsminister Andreas… | |
BERLIN taz | Verstöße gegen Vergaberegeln, fragwürdige Zugeständnisse an | |
die Betreiber, eine Entschädigungssumme, die ein Fall für die EU-Kommission | |
werden könnte – die erste öffentliche Sitzung des | |
Bundestagsuntersuchungsausschusses am Donnerstagnachmittag zur | |
gescheiterten Pkw-Maut zeigt eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten bei | |
dem Projekt. | |
Der [1][Untersuchungsausschuss] soll die Vorgänge um die gescheiterte | |
Pkw-Maut aufklären, durch die dem Bund Schadenersatzzahlungen in | |
dreistelliger Millionenhöhe drohen. Die Pkw-Maut für AusländerInnen war ein | |
Prestigeprojekt der CSU im Bundestagswahlkampf 2013. Bundesverkehrsminister | |
Andreas Scheuer (CSU) hat das Projekt bei seinem Antritt im Frühjahr 2018 | |
von seinem Amtsvorgänger und Parteifreund Alexander Dobrindt geerbt. | |
Zum Verhängnis könnte Scheuer nun werden, dass er am 30. Dezember 2018 mit | |
einem Betreiberkonsortium Verträge unterschrieben hat, obwohl eine Klage | |
Österreichs und der Niederlande gegen die Maut anhängig war. [2][Im Juni | |
2019 hat der EuGH] die Maut kassiert, die Betreiber fordern nun 560 | |
Millionen Euro Schadenersatz. | |
Es habe nach Einschätzung des Ministeriums ein Risiko von 15 Prozent | |
bestanden, dass der EuGH die Maut kassiert, sagte der Gutachter des | |
Regierungslagers Friedemann Kainer von der Universität Mannheim im | |
Untersuchungsausschuss. „Wenn ich ein Haus gebaut hätte, hätte ich | |
vielleicht anders entschieden“, räumte er ein. „Aber bei Staaten ist das | |
etwas anderes.“ | |
Der Jurist Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld dagegen wies darauf | |
hin, dass von Anfang an nur eine sehr kleine Minderheit von Rechtsexperten | |
die geplante Regelung für europarechtskonform gehalten hat. Seiner | |
Auffassung nach hätte Scheuer die Verträge nicht vor dem Urteil | |
unterzeichnen dürfen. „Ich bin schier fassungslos gewesen, dass man dieses | |
Risiko eingegangen ist“, sagte er. Auch den Betreibern hätte das klar sein | |
müssen – was möglicherweise Konsequenzen für die Schadenersatzzahlung habe. | |
## Problematische Verträge | |
Dass der Minister es so eilig hatte, hatte neben dem politischen offenbar | |
auch einen haushaltstechnischen Grund. Der Bundestag hatte die sogenannte | |
Ermächtigung für die Maut-Position für das Haushaltsjahr 2018 eingestellt. | |
„Die Ermächtigung galt nur bis 2018, danach wäre sie verfallen“, sagte der | |
Gutachter Ulrich Hufeld von der Universität der Bundeswehr in Hamburg. | |
Den vermeintlichen Zeitdruck hätte Scheuer leicht loswerden können. Er | |
hätte nur rechtzeitig einen Antrag auf Erneuerung der entsprechenden | |
Position stellen müssen. Dann hätten die Abgeordneten aber möglicherweise | |
einen Blick auf die Verträge geworfen. Die haben erhebliche Untiefen, ist | |
Hufeld überzeugt. Unter anderem durch die vereinbarte Schadenersatzhöhe von | |
560 Millionen Euro und [3][die Verschiebung von Leistungen auf die | |
staatliche Lkw-Maut-Firma Toll Collect] gibt es laut Hufeld eine Lücke | |
zwischen den Bewilligungen im Bundeshaushalt und den tatsächlichen Risiken | |
für den Bund von 1 Milliarde Euro. Der Bundestag hatte für die Maut einen | |
Kostenrahmen von maximal 2 Milliarden Euro vorgesehen. | |
Doch die Betreiber, die den Auftrag haben wollten, sahen sich nicht dazu in | |
der Lage, für diese Summe das Projekt zu stemmen. Von den vier | |
ursprünglichen Bietern blieb nur einer übrig, der allerdings ein Angebot | |
mit einem Volumen von mehr als 3 Milliarden Euro abgab. Durch die Übernahme | |
verschiedener Aufgaben durch Toll Collect und die Umwidmung verschiedener | |
Kostenpositionen von fix in variabel sank das Angebot auf die politisch | |
vorgegebenen 2 Milliarden. | |
## Undokumentierte Treffen | |
Wie das genau vor sich ging, ist unklar. Im November und Dezember 2018 | |
fanden vier Treffen der Chefs von Betreibern und Bundesverkehrsministerium | |
statt, die nicht dokumentiert wurden. Das ist absolut unüblich, räumte | |
selbst der vom Regierungslager bestellte Gutachter Jan Endler von der | |
Kanzlei Linklaters ein. Denn das Vergaberecht macht strenge Auflagen, damit | |
Verträge von unterlegenen Bietern nicht angreifbar sind. Möglicherweise sei | |
bei den Treffen gar nicht verhandelt worden, sondern generell über den | |
Fortbestand des Projekts gesprochen worden, versuchte der Gutachter die | |
fehlende Dokumentation herunterzuspielen. | |
Für Marco Nunez Müller von der Kanzlei Chatham dagegen steht fest, dass es | |
sich bei der fehlenden Dokumentation um einen Verstoß gegen die | |
Vergaberegeln handelt, und nicht den einzigen. „Das Kostenrisiko wurde auf | |
den Auftraggeber abgewälzt. Es ist davon auszugehen, dass andere | |
Bietergemeinschaften bei Kenntnis der Einbeziehung von Toll Collect ein | |
Angebot abgegeben hätten“, sagte er. | |
## Unüblich hohe Entschädigungssumme | |
Auch die Umstände der Kündigung sind bizarr. Müller geht davon aus, dass | |
das Ministerium nach dem Urteil des EuGH nicht einmal die schriftliche | |
Urteilsbegründung abgewartet hat. Dabei wäre seiner Einschätzung nach eine | |
Kündigung nicht zwingend gewesen. Die hohe Entschädigungssumme von 560 | |
Millionen Euro, die den Betreibern im Vertrag zugesagt wurde, sei | |
ungewöhnlich. „Das ist völlig unüblich, das ist uns noch nie vorgekommen | |
bei einer Vertragsgestaltung“, sagte Müller, dessen Kanzlei viele | |
Unternehmen berät. | |
Gutachter Endler bestreitet das. „Eine marktunübliche Begünstigung liegt | |
nicht vor“, sagte er. Wer hat recht? Das ist nicht nur eine Frage für | |
juristische Seminare. Denn von der Antwort hängt ab, ob der Schadensersatz | |
europarechtlich als Beihilfe gilt. Sollte die Entschädigungssumme unüblich | |
sein, müsste die EU-Kommission sie genehmigen, sagte Müller. | |
17 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Untersuchungsausschuss-zur-Maut/!5654159 | |
[2] /Urteil-des-Europaeischen-Gerichtshofs/!5604202 | |
[3] /Bund-uebernimmt-ineffizientes-Toll-Collect/!5565970 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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