| # taz.de -- Entwicklungsminister Müller in Tunesien: Wider den Frust in Tunis | |
| > Mit Investitionen und Ausbildung will Deutschland das Vorzeigeland des | |
| > Arabischen Frühlings stabilisieren, damit die Jugend nicht abhaut. | |
| Bild: Minister Müller beim deutschen Automobilzulieferer Marquardt in Tunis | |
| Tunis taz | Es sind Bilder wie sie mitreisende Pressereferenten lieben. In | |
| einer sauberen Werkhalle des deutschen Autozulieferers Marquardt fräsen | |
| Jugendliche an Metallteilen. 40 tunesische Auszubildende lernen wie in | |
| Deutschland über drei Jahre den Beruf des Werkzeugmachers. Der deutsche | |
| Branchenriese will künftig verstärkt im Billiglohnland Tunesien produzieren | |
| lassen. | |
| Auf seinem zweitägigen Besuch in Tunis hat der deutsche | |
| Entwicklungshilfeminister Gerd Müller deutsche Manager dabei. | |
| Job-Perspektiven [1][vor Ort sollen illegale Emigration verhindern], das | |
| ist das informelle Motto der Reise. Einige der Auszubildenden berichten von | |
| Freunden, die es kürzlich mit [2][Fischerbooten illegal nach Italien | |
| geschafft haben] – über 4.000 nach italienischen Angaben in diesem Jahr. | |
| Eigentlich sind die Bedingungen für Investoren in Tunesien gut. Die Löhne | |
| liegen mit durchschnittlich monatlich 250 Euro kaum über chinesischem | |
| Niveau. Mit europäischer Hilfe gehen Armee und Polizei rigoros gegen | |
| Extremisten vor. Politische Kompromisse zwischen religiösen und säkularen | |
| Parteien ermöglichen Reformen: Diese Woche stellte das Parlament per Gesetz | |
| Rassismus unter Strafe, eine vom Präsidenten eingesetzte Kommission will | |
| Frauen im Erbrecht gleichstellen und Homosexualität legalisieren. | |
| Dennoch sind viele junge Tunesier von ihrer jungen Demokratie enttäuscht. | |
| 50 Prozent der Akademiker sind arbeitslos, der Verfall des tunesischen | |
| Dinars macht Auslandsreisen praktisch unmöglich. Nach Umfragen wollen 80 | |
| Prozent der jungen Leute einfach weg – und nicht mehr Paris ist das | |
| Traumziel, Berlin ist in aller Munde. | |
| Deutschland hat die ehemalige Kolonialmacht Frankreich als Tunesiens | |
| größter Geber ab gelöst, sagt Minister Müller während der feierlichen | |
| Vetragsunterzeichnung mit den Tourismus- und Arbeitsministern. Sieben | |
| Absichtserklärungen zwischen deutschen Unternehmen und tunesischen Textil-, | |
| Automobil- und Tourismusverbänden werden abgeschlossen. Vor allem | |
| Automobilzulieferer wie Marquardt und die geplante Kooperation der | |
| Tourismusverbände beider Länder liegen Müller am Herzen. | |
| ## Probleme hinter der schönen Fassade | |
| Doch der Afrikareisende ahnt, dass die scheinbar schöne tunesische Fassade | |
| Probleme verbirgt. Es gibt kaum ausgebildete Handwerker im Land, das bisher | |
| die verlängerte Werkbank französischer Unternehmen war. Renault und andere | |
| sind derweil nach Marokko weitergezogen, „wo der König mit einem Telefonat | |
| Streiks verbieten kann“, wie ein deutscher Manager sagt. Tunesiens | |
| Gewerkschaften sind bis heute mächtiger als viele Parteien und schrecken | |
| globalisierte Unternehmen ab. | |
| Im Tourismussektor bleiben die Gewinne trotz ausgebuchter Hotels wegen der | |
| niedrigen Preise und dem All-Inclusive-Sektor mager, viele Angestellte sind | |
| nur saisonal angestellt und kaum ein Hotelier kann die in den letzten | |
| Jahren aufgenommenen Kredite zurückzahlen. | |
| Bei ihrer Rede verliert die Tourismusministerin über solche Probleme kein | |
| Wort. Müller schaut besorgt. Er kontert mit einem Wort, das auf dieser | |
| Reise oft fällt: Ausbildung. Und: „Ich komme bald wieder“. Es klingt wie | |
| eine Drohung. | |
| Bevor er zum taz-Interview übergeht, verrät Müller schließlich, dass er | |
| jeden Tag die taz liest. Weil es dort die beste Auslandsberichterstattung | |
| gibt. | |
| 11 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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