# taz.de -- Unterwegs in der Wüste Tunesiens: Unerhörte Stille, frustrierende… | |
> Was die Besucher an der Wüste lieben? Die Stille, die Leere, das Nichts. | |
> Genau das treibt Jugendliche in die Verzweiflung und ins Ausland. | |
Bild: Dünenlandschaft in Tunesien | |
Hammed kennt sich aus in der Wüste. Er kennt die Spuren, die Gefahren, die | |
Verstecke. Zum Beispiel das Versteck des Skorpions. Er dreht Stein um Stein | |
um. Schließlich hat er ihn, einen grünen Skorpion. Demonstrativ küsst er | |
das starre Tier. „Jetzt im Winter schlafen die Skorpione“, meint unser Held | |
und verschwindet zum Kofferraum, kommt zurück und tut so, als lege er den | |
Skorpion wieder unter den Stein. Tatsächlich hat er ihn in eine leere | |
Zigarettenschachtel gesteckt. Sein Gag fürs Wüstencamp. Er wird damit den | |
anderen Fahrern eine Zigarette anbieten. Greifen sie zu, schläft da der | |
Skorpion. | |
Hammed, der eher einem kleinwüchsigen rumänischen Bauern als einem | |
hochgewachsen, bei Touristinnen begehrten Wüstensohn im kunstvoll um den | |
Kopf geschlungenen Baumwollschal gleicht, ist in der Wüste aufgewachsen und | |
bis zu seinem 17. Lebensjahr mit seinem Clan durch das Dünenmeer gezogen. | |
Lesen und schreiben hat er erst später gelernt. Heute fährt er Touristen im | |
Jeep durch die tunesische Sahara. Welches Leben ihm besser gefalle? Er | |
überlegt kurz. „Von heute aus gesehen das Leben in der Wüste“, antwortet | |
er. | |
Wir befinden uns etwa 100 Kilometer von der algerischen und 200 Kilometer | |
von der libyschen Grenze entfernt. Flache Steinwüste wechselt ab mit | |
geschwungen Dünen, vereinzelt ragt Grün aus dem Sand. „Dieses Jahr hat es | |
viel geregnet“, sagt Hammed. Wir fahren vorbei am Jebil Nationalpark. Die | |
Gazellen hier sollen sich wieder ungestört vermehren. Araber vom Golf | |
lieben das freizügige Tunesien und die Jagd auf die zarten Tiere. Und | |
überhaupt: Die viel gerühmte Stille der Wüste ist jetzt in der Hochsaison | |
gestört. | |
Pinkelpause am Café du Parc. Eine liebevoll eingerichtete Bretterbude mit | |
Veranda und gedeckten Tischen zwei Autostunden ohne Straße vom nächsten Ort | |
entfernt. Davor stehen Geländewagen, Motorräder, Quads. Die tunesische | |
Wüste ist an manchen Stellen ein großer Spielplatz, ein Sandkasten für | |
TouristInnen. | |
Wir treffen athletische Biker aus Slowenien, Outdoor-gestylte | |
Wüstenwanderer aus Deutschland, sich selbst fotografierende Bloggerinnen, | |
schöne Instagramerinnen, italienische Wüsten-Rallye-Fahrer, tunesische | |
Musikliebhaber, die wie wir zum Musikfest ins Camp Mars fahren. Die Angst | |
vor Anschlägen, vor bewaffnetem Gesindel hier in der Grenzregion Wüste hat | |
sich gelegt. Das Militär sei überall, betont Hammed. Er muss es wissen, | |
sein Sohn arbeitet dort. | |
## Im Camp Mars | |
Zwischen hohen Dünen stehen ungefähr 30 weiße Zelte. Die Zelte sind mit | |
Teppichen ausgelegt. Ein bequemes Doppelbett und überzogene Decken schützen | |
vor der nächtlichen Kälte. Durch einen Vorhang abgetrennt die Toilette. Sie | |
hat kein Wasser, dafür Sägespäne und entfernbare Plastiksäcke. Im großen | |
Hauptzelt ist das Restaurant. Hier gibt es beste tunesische Küche mit | |
regionalem Einschlag: Das Dromedargulasch schmeckt vorzüglich, der Rotwein | |
macht den strahlenden Sternenhimmel abends beim Lagerfeuer noch schöner. | |
Riadh Mnif und seine Frau Célia Mnif haben das Camp mitten in der Wüste | |
aufgebaut. Weil das aus Tunis stammende gutsituierte Ehepaar „die Wüste | |
liebt“, wie Célia versichert. Inzwischen sind sie bekannt bei Wüstenfans, | |
auch den Einheimischen. Es ist voll geworden im Camp. Am Folgetag | |
veranstaltet Mnif zum vierten Mal das Festival „Musique & Silence“ (Musik | |
und Stille). Es spielt ein Ensemble des in Tunesien bekannten Musikers | |
Riadh Fehri aus Tunis. | |
Das Camp macht mit solchen Events von sich reden. Cécil bezeichnet ihr | |
Projekt als sozial und nachhaltig, auch wenn der Wüstenrummel nicht | |
sonderlich ökologisch scheint. Sozial und ökologisch war die Auflage für | |
einen Entwicklungskredit. Und vor allem: Das Projekt soll Arbeitsplätze in | |
der Region schaffen. | |
Auf den hohen Dünen hinter dem Camp ist Highlife. Die Instagramerinnen, die | |
das tunesische Fremdenverkehrsamt hierhergebracht hat, um mit ihrer | |
Schönheit die Schönheit der Wüste hervorzuheben, posten im rosarot | |
leuchtenden Sonnenuntergang mit kniehohen Stiefeln zu knappen Shorts. Eine | |
Gruppe Spanier fährt Sandboard von den hohen Dünen. Andere lassen sich mit | |
lautem Geschrei den Sand herunterrollen, während ein Fahrer | |
halsbrecherischer die fast senkrechten Dünen im Jeep nimmt. Ein ganzer | |
Kerl. | |
„Seit der Revolution 2010 und 2011 kamen kaum noch Touristen, aber 2018 war | |
wieder ein gutes Jahr für uns“, sagt Mohammed, der das Café Tembain | |
unterhalb des gleichnamigen Berges nicht weit vom Camp Mars betreibt. Von | |
Oktober bis Mai lebt er hier als Einsiedler. Bei ihm treffen sich die | |
Fahrer der Jeeps, nutzen seine Steckdose, die dank einem Solarpaneel | |
erschlaffende Akkus lädt. Und sie finden hier mitten in der Wüste die | |
einzige Stelle, wo ihr Handy manchmal Empfang hat. | |
## Nichts als Moscheen | |
Der 48-jährige drahtige Mohammed bietet Tee an. Dank dem Musikfestival ist | |
heute Hochbetrieb, die Gäste des Camp Mars spazieren über die | |
Dünenlandschaft zu ihm. „Ich verkaufe Essen, auch Benzin oder helfe, wenn | |
jemand eine Panne hat“, erzählt er in fließendem Deutsch. Gelernt hat er | |
die Sprache als Kellner auf der Insel Djerba, bevor er das Wüstencafé | |
betrieb. | |
Mehdi Bousnina, ein 33-jähriger Tunesier, wundert sich über den Deutsch | |
sprechenden Einsiedler. Er trinkt mit Freunden Tee bei Mohammed und wohnt | |
im Camp. Abends beim Lagerfeuer kommen wir dort ins Gespräch. Mehdi kommt | |
aus Tunis. Er ist das erste Mal hier. Wir bewundern den Sternenhimmel, und | |
Mehdi lobt die Freiheit. „Ich war ein Jahr verheiratet und bin wieder | |
glücklich geschieden“, sagt er strahlend. „In Tunesien muss man immer noch | |
heiraten, um von der Familie unabhängig zu werden. Das war ein Fehler.“ | |
Mehdi arbeitet bei der Hilfsorganisation Oxfam als Monitoring and | |
Evaluations Officer. „Zuvor habe ich bei einem Investitionsfonds | |
gearbeitet, aber ich sehe viele Schwächen bei den großen NGOs, die nach der | |
Revolution in großer Zahl das Land befrieden wollen. Die Projekte werden | |
ausgeschrieben, um die Geldgeber zu überzeugen, sie korrespondieren nicht | |
mit den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort. Am Schluss des Projekts machen | |
sie einen Bericht über dessen Nutzen, dann sind sie wieder weg.“ | |
Harsche Kritik an der Hilfe, die Tunesien nach der Revolution im Januar | |
2011 vor allem von Organisationen aus dem Westen erhalten hat. Die | |
europäischen oder amerikanischen Finanzierer hätten keine Leidenschaft, | |
behauptet Mehdi. „Aus meiner Erfahrung muss ich sagen: Ich habe nicht ein | |
fremdfinanziertes Projekt in Tunesien erlebt, das nach der Finanzierung | |
unabhängig weiter funktioniert hat.“ | |
Eine Sternschnuppe fällt vom wolkenlosen Himmel und noch eine, unzählige | |
Sternschnuppen. Was wünscht sich Medhi, welche Vorstellungen hat er? | |
„Es gibt ein Projekt, das mir gefällt. Ein Bauer bringt Arbeitslosen die | |
Bienenzucht bei. Theoretisch und praktisch. Danach gibt er ihnen | |
Bienenstöcke. Ihre erste Ernte geben sie dem Bauern, um die Ausbildung und | |
die Bienenstöcke zu bezahlen. Die zweiter Ernte gehört ihnen. Der Bauer hat | |
Kontakt zu Märkten, hilft beim Verkauf. Das ist nachhaltig. Überhaupt | |
müssten viel mehr Kooperativen gefördert werden. Tunesien ist nicht | |
Afghanistan. Hier gibt es Potenzial.“ | |
Ob er verstehe, dass 40 Prozent der Jugendlichen gern auswandern würden? | |
„Ja und nein. Ich lebe in Tunis und genieße viele Vorteile“, sagt er. Die | |
Lebensqualität sei dort viel höher als in den Regionen. „Aber ich kenne | |
durch meine Arbeit ganz Tunesien: Man kann nicht in den Regionen leben. Es | |
gibt nur Moscheen. Ehrlich, wenn irgendetwas gebaut wird, dann ist es eine | |
Moschee. Es gibt nichts für Jugendliche: kein Sportplatz, keine Treffs, | |
kein Transport, keine Unterhaltung, keine Kultur. Also wenn du als junger | |
Mensch in der Provinz lebst, bist du verloren, mit oder ohne Arbeit. Dabei | |
wissen die jungen Leute durch das Internet, dass es anderswo besser ist. | |
Sie fragen sich, warum lebe ich in diesem Loch, dieser Leere.“ | |
## Der Macher | |
Am nächsten Morgen verlassen wir das Camp. Hammed fährt uns sicher über | |
Bodenwellen und Sandverwehungen nach Douz. Über den Verbleib des grünen | |
Skorpions schweigt er sich beharrlich aus. Douz ist eine Kleinstadt mit | |
circa 30.000 Einwohnern. Die Stadt lebt vom Wüstentourismus und dem | |
Geschäft mit Datteln, die jetzt im Winter frisch geerntet überall an ihren | |
Stielen hängen. Auf dem Marktplatz schlendern TouristInnen durch die | |
Arkaden, wo handgemachte Schuhe, Ledertaschen, gewebte Teppiche angeboten | |
werden. Hier hat Abdelmajid Belhaj Ibrahim, 36, sein Kulturcafé. | |
„Ich habe in Algerien Übersetzung studiert, doch nach dem Studium gab es | |
für mich keine Perspektive. Ich wollte aber in meiner Heimatstadt Douz | |
bleiben“, erzählt er. Dann sei ihm die Idee mit dem Kulturcafé gekommen. | |
Das Café ist voll. In der Ecke steht eine Vitrine voller Bücher, vor allem | |
über die Wüste und Tunesien. „Ein Bibliothekar hat mir einen Teil davon | |
vermacht“, sagt Abdelmajid. Es liegen internationale Zeitschriften aus, die | |
Besucher zurückgelassen haben. „Die Leute sollen hierherkommen und lesen. | |
Manchmal organisiere ich Filmveranstaltungen, aber es fehlt mir an | |
Equipment. Zurzeit fehlt der Projektor. “ | |
Die Bank habe ihm kein Darlehen geben wollen, aber Freunde und Bekannte | |
hätten ihm die Einrichtung gespendet. „Es in Tunesien zu etwas zu bringen | |
ist nicht leicht“, sagt Abdelmajid. „Aber ich mache weiter.“ Er ist | |
motiviert, überzeugt von seiner Idee. | |
Auch bei Abdelmajid sitzen heute nur Männer. Und Frauen? „Frauen gehen hier | |
normalerweise nicht in Cafés, aber das soll sich ändern. Eine Journalistin | |
aus Douz hat bereits den Anfang gemacht und besucht mein Café jeden Tag. | |
Sie sitzt immer hier hinten beim Tresen.“ Abdelmajid versucht diese Leere | |
zu füllen. | |
12 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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