| # taz.de -- Gerd Müller über Europa und Maghreb: „Tunesien, eine Pflanze de… | |
| > Bundesentwicklungsminister Müller (CSU) fordert in Tunesien eine Öffnung | |
| > Europas zum Maghreb und rät deutschen Firmen: „In Afrika liegen die | |
| > Zukunftsmärkte“. | |
| Bild: Alles Müller oder was? Mitarbeiterinnen des deutschen Automobilzuliefere… | |
| taz: Herr, Müller, für viele Tunesier hat sich sieben Jahre nach der | |
| Revolution das Versprechen der Demokratie nach einem besseren Leben nicht | |
| erfüllt. Wegen der Wirtschaftskrise will die Mehrheit der jungen Menschen | |
| [1][das Land verlassen]. Ist das deutsche Engagement im Vorzeigeland des | |
| Arabischen Frühlings daher nicht zu gering? | |
| Gerd Müller: Wir haben unser Engagement in den letzten Jahren ja deutlich | |
| ausgebaut. Vor allem im Bereich der beruflichen Bildung, um der jungen | |
| Bevölkerung eine Perspektive vor Ort zu geben. Aber Sie haben recht: Europa | |
| muss sich in einer ganz anderen Dimension in Tunesien und in der gesamten | |
| Maghreb-Region engagieren, die ja nur einen Steinwurf übers Mittelmeer | |
| liegt. Tunesien ist eine Pflanze der Hoffnung, nicht nur in der arabischen | |
| Welt, auch auf dem afrikanischen Kontinent. Wenn die Demokratiedividende in | |
| Form von Arbeit und Zukunftsperspektiven nicht eintritt, kann es einen | |
| Rückfall in autoritäre Strukturen geben. Das haben wir ja schon in anderen | |
| afrikanischen Ländern gesehen und das wollen wir verhindern. Deswegen setzt | |
| die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in der Maghreb-Region einen | |
| entscheidenden Schwerpunkt. | |
| Wirtschaftlich stehen die Maghreb-Länder aber schlechter als zuvor da und | |
| bieten der Jugend kaum Perspektiven. | |
| Ich habe schon mehrmals den Vorschlag gemacht, dass Europa dem Maghreb die | |
| Perspektive einer vertieften wirtschaftlichen Zusammenarbeit anbietet. Die | |
| Freihandelsabkommen müssen zügig abgeschlossen und die restlichen | |
| Handelshemmnisse abgeschafft werden. Der tunesische Agrarminister klagt, | |
| dass der Olivenölimport in die EU so streng quotiert ist, dass bereits im | |
| Februar des Jahres die Jahresquoten erfüllt sind, trotz der diesjährigen | |
| hiesigen Überproduktion und einer sehr schlechten Ernte in Italien. | |
| Tunesien muss schrittweise voll in den europäischen Wirtschaftsraum | |
| integriert werden, das führt auch zu Fortschritten in anderen Bereichen. | |
| Die Weltbank kritisiert, dass die politische Elite nicht bereit für | |
| Wirtschaftsreformen ist. | |
| Diese Probleme sehen wir alle. Dennoch ist der Transformationsprozess in | |
| Tunesien von allen Maghreb-Staaten am weitesten fortgeschritten. Der | |
| Übergang von diktatorischen Strukturen hin zu Demokratie ist eine | |
| Generationenfrage, und unsere Aufgabe ist Unterstützung und Stabilisierung. | |
| Mein Ansatz ist „gute Regierungsführung“: Rechtssicherheit, mehr | |
| Eigeneinnahmen, Kampf gegen die Korruption, Entwicklung von transparenten | |
| Verwaltungsstrukturen auf lokaler Ebene. Die Digitalisierung von kommunalen | |
| Strukturen ist der effektivste Weg zur Bekämpfung von Korruption. Das Thema | |
| Eigentum ist eines der Hauptprobleme für die Landwirtschaft, hier fehlt es | |
| an Rechtssicherheit. Wir setzen auf Austauschprogramme von Beamten und | |
| Expertenwissen. | |
| Wie verhindern Sie, dass Gelder im von Korruption durchsetzten | |
| Beamtenapparat versickern? | |
| Wir finanzieren keinen Staatshaushalt, sondern konkrete Projekte wie den | |
| Verwaltungsaufbau oder die Modernisierung der Landwirtschaft. Mit unserem | |
| Grünen Innovationszentrum setzen wir etwa ganz bewusst auf die Stärkung | |
| kleinbäuerlicher Strukturen im ländlichen Raum. Zudem haben wir mit | |
| Tunesien eine Reformpartnerschaft nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ | |
| geschlossen. Dafür stellen wir weitere 165 Millionen Euro für die | |
| Modernisierung des Bankensektors bereit, um mehr Privatinvestitionen | |
| anzuziehen. Diese Mittel werden aber erst ausgezahlt, wenn vorher | |
| vereinbarte Ziele, wie mehr Personal in der Antikorruptionsbehörde, auch | |
| tatsächlich erreicht wurden. Dabei handelt es sich größtenteils um Kredite, | |
| keine Budgethilfen oder Direktzahlungen. Meine Reise hat ja den Fokus auf | |
| Privatinvestitionen. Tunesien bietet hierfür in der Region vergleichsweise | |
| hohe Rechtssicherheit. Die 270 deutschen Firmen, die in Tunesien tätig | |
| sind, bestätigen dies. Die ist eine Win-win-Situation und ich möchte, dass | |
| weitere deutsche Firmen hier investieren, so wie nach der EU-Osterweiterung | |
| vor 25 Jahren in Tschechien und Ungarn. | |
| In Brüssel scheint die Region jedoch nicht hoch auf der Prioritätenliste zu | |
| stehen. | |
| Ja, was steht denn in Brüssel überhaupt oben an Prioritäten? Steht Syrien | |
| oben, steht eine Lösung in Libyen oben? Was auch komplett fehlt, ist eine | |
| zielorientierte und ambitionierte Afrikastrategie der EU. Ich sehe keinen | |
| Afrikakommissar. Dabei ist eine politische Initiative für eine | |
| wirtschaftliche Integration des Mittelmeerraums nötig. Der Kontinent ist | |
| auch weiterhin nicht im UN-Sicherheitsrat vertreten. Wir müssen die „Agenda | |
| 2063“ der afrikanischen Union, bei der sich alle afrikanischen Staaten zu | |
| mehr Eigenverantwortung und wirtschaftlichen Fortschritt verpflichtet | |
| haben, ernst nehmen und mit ihnen gemeinsam den Kontinent entwickeln. Aber | |
| nichts passiert. | |
| Warum nicht? Warum gibt es keine Süd-Partnerschaft nach dem Vorbild | |
| Osteuropas? | |
| Die Herausforderungen, aber auch die großen Chancen Afrikas sind | |
| anscheinend noch nicht im Bewusstsein vieler angekommen. Lediglich 1.000 | |
| von 240.000 exportorientierten Unternehmen aus dem Land des | |
| Exportweltmeisters sind in Afrika aktiv. Das ändert sich nur langsam. Dabei | |
| liegen dort die Märkte der Zukunft. Jedes Dax-Unternehmen und jeder größere | |
| Mittelständler sollte sich daher Afrika-Experten leisten. Ein Lamento, dass | |
| sich China jetzt aktuell mit 60 Milliarden Dollar in ganz Afrika engagiert, | |
| hilft weder uns noch den Afrikanern. | |
| Wie wollen Sie das größte Problem angehen: Landflucht? | |
| Die Landbevölkerung ist die Mehrheit. Wenn deren Zukunft ein Leben ohne | |
| Arbeit in den Slums in den Städten ist, haben wir alle ein großes Problem. | |
| Die Lösung heißt Förderung handwerklicher Arbeit. Wenn in Tunesien 80 | |
| Prozent der Jugend zwar Abitur macht, aber danach ohne jede Chance auf | |
| einen Job dasteht, dann muss man sich nicht wundern, warum viele von Europa | |
| träumen. Tunesien braucht – wie viele Länder auf dem Kontinent – Handwerk, | |
| Landwirtschaft und Infrastruktur. Daher ist unser Ansatz für Afrika vor | |
| allem: Berufsausbildung. | |
| 12 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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