# taz.de -- Englische Grüne in Brighton: Hoffähig sind sie | |
> Das Seebad Brighton gilt als Vorzeigeort der britischen Grünen. Sie haben | |
> sich hier nicht nur Freunde gemacht. Ein Besuch vor der Wahl. | |
Bild: Entspannt grün regiert. | |
BRIGHTON taz | Mit nur einer Stunde Zugentfernung von London gilt die | |
südenglische Stadt Brighton als beliebter Ausflugsort am Meer. Brighton | |
zählt 300.000 Einwohner. Lange war die Stadt eine politisch rote Bastion in | |
der konservativen Peripherie der Grafschaft Ost-Sussex. | |
Dennoch erhielten 2007 die Konservativen auch hier die Mehrheit der | |
Stimmen. Mit der sinkenden Beliebtheit Labours wuchs jedoch das Interesse | |
an den Grünen. Seit 1999 legten sie bei jeder Wahl zu, bis sie vor vier | |
Jahren mit 23 Sitzen (von 54) zur stärksten Partei Brightons wurden. Sie | |
bildeten eine Minderheitsregierung ohne Koalitionspartner, die erste grüne | |
Stadtregierung Großbritanniens. | |
Im Vorjahr wurde Caroline Lucas, damals noch Parteiführerin der englischen | |
Grünen und zuvor Europaabgeordnete, in Brighton-Pavillon zur ersten | |
Grünen-Abgeordneten im britischen Unterhaus gewählt. Lucas wurde so zu | |
einer starken, viel zitierten Stimme, nicht nur durch ihren unabhängigen | |
Einsatz für Umwelt-und Sozialthemen. Sie machte auch Schlagzeilen. So | |
sprang sie durchs Parlament im T-Shirt mit einem Spruch gegen nackte | |
Frauenkörper in der Boulevardpresse. | |
Die Zahl der Parteimitglieder stieg in den vergangenen 12 Monaten von | |
14.000 auf 60.000, was die Grünen zur viertstärksten Partei Großbritanniens | |
macht. Viele der Mitglieder sind unter 30 Jahre alt. Stacey Miller ist | |
dagegen schon 70, Rentnerin und Neumitglied. Sie will „etwas | |
Grundsätzliches gegen Ukip machen“. „Ich mag es, dass die Entscheidungen | |
bei den Grünen per Konsensus und nicht von oben gemacht werden“, erklärt | |
sie. | |
Gerade das bezeichnet der Führer Labours in Brighton, Warren Morgan, 47, | |
als Beispiel dafür, wieso es schwer sei, mit den Grünen zusammenzuarbeiten. | |
Grüne Abgeordnete dürften immer selbst entscheiden im Gegensatz zu der | |
britischen Tradition der „whips“ (Peitschen), die dafür sorgen, dass alle | |
in der Fraktion gleich stimmen. | |
## Ausgerechnet Müll und Recycling | |
Morgan kritisiert die Grünen, weil sie ausgerechnet die Müllabfuhr und das | |
Recycling nicht gebacken bekamen. Brighton ist beim Recycling nationales | |
Schlusslicht. Ein langer Streik der Müllabfuhr für neue Verträge und Tarife | |
ließ die grüne Stadtführung auflaufen. Schließlich griff Parteichefin Lucas | |
von London aus ein und unterstützte – gegen die eigene Partei – die Leute | |
von der Müllabfuhr. | |
Glaubt man vielen Anwohnern, verliert die Stadtregierung zusätzliche | |
Sympathien, indem sie neue Fahrradwege schafft, die Straßenführung im | |
Zentrum vollkommen verändert und neue verkehrsberuhigte 20-Meilen-Zonen | |
einrichtet. Für Streit sorgt auch ein geplanter 64 Millionen Euro teurer | |
und 186 Meter hoher Turm, dessen Plattform Besucher langsam zur | |
Panoramaaussicht in die Höhe fahren soll. Mit Hilfe der Tories konnten die | |
Grünen gegen Labour durchsetzen, dass der Turm, der jährlich 50 Millionen | |
Euro einbringen soll, doch gebaut wird. | |
Susan O’Leary, 34, Besitzerin einer kleinen Geschenkboutique, bereut es | |
jedenfalls, dass sie letztes Mal grün wählte. Aber Labour überzeugt sie | |
auch nicht, eher will sie am 7. Mai die Liberaldemokraten oder die | |
Konservativen wählen. Paul, 64, der Inhaber des Buchladens Brighton Books, | |
ist da nachsichtiger. „Die Grünen in Brighton mussten viel dazulernen“, | |
sagt er. Seiner Meinung nach fehlt es aber auch an Informationen darüber, | |
was die Grünen Gutes geleistet haben. Kaum jemand wisse, dass ein Großteil | |
der Straßenumbauten mit EU-Geldern bezahlt wurde. „Lucas hat sich oft für | |
gute Sachen eingesetzt wie die Rettung des Cafés um die Ecke“, sagt er. | |
Der Antiquitätenhändler Finn Stone, 59, hält Caroline Lucas zwar für | |
kompetent, aber er will unbedingt einen Regierungswechsel. | |
„Bedauernswerterweise werde ich Labour wählen, damit die Tories aus der | |
Regierung verschwinden“, gesteht er. Für Labour kandidiert Dr. Para Sen, | |
eine indischstämmige Dozentin für Öffentlichkeitsarbeit, die für Amnesty | |
International, den schwul-lesbischen Verband und für Frauenkampagnen | |
arbeitete. Keine zufällige Auswahl Labours gegen die grüne Lucas. | |
## Ein Bilderbuchgrüner als Kandidat | |
Tom Druitt, 36, kandidiert dieses Jahr zum ersten Mal für die Grünen in | |
Brighton und ist Bilderbuchgrüner. Vor acht Jahren gründete er die | |
ökologische Busfirma „The BigBig Lemon“, deren Treibstoff aus lokalem | |
Küchenöl gewonnenes Biodiesel ist und die heute zwei öffentliche | |
Verkehrslinien betreibt. Als vor einem Jahr an einer der meistbefahrenen | |
Kreuzungen eine Ulme im Namen der städtischen Sicherheit gefällt werden | |
soll, entschließt sich Druitt, sich in deren Baumkrone zu verbarrikadieren. | |
Die grün regierte Stadt gab nach – Ulme gerettet! Ob die Grünen in Brighton | |
wieder stärkste Partei werden, ist jedoch offen. Noch liegt Lucas 10 Punkte | |
vor Sen. | |
Laut Umfragen könnten die Grünen dagegen in Bristol Erfolg haben. „Die | |
Gunst des politisch unbeschriebenen Blattes“ nennt es Labour-Mann Warren | |
Morgan, in Brighton sei „es da inzwischen anders“, hofft er. | |
21 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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